Die Enthüllungen um den Produzenten Harvey Weinstein haben in Hollywood für viele Reaktionen gesorgt. Aber wo bleibt die Stellungnahme deutscher Filmverbände?, fragt sich die Schauspielerin Belinde Ruth Stieve.
Nur Hollywood hat ein Problem mit sexualisierter Gewalt?
Es ist zwei Wochen her seit einer breiten Öffentlichkeit durch einen Artikel in der New York Times bekannt wurde, dass der US-amerikanische Filmproduzent Harvey Weinstein seit Jahrzehnten junge Schauspielerinnen und Models, aber auch Firmenangestellte und Journalistinnen eingeschüchtert, sexuell belästigt und angegriffen hat. Es ist klar, dass Angeklagte bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten haben. Allerdings scheinen in diesem Fall die Vorwürfe erdrückend – im Gegensatz zu den leider allzu häufigen Situationen, in denen Aussage gegen Aussage steht und eine Straftat oder ein Verbrechen nicht bewiesen werden kann.
Viel wurde zunächst darüber geschrieben, wie es möglich sein konnte, dass Harvey Weinstein über Jahrzehnte unerkannt und ungestört handeln konnte, doch schnell wurde klar, dass seine Übergriffe, sein Umgang mit insbesondere jungen Schauspielerinnen zu Beginn ihrer Karriere, ein offenes Geheimnis waren. Im Zuge der Reportagen wurde auch auf andere Fälle von sexuellen Übergriffen hingewiesen, von US-Schauspieler Bill Cosby über Fox News-Moderator Bill O’Reilly und Chef der Amazon-Videoabteilung Roy Price bis hin zu US-Präsident Donald Trump. Alles in den USA, weit weg.
Auch die deutschen Medien haben über den Weinstein-Fall berichtet. Was mich aber erstaunt ist, dass wochenlang nicht über die deutsche Filmbranche geschrieben wurde. Drängten sich Fragen wie „Ist so etwas in Deutschland auch möglich, gibt es Fälle oder Gerüchte, und wie wird betroffenen Frauen geholfen?“ nicht geradezu auf?
Ja, auch an deutschen Sets gibt es die gleichen Probleme
Auch in Deutschland werden Schauspielerinnen und andere weibliche Filmschaffende sexuell belästigt und bedrängt. Auch hier gab und gibt es Männer, die ihre Machtposition beispielsweise als Regisseur ausnutzen, die Schauspielerinnen zu sexuellen Handlungen im Tausch für eine Rolle – ja was? zwingen? auffordern? nötigen? Die die berufliche Hierarchie, in der Schauspielerinnen ganz weit unten stehen (zu wenig Rollenangebote und gleichzeitig zu viele von uns) ausnutzen. Die mal eben mit der Darstellerin im Nebenzimmer verschwinden, um Sex zu haben. Wohlgemerkt, das sind keine sich anbahnenden Romanzen, bei denen sich Regisseur und Darstellerin ineinander verliebt haben oder auch nur scharf aufeinander sind. Sondern „Das gehört dazu, ich Boss, Du …”.
Es kursieren bestimmte Namen, die ich in diesem Zusammenhang öfter gehört habe, von unterschiedlichen Quellen. Ich weiß von einer sehr jungen Schauspielerin, die ein Vergewaltigungsopfer spielen sollte, halbnackt, die Dreharbeiten dauerten endlos, und Kollegen und Mitglieder des Teams machten anzüglich Witze über sie, über ihren Körper, über ihre Lage.
Ich weiß von einer Kollegin, die immer wieder von männlichen Kollegen „inszeniert” wird, die einfach besser wissen als sie und die Regie, wie sie ihre Rolle spielen sollte und sich ungefragt einbringen. Wenn sie aber etwas sagt, gilt sie als schwierig und unkollegial.
„Nie davon gehört.“ – ehrlich?!
Betroffen sind nicht nur Schauspielerinnen. Ich habe auch von betroffenen Maskenbildnerinnen und Regisseurinnen gehört, um nur zwei Berufsgruppen zu nennen. Eine befreundete Karriere-Coachin/Trainerin, die regelmäßig mit Frauen und Männern aus der Filmbranche arbeitet, berichtet, dass jedes Mal, wenn sie das Thema Netzwerken thematisiert, die Frage kommt: „Wie gehe ich mit Übergrifflichkeiten um?“ Und wenn eine Frau erst einmal diese Frage gestellt hat, kommen weitere: „Und was ist, wenn er im Gespräch immer wieder seinen Arm um mich legt?“, „Und was ist wenn ich Nein sage, den Arm abschüttele, kann ich das Projekt dann gleich ganz vergessen?” Jedes mal. Die meisten Frauen berichten von solchen Situationen. Die Männer im Coaching sind dann meist sprachlos bis genervt. Genervt, dass so ein Thema so viel Raum einnimmt, denn es betrifft sie nicht und sie sind überrascht, dass es überhaupt aufkommt. „Nie davon gehört.“
Im Januar 2017 wurde die Studie „Die Situation der Filmschaffenden 2015“ veröffentlicht, für die rund 2.400 vollständig ausgefüllte Fragebögen mit einem Frauenanteil von 39 Prozent ausgewertet wurden. Jörg Langer, der Verfasser der Studie, erzählte mir von mehr als 300 berichteten Diskriminerungsvorfällen, darunter zahlreichen Schilderungen von sexuellen körperlichen sowie verbalen Übergriffen. Die Studie ergab außerdem, dass deutlich weniger Frauen als Männer mit ihren Arbeits- und Lebensbedingungen zufrieden waren, dass Frauen deutlich seltener Tarifgagen erhalten als Männer, und dass Frauen dreimal so häufig wie Männer von „Diskriminierungen aufgrund Alter, Herkunft, Geschlecht, Religion“ u.a.m. berichteten.
Regisseurinnen haben an anderer Stelle mehrfach von dem Dilemma gesprochen, dass sie wenn sie resolut am Set agieren, als hysterisch oder „die hat ihre Tage“ abqualifiziert wurden, wohingegen das gleiche Verhalten ihrer Kollegen als entschlossen galt. Liegt das auch an den Verhältnissen, nämlich dass ein Großteil des Teams vielleicht noch nie mit einer Regisseurin gearbeitet hat, eine Kamerafrau oder Tonmeisterin das erste Mal erlebt? (siehe: Filmgewerke – 2017). Und die in der Arbeit auch vor der Kamera auch nur halb so viele Frauen wie Männer sehen, ein Nicht-Abbild unserer quantitativ ausgeglichenen Gesellschaft? (siehe: Das Besetzungstool NEROPA).
Es ist ein strukturelles Problem
Im übrigen geht es weiter, bzw. fängt schon vorher an. Auf dem langen Weg, bevor die Regisseurin überhaupt ihrem Team Anweisungen geben kann, und sie um ein Projekt kämpft oder bettelt, sich bewirbt. In Gesprächen mit Produzenten und anderen. Ich weiß nicht, wie oft das passiert, aber es sind keine Einzelfälle. Es ist strukturell, so wie der Sexismus in der Filmbranche strukturell ist, so wie die Benachteiligung von Frauen, auch beim Gehalt, in der deutschen Arbeitswelt strukturell ist und wie sexuelle Belästigungen von Frauen am Arbeitsplatz in unserer Gesellschaft ein strukturelles Phänomen sind.
Ich erinnere ein Kaffeetrinken mit einem Regisseur, in dem er nebenbei vorschlug, ich solle „seine Geliebte” werden. Das ist sehr lange her, ich stand am Beginn meiner beruflichen Laufbahn, es ging um eins von mehreren Projekten. Ich war baff, und habe es freundlich abgewiegelt mit dem Hinweis auf seine Ehefrau (von ihr und der gemeinsamen Tochter hatte er auch erzählt), die Stimmung war einigermaßen gerettet. Aber aus keinem der Projekte ist dann etwas geworden.
Da war dieser Workshop, in dem wir Schauspieler*innen Tipps bekamen, wie wir uns und unser Material (Fotos und Demoband) besser präsentieren können und wie der Umgang mit Regie und Casting idealerweise ablaufen sollte, aus Sicht des Regisseurs, der an dem Tag dran war. Ich erinnere, wie das Thema Nacktszenen angesprochen wurde und er recht abfällig über Schauspielerinnen sprach, die in ihren Verträgen auf eine „keine Nacktszenen“-Klausel bestünden. Denn das würde seine Arbeit als Regisseur enorm beeinträchtigen. Die Schauspielerinnen sollten lernen, über den eigenen Schatten zu springen, Nacktszenen wären für sie ja sogar eine Bereicherung, das hätte ihm einmal eine Schauspielerin, die erst sehr unwillig gewesen sei, gesagt. Denn natürlich betraf das Thema Nacktszenen nur uns Schauspielerinnen, nicht die wenigen Schauspieler im Workshop. Und natürlich fügte der Regisseur noch hinzu, dass eine Weigerung Nacktszenen zu drehen bedeuten würde, dass dann eben die Rolle mit einer Kollegin, die nicht diese Probleme hätte, besetzt würde.
Grenzen werden ungefragt überschritten
Die Frage, ob es überhaupt so oft Nacktszenen geben muss, ob der Mord an einer Frau in einem deutschen Krimi nur gezeigt werden kann, wenn sie nackt zu sehen ist, wenn nicht beim Mord selbst (wobei sie dort meistens zumindest halbnackt abgelichtet wird) dann spätestens hinterher auf dem Seziertisch der Gerichtsmedizin, – wird diese Frage jemals gestellt? Und die Frage der Kameraperspektive, also dass sexualisierte Gewalt gerne auch – Schuss, Gegenschuss – aus Sicht des Täters gefilmt wird, ist das Thema?
Ich stelle mir erfahrene Filmteams vor, die regelmäßig halbnackte Schauspielerinnen am Set erleben. Ist das der Grund, warum sich manche so unsensibel verhalten?
Es ist ein paar Jahre her, mein erster Drehtag in einer Produktion, ich war schon im Kostüm und der Maske gewesen und wartete auf die technische Probe. Da kam ein Mann auf mich zu. Ohne mich anzugucken oder auch nur etwas zu sagen, griff er an meine Bluse, öffnete ruppig die oberen Knöpfe und griff mir zwischen die Brüste. Nein, es war nicht ganz so, fühlte sich aber fast so an. Er kam auf mich zu, gab mir einen Sender, den ich in die Bluse fallen ließ, das Kabelende bzw. Mikrofon guckten oben raus. Und dann griff er mir zwischen die Brüste um das Mikrofon zu befestigen, mit Klebeband und mehrmals abreißen und wieder ankleben, ohne mit mir zu sprechen. Bei einem anderen Dreh, als an die Stelle des Bluse-Öffnens eine überraschende Shirt-bis-zum-Kinn-Hochheb-Aktion trat, schlug ich vor doch dort an den Rand zu gehen. „Nein nein, nicht nötig“. So standen wir im wahrsten Sinne mitten im Zentrum des Geschehens. Bloß weil wir Schauspieler*innen sind und uns vor der Kamera zeigen und mitunter unser Innerstes entblößen heißt das nicht, dass wir keine Privatsphäre mögen, Verlegenheit oder Scham nicht kennen, Fremden gegenüber nie nervös sind.
Das Schweigen der Branche
Nach 30 Jahren vermeintlichem Schweigen wird in der US-Filmbranche nun laut über die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein gesprochen und den Frauen, die mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit treten, grundsätzlich Glauben geschenkt. Der US-amerikanische und britische Castingverband haben sich zu Wort gemeldet, der britische Schauspielverband Equity UK veröffentliche eine „Erklärung zu Mobbing und Belästigung“, Interessensgruppen wie „Women in Film and Television UK”, „ERA 50:50 Equal Representation for Actresses”, „Raising Films” und einzelne Schauspielerinnen sind an die Öffentlichkeit getreten.
Und bei uns? Warum schweigen die Verbände? Es gibt bislang keine Stellungnahmen vom Verband der Filmschaffenden, vom Regie- oder Castingverband, von der Produzentenallianz, von der verdi FilmUnion, um nur einige zu nennen. Und vor allem: Kein Wort vom Schauspielverband BFFS, im Gegenteil. Sie wollen kein Statement abgeben und haben auf Mediennachfrage gesagt, dass ihnen keine derartigen Fälle bekannt seien.
Der Schauspielerverband fällt durch Desinteresse auf
Es ist nicht das erste Mal, dass der Verband eine schlechte Figur abgibt, wenn es um die Benachteiligung von Schauspielerinnen geht. Vor drei Jahren wurde nach meiner Initiative die Kampagne „Unequal Pay” ins Leben gerufen, die Fälle ungleicher Bezahlung von Schauspielerinnen und Schauspielern sammeln soll. Allerdings, der BFFS hat das quasi im Keim erstickt. Kein Hinweis bei regionalen Stammtischtreffen, kein Link in Newslettern oder Social Media, nichts. Niemand kennt die Kampagne, wie soll da Material zusammen kommen, das der Gewerkschaft bei Verhandlungen pro gleiche Bezahlung hilft? Scheint nicht besonders ernst genommen zu werden in der BFFS Spitze, wie auch das Symbolbild zur Kampagne, in dessen Zentrum der Hintern einer Frau in Shorts zu sehen ist, anmuten lässt.
In der Branche wesentlich bekannter, aber ebenfalls vom BFFS totgeschwiegen: mein Besetzungstool NEROPA (Neutrale Rollen Parität). Mit ihm würde der Anteil von Frauenrollen in Produktionen unaufwändig und effektiv erhöht und darüber gesprochen, was eine Frauenfigur kann bzw. darf. So beginnt Veränderung.
Gleichberechtigung und BFFS passen aber leider immer noch nicht so ganz zusammen. Der machthabende Vorstand weiß weiter zu verhindern – u.a. durch geschickte Satzungsänderungen im eigenen Interesse oder durch zwielichtige Verhinderung alternativer Satzungsentwürfe –, dass Frauen in den entscheidenen Gremien und Posten stärker repräsentiert werden und frauenpolitisch aktive Mitglieder die Verbandsarbeit mit gestalten können. Die beiden Frauen, die seit kurzem im Vorstand sind, wurden unabhängig von Mitgliederversammlungen durch die Vorstandsmänner ausgewählt und eingesetzt, in einen Vorstand, der nur als Block kandidiert und bei Gegenwind gerne mit Rücktritt droht. Ich habe noch nie eine Verein erlebt, der so undemokratisch agiert und in dem die Mitglieder so wenig zu sagen haben.
Blick nach vorn
Ich möchte anregen, dass sich unsere Filmbranche damit beschäftigt,
wie ein angst- und übergriffsfreies Arbeitsumfeld auch für Frauen
geschaffen werden kann. Damit, wie Übergriffe derjenigen in
Machtpositionen geächtet und noch besser: verhindert werden können.
Vielleicht kann eine Art anonymes Meldesystem installiert werden, um
übergriffiges Verhalten festzuhalten. Nicht als Pranger oder
Denuzierungsplattform, da gibt es Möglichkeiten, Missbrauch zu
verhindern. Zu klären ist, wo und wie so etwas eingerichtet werden
kann und wer es betreut. Eine konkrete Befragung in der Branche könnte
durchgeführt werden, vielleicht aufbauend auf der genannten Studie des
Filmschaffendenverbands.
Was hätte in einem Statement des BFFS stehen können, das es nun ja wohl nicht geben wird? Was in einem Statement der anderen Verbände, die sich hoffentlich noch äußern werden?
Zum Beispiel, dass verbale und körperliche Übergriffe gegen Schauspielerinnen und Schauspieler, gegen weibliche und männliche Filmschaffende kategorisch verurteilt werden. Dass die Verbände Hilfsangebote für Betroffene erarbeiten wollen. Dass die Einrichtung eines Meldesystems geplant wird. Dass die Verbände als eine Ursache von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt, von Nötigung und Einschüchterung die prekäre Situation vieler Filmschaffender, insbesondere von Frauen, sehen. Dass die Verbände sich für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Filmarbeit einsetzen wollen. Dass unsere Filme mehr emanzipatorische Geschichten erzählen müssen und Frauen und Männer nicht mehr in Stereotypen darstellen sollen.
Filme prägen unser Denken und beeinflussen unsere Emotionen. Auch deshalb ist es so wichtig, in der Filmbranche den Hebel anzusetzen.
Dieser Artikel ist die leicht gekürzte Fassung des Textes „Der Fall Weinstein: Gedanken zur deutschen Filmbranche“, der am 16.10. in „SchspIN – Gedanken einer Schauspielerin“ veröffentlicht wurde. Wir freuen uns, dass Belinde Ruth Stieve ihn auch bei EDITION F veröffentlicht hat.
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