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Hey, Ronja!

Svenja Gräfen hat einen offenen Brief an die Welt-Autorin Ronja von Rönne geschrieben. Weil sie Feminismus ganz und gar nicht anekelt.

 

Liebe Ronja,

ich habe deinen Artikel  “Warum mich der Feminismus anekelt” gelesen. Zunächst vorweg: ich finde es in Ordnung, dass du deine Meinung äußerst, denn das ist ja dein gutes Recht. Ich finde es sogar in Ordnung, dass dies über ein großes Medium geschieht. Bloß finde ich schade, dass es bei alldem so furchtbar unreflektiert zugeht und dass du offensichtlich über Themen schreibst, die du noch nicht so ganz verstanden hast. No offense – vielleicht musst du ja auch ausgerechnet über diese Themen schreiben, und da müsstest du dich dann vorbereiten, informieren, du müsstest recherchieren, und ganz klar: das nervt. Ist anstrengend. Puh!

Geil vs. Ungeil

Vielleicht irre ich aber auch und dir ist völlig bewusst, was du da von dir gibst und was für einen Haken das hat. Denn klar, Anti-Feminismus bringt Klicks. Kommentare. Das Internet ist voll von Menschen, die nur drauf warten, dass ihre oft nicht sehr weit über den Tellerrand hinausgehende und mitunter sehr fragwürdige Meinung medial gestützt wird. Die sich freuen, wenn sie nicht dazu gezwungen werden, angestaubte und komplizierte Theorien zu lesen, sondern erfrischendes Gemecker. Frech formuliert, knackige Überschrift, so total 2015, noch ein Foto der Autorin dazu (immerhin war die ja mal Model) – und los geht’s! Endlich wird man mal nicht darauf aufmerksam gemacht, was alles scheiße ist, was alles schief läuft, was alles noch getan werden muss (denn das ist ja immer: anstrengend, langweilig und sehr ungeil). Stattdessen ist da diese stylische Frau, gerade mal 23 Jahre jung und schon gleichzeitig Journalistin, Bloggerin und Autorin, die mal ordentlich losmeckert. Sehr, sehr geil! Ich muss nicht viele deiner Artikel lesen, Ronja, um die Nische zu erkennen, in die du dich schreibst. Oder in die du gedrängt wirst? Du bist eindeutig die, die ganz offen das auf den Tisch klatscht, was „alle denken“. Na endlich, guckt mal da, im Internet, da ist eine Frau, die ist so frech und selbstbewusst, so emanzipiert und modern, und die schreibt auch noch, was ICH denke! Dann kann das ja nicht falsch sein! Hab ich’s doch gewusst, meine Meinung ist voll angesagt!

That is your Privilege

So weit, so klar. Mehr Info suche ich jetzt nicht, denn du weißt ja: die Medien sind so schnell, die Zeit rast, ich muss weiter tippen. Hättest du allerdings ernsthaft recherchiert und zum Beispiel das Buch von Anne Wizorek, auf das du dich (so nehme ich an) beziehst, auch gelesen, dann müsstest du nicht mehr bemängeln, dass du das Zitat „Ein Mann sagte mir, ich könnte gut ein Dirndl ausfüllen“ für „einen etwas mageren Plot für ein ganzes Buch“ hältst. (Spoiler: Das Zitat wird im Buch zwar erwähnt, ist aber weder  gesamter Plot noch Anlass gewesen.)

Wenn allerdings etwas mager recherchiert ist, dann wirft das manchmal Fragen auf. Warum genau findest du es beispielsweise „albern“, wenn unter #aufschrei auf sexuelle Gewalt aufmerksam gemacht wird? Bloß, weil du nicht unmittelbar davon betroffen bist? Ist das deine grundsätzliche Herangehensweise an Themen? Betrifft mich nicht, find ich blöd?

An sich ist diese Tatsache ja erst einmal super. Du schreibst auch, dass du „einfach selbst noch nie erlebt [hast], dass Frausein ein Nachteil ist“. Zweifelsohne tiptop! Je mehr Frauen es gibt, die solche Sätze von sich geben können, desto besser; denn genau so sollte es sein. Nun befindest du dich allerdings allein durch diese Aussage in einer privilegierten Position. Nicht alle Menschen haben so ein Glück. Ich will nicht mit Fakten und Statistiken nerven, aber es ist Tatsache, dass sehr viele Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Und es ist Tatsache, dass sehr viele Menschen in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von Sexismus oder sexueller Gewalt werden.

Aber keine Sorge, Ronja, denn wenn man sich gerade mittendrin befindet, kann man eine privilegierte Position oft gar nicht als solche erkennen. Ist halt so, voll normal. Wozu sollte man da noch weiter forschen? Wenn gerade die Pizza serviert wird, denkt man ja auch nicht an hungerleidende Menschen.

Was ist jetzt mit dem Egoismus?

Ich glaube aber, dass du gar nicht allzu weit davon entfernt bist, deine Privilegien als solche zu erkennen. Gut, ich geb’s zu, ich hab jetzt doch noch ein bisschen im Internet gestöbert. In einem Interview sagst du: „Es sind nicht alle so wie ich, manchmal vergesse ich das.“ Schau an, genau das meine ich. Und es passt auch zum Einstieg in deinen Artikel: „Ich bin keine Feministin, ich bin Egoistin.“ Ja! Voll radikal, außerdem ehrlich, finde ich gut. Da weiß man gleich, woran man ist. Und das wird man ja wohl noch sagen dürfen! Ob nun Egoismus tatsächlich so eine super Sache ist, sei dahingestellt. Zumal du später im Text darüber meckerst, dass „der Kampf des Individuums um sein Glück“ (also exakt dein Bestreben?) an „die Stelle des Kampfes um Frauenrechte“ getreten sei, und das findest du dann wieder „egoistisch und unromantisch“. Also ist es jetzt doch nicht gut, egoistisch zu sein? Oder bist du dir einfach nicht sicher? Und wenn Egoismus nun doch nicht so gut ist, ist es dann nicht voll super, wenn man sich auch für Menschen einsetzt, die nicht man selbst sind? Denn dich irritiert ja immerhin, dass heutzutage für „eine obskure, dritte Instanz“ gekämpft wird und nicht nur für sich selbst, so wie früher. Der_die kritische Leser_in könnte bemerken: Moment, da war doch vorhin noch die Sache mit dem individuellen Glück, für das heute ausschließlich gekämpft wird! Irgendwie passt das alles nicht zusammen.

Machen wir weiter, du schreibst, dass du das „Gendern der Sprache (…) ausgesprochen hässlich“ findest. Ja. Ich gebe zu, damit habe ich mich auch lange schwer getan. Da verändert sich dann ja auch etwas, das man schon sehr lange kennt und woran man sich gewöhnt hat. Aber da ja auch dein Werkzeug die Sprache ist, weißt du sicher, dass darüber unser Denken geformt wird, richtig? Ein Beispiel: Würde ich nun irgendwo lesen, dass du gemeinsam mit anderen Autoren das Schreiben studierst, dann würde ich mir vorstellen, dass du inmitten von, nun ja, Autoren sitzt. Also Männern. Stimmt nicht? Sind auch Frauen dabei? Also ehrlich, manche Probleme sind ja wirklich schier unlösbar, aber an diesem lässt sich arbeiten, indem man einfach bloß „Autor_innen“ schreibt. Und da gewöhnt man sich auch viel schneller dran als gefürchtet. Ich jammere auch regelmäßig bei iOS-Updates und kann mich ein paar Stunden später schon nicht mehr an das alte Design erinnern.

Wie, was, Sexismus?!

Oft ist es ja so, dass trollige Kommentare unter feministischen Texten eine unmittelbare Rechtfertigung für ebenjene feministischen Texte bieten. In deinem Artikel kann man sich die Kommentare sparen, denn du lieferst selbst schon ausreichend Rechtfertigung für Feminismus. „Wenn Firmen ihre Produkte mit nackten Frauen bewerben, halte ich das für gerechtfertigt, offensichtlich gibt es ja den Markt dazu“, schreibst du nämlich. Ungefähr alles an dieser Aussage finde ich ganz gruselig. Erstens rechtfertigst du etwas allein dadurch, dass es „einen Markt dazu“ zu geben scheint. Und zweitens offenbarst du hier, dass du ganz schön tief drin steckst in den Mustern, nach denen die Welt und die Werbeindustrie funktionieren: die Reproduktion patriarchaler Strukturen und die sexuelle Objektifizierung von Frauen. Du hältst das für normal, weil du es nicht anders kennst. Die Gefahr des Sexismus besteht nicht darin, dass er an jeder Ecke auffällt  – sondern dass er im genauen Gegenteil eben nicht auffällt. Weil das ja schon immer so gewesen ist, meine Güte, dann packen wir hier jetzt halt noch Brüste auf das Werbeplakat für (hier ein beliebiges Produkt von Bockwurst über Holzleim bis zum Online-Urlaubsportal einsetzen). Gründe, mal abgesehen vom „Markt“? Ganz ehrlich? Ich bin gespannt.

Hierzu passt auch „Das Bild vom bösen Chef, der seine Sekretärin lieber ein bisschen angrabbelt als befördert“. Das „erscheint mir fremd wie eine Welt, die ich nur aus Loriot-Sketchen kenne“, schreibst du. Back again, diese Geschichte mit den Privilegien und dass man sie oft nicht bemerkt, du weißt Bescheid.

Du kommst auf die von diesem Emma“-Artikel geforderte Frauenquote im Cockpit zu sprechen, ja, das war ziemlich überflüssig und in dem Moment auch etwas pietätlos. Allerdings gehst du hier davon aus, dass alle Feminist_innen grundsätzlich alles abnicken, so lange nur das Label Feminismus dransteht. Du redest immer von „dem Feminismus“. Aber, Ronja, so traurig das ist: „den“ Feminismus gibt es gar nicht. Es ist nicht so, dass man einen Alice-Schwarzer-Vertrag mit lebenslanger Laufzeit unterschreiben muss, und wir sind auch nicht alle bei Femen mit dabei.

Da.Stimmt.Was.Nicht

Also nächster Punkt, an dem man sich aufhängen kann:

Der Feminismus kämpft „nicht mehr für Gerechtigkeit, sondern um Aufmerksamkeit“. Ja, echt mal, dieser gemeine, aufmerksamkeitsgeile Feminismus, der hat doch bestimmt Minderwertigkeitskomplexe!!

Aber, aber. Aufmerksamkeit kann doch durchaus etwas sein, für das es sich zu kämpfen lohnt, oder? Ich meine, warum hast du so eine catchy Überschrift gewählt – damit dein Artikel von möglichst wenigen Menschen gelesen wird? Eher nicht.

Es ist eben einfach so: um etwas verändern, bewirken zu können, muss man erst einmal gesehen, gehört oder gelesen werden. Im stillen WG-Kämmerlein Parolen zu brüllen bringt ja nix. Und besonders in Zeiten, in denen man schnell den Eindruck bekommt, dass schon alles erledigt ist, muss man lauter werden. Es ist halt nicht mehr so total offensichtlich wie damals in Zeiten des „Birkenstock-Feminismus“.

Frauen dürfen Hosen tragen, wählen und arbeiten gehen, und das on top of it in einem Land, in dem „der mächtigste Mensch eine Vagina hat“, wie du schreibst. Mit Aussagen wie „Die Frau gehört hinter den Herd!“ bekleckert man sich heutzutage nicht mit Ruhm (zumal die Präposition auch einfach wenig Sinn ergibt), denn wir sind ja wohl voll emanzipiert, voll am Start, voll 2015.

Und ganz ehrlich: natürlich wär’s total entspannt, wenn es nix mehr zu tun gäbe. Wenn all die „uncoolen Waldorf-Mütter“ in ihren „Latzhosen“ damals einfach schon alles geklärt hätten. Aber so ist es nun einmal einfach nicht. Das ist schade, das ist vielleicht auch frustrierend, denn es wurde doch verdammt noch mal schon so viel getan.

Eben genau so viel, dass die ganz offensichtlichen Gründe verloren gegangen sind, die, über die man sich guten Gewissens lautstark empören konnte. Heute ist das alles viel diffuser, viel subversiver geworden. Es läuft eher so nebenbei, man kriegt das – wie du – gar nicht richtig mit. Und es ist echt anstrengend, ständig genau hinzusehen und etwas zu hinterfragen, das bisher einfach so hingenommen wurde.

Die alte Leier der vermeintlichen Opfer

Zurück zu dir, Ronja. Du kennst viele erfolgreiche Frauen, und „Keine von ihnen ist Feministin, weil sich keine von ihnen je in einer Opferposition gesehen hat.“ Schon wieder eine Frage: warum muss man sich denn in einer Opferposition sehen, um Feministin zu sein? Das habe ich bisher noch nicht getan. Ich hoffe, du glaubst mir trotzdem, wenn ich sage, dass ich Feministin bin.

Feminist_innen drängen sich nicht in eine Opferrolle, sie tun das Gegenteil. Sie erkennen, dass etwas ungerecht ist, wollen es verändern und bieten sogar konkrete Lösungsvorschläge an. Frauenquote, zum Beispiel. (Als Mittel zum Zweck übrigens und nicht etwa, weil wir es für etwas ausgesprochen Cooles halten.)

„Ich glaube, dass das Einkommen keine Frage des Geschlechts ist, sondern ob man sich Geschlechterklischees entsprechend verhält.“ Sehr gut, Stichwort Geschlechterklischees. Die sind auf jeden Fall blöd, sozusagen eine Art Feindbild. Findest du auch? Feminist_innen setzen sich unter anderem dafür ein, dass Männer wie auch Frauen nicht auf diese sozial konstruierten Rollenbilder beschränkt sind, dass jede_r so sein kann, wie er_sie möchte. Das bedeutet aber auch, dass man sich den „Geschlechterklischees“ entsprechend verhalten darf, ohne dass sich dies aufs Einkommen auswirkt. Findest du nicht gut? Oder meinst du mit Geschlechterklischees, dass es eben tatsächlich so ist: Während Frauen dümmlich kreischend beim Schuhkauf sind, tun Männer sehr intelligente Dinge auf Chefsesseln? In dem Fall ist natürlich klar, wer mehr verdient. (Schon wieder Spoiler: so ist es aber eben nicht.)

Wir sind angekommen beim größten Problem, das der Feminismus hat: er wird zu oft nicht verstanden. Von dir nicht und von vielen anderen Menschen ebenso wenig. Dabei ist es doch gar nicht so schwer. Es geht „um die politische, ökonomische und soziale Gleichheit der Geschlechter“. Das ist ein Zitat aus Anne Wizoreks Buch „Warum ein #aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute“ (übrigens ganz ohne Einhorn-GIFs, versprochen). Vielleicht schaust du da mal rein.

Wenn du nach wie vor lieber keine Feministin sein möchtest, dann wird dich niemand dazu zwingen.

Du möchtest aber nach wie vor Journalistin, Bloggerin und Autorin sein? Das ist super. Allerdings wünsche ich mir in diesem Fall wirklich, dass du über zwei Sachen nachdenkst: erstens, dass man als in der Öffentlichkeit stehende_r Journalist_in und Blogger_in eine gewisse Verantwortung trägt. Ich weiß, die Presse hat ne harte Zeit hinter sich. Aber daher umso wichtiger, darauf zu achten, oder?

Und zweitens kann es als Autor_in nicht schaden, die Innenschau auch mal zu unterbrechen. Über den Tellerrand zu schauen. Das Sichtfeld zu weiten, es sich nicht nur möglichst einfach zu machen. Ich weiß, das ist krass, weil da draußen alle anders sind als man selbst. Aber glaube mir, es ist die Mühe wert.

Liebe Grüße,

Svenja

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf Svenja Gräfens Blog svenjagraefen.de. Auf ihrem Blog dreht sich alles um Kulturthemen, kein Wunder schließlich studiert sie Kultur- und Medienbildung und leitet Workshops für kreatives Schreiben.

 

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