Ein Historiker erklärt, warum in einer Gesellschaft alle davon profitieren, wenn Armut bekämpft wird und warum das bedingungslose Grundeinkommen die optimale Lösung dafür bietet.
Macht Geld klüger?
Arme Menschen treffen schlechtere Entscheidungen. Das sagt jedenfalls Rutger Bregman, Journalist und Historiker aus den Niederlanden. Genau deshalb bräuchten wir das bedingungslose Grundeinkommen, lautet die ungewöhnliche These des 29-Jährigen.
In seinem neuen Buch „Utopie für Realisten“ fordert der Autor zudem eine 15-Stunden-Woche für Angestellte. „Wenn man sich die Fakten anschaut, wird klar: Arme Menschen erziehen ihre Kinder schlechter, sie ernähren sich schlechter und machen häufiger Schulden“, sagte Bregman im Gespräch mit Business Insider. Seine Lösung: „Gebt den Menschen einfach das Geld.“ Das sei der einfachste Weg, Armut zu bekämpfen.
„Wir sollten weniger arbeiten, um mehr machen zu können.“
Das Problem unserer Arbeitswelt sei, dass wir Arbeit darüber definieren, Geld zu verdienen, sagt Bregman. Dabei rücke das eigentlich Wichtige in den Hintergrund: Etwas Wertvolles im Leben zu schaffen. „Was wäre, wenn wir Arbeit darüber definieren würden, statt über Geld?“, fragt er. Um das zu erreichen, sollten wir vielleicht etwas mehr unbezahlte Arbeit leisten und etwas weniger bezahlte. Dazu brauch eine Gesellschaft jedoch das Grundeinkommen. „Wir sollten weniger arbeiten, um mehr machen zu können“, fordert der Niederländer.
Studien zeigen, dass arme, indische Bauern nach der Ernte im Schnitt 14 IQ-Punkte mehr aufwiesen, als vorher. Das habe viel damit zu tun, dass die Bauern den Großteil ihres Jahresgehalts erhalten hatten, und damit ihre kognitive Leistung nicht dafür „verschwenden“ mussten, sich über ihre finanzielle Absicherung Sorgen zu machen. „Für mich bedeutet das: Wenn wir Armut den Kampf ansagen, wird es eine explosionsartige Ausbreitung von Intelligenz, Ehrgeiz und Kreativität geben“, so der Autor.
„Alle Menschen sind auf ihre eigene Art kreativ“
Bregman ist sicher: Von einem Grundeinkommen würden nicht nur arme Menschen profitieren — sondern auch die Reichen: „Wenn man in einem Land ohne obdachlose Menschen und mit einem höheren Durchschnitts-IQ lebt, ist das eine reichere Nation mit wesentlich besserem Lebensstandard. „Armut zu beenden ist günstiger, als Armut existieren zu lassen, das zeigen auch die Zahlen“, begründet er seine Ansicht.
Bregman ist überzeugt: Jeder Mensch hat eine oder mehrere Leidenschaften, denen er gern nachgehen würde — wenn er nur nicht so viel arbeiten müsste. Alle, die das Gegenteil behaupten, sind für den 29-Jährigen elitär — das hätten Aristokraten im 19. Jahrhundert ebenfalls gesagt, erklärt er. „Alle Menschen sind auf ihre eigene Art kreativ, alle Menschen wüssten, was sie mit ihrer Zeit anfangen können. Oft fehlt es ihnen aber an den richtigen Mitteln dazu“, sagt der Journalist.
Leidenschaften ausleben
Allein bei den Experimenten zum Bedingungslosen Grundeinkommen zeige sich, dass die Menschen ihre Zeit gut nutzen und ihre Kreativität frei ausleben würden. Was als wertvoller Beitrag zur Gesellschaft gilt, könnten die Menschen selbst entscheiden, meint Bregman. Diese These sieht er von Umfragen untermauert, die zeigen, dass mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer ihren eigenen Job als sinnlos bezeichnet. „Und damit haben sie wahrscheinlich auch noch recht“, sagt er.
Besonders das Bildungssystem würde sich durch eine Grundabsicherung aller Bürger wesentlich verbessern, meint Bregman. Das liege unter anderem daran, dass mehr Menschen studieren würden, worauf sie wirklich Lust haben, statt danach zu entscheiden, wo es sichere Arbeitsplätze gibt. „Schon als Kinder wären die Menschen viel befreiter und wären weniger Druck ausgesetzt.“
Wofür braucht ein Millionär ein Grundeinkommen?
Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm fragte kürzlich im Gespräch mit Business Insider betont kritisch, was Millionäre eigentlich mit dem Grundeinkommen anfangen sollten. Dazu sagt Bregman, dass es durchaus einen Sinn habe, dass auch reiche Menschen einen Anspruch darauf haben. „Der Millionär bezieht ein Grundeinkommen, aber rein wirtschaftlich finanziert er vielleicht fünf Menschen ihres.“
Bregman sieht unsere Gesellschaft schon auf dem halben Weg zum Grundeinkommen, weil unser Sozialsystem den Menschen bereits eine Grundabsicherung gibt. Trotzdem kann er es nicht erwarten, dass jeder Mensch das Gleiche erhält. „Mit einem Grundeinkommen für jeden würde auch das Stigma gegen arme Menschen wegfallen“, sagt er. Ein Faktor, der es armen Menschen zusätzlich erschweren würde, sich aus der Armut zu befreien. „Oft schämen sich die Menschen dafür, Sozialleistungen zu beziehen.“
Wie steht es um Migranten?
Auch Diskussionen um Menschen, die durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland dazu motiviert werden könnten, aus Deutschland auszuwandern, um sich so Sozialleistungen zu erschleichen, kann Bregman nicht nachvollziehen. „Ich würde zuallererst die Migranten fragen wollen, ob das wirklich der Grund für ihre Entscheidung ist. Denn sie wollen bestimmt — wie alle anderen Menschen auch — ihrem Leben einen Sinn geben und zur Gesellschaft etwas Wertvolles beitragen.“ Sollte ein Grundeinkommen vorerst auf nationaler Ebene eingeführt werden, empfiehlt er jedoch, es an die Staatsbürgerschaft zu knüpfen.
Diese Diskussion sei jedoch nicht auf das Bedingungslose Grundeinkommen beschränkt, sie würde bereits seit Jahren auf der Grundlage des Sozialstaats geführt. Wesentlich komplizierter würde es durch eine Grundabsicherung nicht werden, meint der Experte.
Wer putzt in Zukunft noch Toiletten?
Besonders durch den Zuspruch von wichtigen Unternehmern wie Mark Zuckerberg, Elon Musk oder Richard Branson habe das Konzept des Grundeinkommens eine gute Chance, bald umgesetzt zu werden. Über die Frage, wer in einem Staat mit Grundeinkommen überhaupt noch Klos putzen will, freut sich Bregman immer am meisten, sagt er. Das sei einer der besten Punkte am Bedingungslosen Grundeinkommen. „Mit einer Grundabsicherung kann jeder Mensch einfach streiken, auch die, die bislang dafür ihren Job verloren hätten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die wirklich wichtigen Jobs wie Pädagogen, Pfleger, Müllmänner und Reinigungskräfte viel lukrativer werden.“
Das seien gleichzeitig die Menschen, die ihren Job mögen, also würden sie ihn weiterhin ausführen — allerdings zu besseren Konditionen. Und wenn jeder anpacke reichten dafür auch 15 Stunden pro Woche.
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