Foto: Center of Excellence Women in Science | CEWS

‚Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!’ | Wirklich?

Sorry, aber ich kann es nicht mehr hören! Ich möchte endlich wieder mehr inhaltlich arbeiten. Da werden zum Beispiel von den Systembewussten mühsam 3-7 Teilnehmerinnen in einer großen deutschen Hochschule zusammengetrommelt, angemessene Staatsgelder für hochqualifizierte Coaches investiert, viel Herzblut von überwiegend weiblichen Programmgestaltenden eingebracht und dann diese Frage: ‚Warum dürfen hier keine Männer teilnehmen?’

 

Schon die Gewinnung zur Teilnahme scheint ein Politikum zu sein und ist immer stärker werdende Überzeugungsarbeit. Und das im Jahr 2018 zum erst 100-jährigen Frauenwahlrecht! Da wird zum Beispiel der Gender-Pay-and-Pension-Gap rund heraus von Wissenschaftler_innen klein geredet und als Ungleichheitspolitik mit statistischen Mitteln dargestellt. Da sind sich Banken nicht zu schade, vor das Bundesverfassungsgericht (sic!) zu ziehen, um Papier, Tinte und die Formulartexterinnen und –texter zu schonen, indem die Kundin weiter mitgemeint bleibt. Da wollen Frauen an exzellenten strategischen Karriereveranstaltungen zur Stärkung ihrer Forschungsförderung nicht teilnehmen, wenn dort nicht auch Männer zugelassen sind.

Von der positiven Seite betrachtet, kann man das durchaus als Gewinn sehen: Die Gleichstellungsaktivitäten, um Frauen nicht nur die gleichen Chancen zu geben, sondern auch in der Realität zum Vollzug beizutragen, scheinen gefährlich erfolgreich zu werden. Denn sonst machte sich gar niemand die Mühe, sich aufzuregen.

GRUNDSATZDISKUSSIONEN AUF KOSTEN DER STRATEGIEENTWICKLUNG

Da wird man ständig mit der Frage in Veranstaltungen konfrontiert, warum denn nun nicht auch Jungs hier mitspielen durften, obwohl genügend Zahlen und Grafiken vorliegen, die sichtbar machen, dass das Geschlecht einen Unterschied macht in der Karriereentwicklung. Netzwerke wären doch aber auch für die Burschen wichtig und der Kollege wäre auch so gerne mitgekommen, hat er doch noch Bedarf, wie er sich noch besser sichtbar machen kann. Und überhaupt fühlte Frau sich auch gar nicht benachteiligt. Schließlich dürfe sie ja, wenn sie nur wolle, auch überall mit rein. Und dass sie nicht immer wolle, hätte ja auch gute Gründe: Die respektlosen Umgangsformen, die unzumutbaren Gremienzeiten, die Arbeitslast… jemand müsse sich solchen Dingen ja auch nicht aussetzen. Dazu gäbe es ja genug Alternativen und man wäre ja ein freier Mensch in der Entscheidung! Nein, von dem alten ‚Arrangement der Geschlechter’ hätte man sich doch weit entfernt und der ganze Gendertrouble würde doch nur alle unnötig vor den Kopf stoßen.

Ja, wir sind emanzipiert genug, im vorausseilenden Ungehorsam, die Macht nicht zu ergreifen und anderen zu überlassen, wie sich die Welt weiterentwickelt. Ehrlich?

WARSCHAU KAPITÄN, LICHT!

Wenn ich in Coachings bitte, mir kurz, knapp und ganz spontan ‚Kapitän Hansen’ zu beschreiben, so hat dieses Bild fast immer einen alten Bart. Ein Mann, so um die 60 Jahre mit Prinz-Heinrich-Mütze und Pfeife im Mundwinkel (übrigens auch in Süddeutschland). Ruhig, gediegen, stoisch. Seine Ressourcenausstattung ist beinahe immer mindestens ein Frachter, seitdem die Windjammer nur noch in der touristischen, sportlichen und militärischen Seefahrt unterwegs sind. Bitte ich darum, mir als Gegenbild Kapitänin Hansen im Anschluss zu beschreiben, bemerken viele sofort die sprachliche Falle und rudern gern zurück. Nun ja, Bart wohl eher nicht, Prinz-Heinrich-Mütze, schwer vorstellbar. Auf ihrer Frachterbrücke stehend? Die Vorstellung kostet oft zunächst einige Mühe. Mit ein bisschen Übung kann das Bild aber gehalten werden.

Es geht in der Regel in der Praxis nicht um eine bewusste Bevorzugung von Männern, sondern um die unbewusste, weil systemimmanente Stabilisierung von Rollen in der Gesellschaft. Nein, Männer bekommen nicht mehr im Job angeboten an Ressourcen, weil sie Männer sind. Sondern weil in geistigen, unsichtbaren Vorstellungen und selbstreferentiellen Annahmen von Entscheidungstragenden der Mann z. B. als potentieller oder real ausübender
Vater eine Familie zu versorgen hat, die durch sein Gehalt mitfinanziert wird
oder werden sollte. Das Ehegattensplitting verstärkt diesen Effekt und behindert zunehmend Frauen in der Weiterführung ihrer in der Regel geringer entlohnten Berufstätigkeit.

DER ANDROGYNE EMPOWERMENTTIPP

Ja, es gibt sie, die Männer, die auch strategische Netzwerkberatung brauchen und Schreibtrainings und Kommunikationstrainings und Drittmitteltrainings und so weiter. Diese Angebote für beide Geschlechter gibt es. Man muss sie nur
recherchieren und kann diese dem Kollegen dann kollegial zusenden, wenn dessen Vorgesetzte oder Vorgesetzter ihre bzw. seine Fürsorgepflicht und Personalentwicklungsaufgabe nicht erfüllen sollte, des Kollegen Peergroup nicht funktioniert und er auch keinen Mentor oder eine Mentorin in der Hinterhand hat. Und alleine diese vermeintliche Isolation sollte schon zu denken geben.

Dazu bedarf es aber nicht, strategischen Frauenfördermaßnahmen die Existenzberechtigung abzuerkennen. Für jeden und jede das Gleiche haben zu wollen, bedeutet noch lange nicht, für alle das Beste zu bieten. Es wäre angemessener, diversifizierte Förderstrukturen als Bereicherung zu betrachten,
da dadurch auch vielschichtige Lernmilieus mit individuellen Bezügen entstehen.
Zudem verringern spezifische Frauenfördermaßnahmen auch nicht die Ressourcen für die Teilnahme. Im Gegenteil erhöhen sie diese. Auch darüber wäre eher Freude angebracht, als offener Kampf und Diskreditierung.

Jene, die sich nicht benachteiligt fühlen, könnten gegebenenfalls in aller Ruhe und nur für sich alle informellen und formalen Förderungen skizzieren, auflisten
und bewusst machen, die ihnen bereits zu Teil wurden. Nachteile und unsichtbare Barrieren kann man in der Regel dann ganz gut wahrnehmen, wenn man sich der vielfältigen unsichtbaren Brücken und Vorteile bewusster wird. So könnte auch deutlich werden, dass d
er Vorteilsakkumulation von Männern teils unbewusste, teils bewusste Benachteiligungen von Frauen gegenüberstehen.

Und jeder und jede könnte sich auch – nur mal so als Gedankenexperiment –
überlegen, was er bzw. sie tun würde, sollten durch sehr unglückliche Umstände
die bisherigen Förderer und Fördererinnen plötzlich alle auf einmal wegfallen.


Dieser Beitrag erschien zunächst im Blog von karrierekunst.

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