Sind Smartphones Segen oder Fluch? Mit dem neuen Trend des „Quantified Self“ ist die Frage beantwortet. Wir treten in eine Phase der Selbstüberwachung ein.
So bleiben, wie ich bin? Bloß nicht!
Ines Zöttl kommentiert für unseren Partner Capital den steigenden Druck, sich selbst optimieren zu müssen:
In den 80er-Jahren tänzelte durch mein Wohnzimmer öfters eine fröhliche junge Frau. „Ich will so bleiben, wie ich bin“, sang dazu der Chor und versicherte mir dazu vielstimmig einstimmig: „Du darfst.“
Heute würde sich kein Hersteller mehr trauen, jungen Frauen damit zu kommen. So zu bleiben, wie man ist, gilt nicht mehr als Errungenschaft, sondern als gesellschaftliches und persönliches Versagen. Oder gleich als Charakterdefizit. Früher, da hat man sich exakt einmal im Jahr vorgenommen, alles anders und vieles besser zu machen, aber spätestens am 3. Januar war man wieder gut drauf.
Und wenn man es geschafft hatte, die darauffolgenden zwölf Monate so zu bleiben, wie man war, war’s ein gutes Jahr. Heute aber ist der Mensch eine Eigenmarke, und für die gilt: Stillstand ist Rückschritt. Was sich nicht verkauft, fliegt aus dem Regal.
Self-Improvement, dann Selbstoptimierung
Es hat harmlos begonnen mit Selbsthilfebüchern. Die haben zwar niemandem geholfen, aber in nur in seltenen Fällen geschadet. Daraus erwuchs die Forderung des Self-Improvement. Weil da natürlich niemand weiterkam, versucht man es seitdem mit Selbstoptimierung. Es gibt Schätzungen, wonach in Korea schon die Hälfte aller Frauen unter 30 sich einer Schönheitsoperation unterzogen haben. Da ist man froh über die Gnade der frühen Geburt.
Aber das Rumschnippeln am eigenen Körper ist nur ein minimaler Ausschnitt des Selbstoptimierens. Entscheidend ist, dass die „Produktionsmaschinen Abweichungen im Fertigungsprozess und in den Werkstoffen eigenständig erkennen und sich selbst korrigieren“, wie die Industrie das beschreibt. Ganz wie im wirklichen Leben. Manage yourself zum besseren Ich! Sei klüger, erfolgreicher, schneller, dicker oder dünner. Verändere die Karriereplanung, das Auftreten, die Rhetorik, die eigene Verkaufe, das Familienmanagement, den Umgang mit dem Chef. Egal wohin, aber in sieben Schritten, drei Stufen, 18 Regeln, zehn Weisheiten oder 25 Units. Es gibt keine Defizite, nur Potenziale. Alles Einstellungssache.
Eine neue Gefahr für das Selbst
Diese Welle konnte man als gefestigter Verweigerer noch abwettern im Vertrauen darauf, dass am Ende immer das Beste für einen selbst siegt. Wer zum Beispiel spricht heute noch von „positive thinking“? Schließlich waren es diese superpositiven Banker, die die Welt fast in den Abgrund gerissen haben. Nehmt das, ihr Optimisten!: „Unglücklichsein. Eine Ermutigung“ des Philosophen Wilhelm Schmid. Oder „Happiness for people who can’t stand positive thinking“ von Oliver Burkeman.
Jetzt droht dem Selbst eine neue Gefahr. Das Quantified Self ist aus Amerika zu uns gekommen. Die Selbstvermessung. 90 Gruppen in 28 Ländern soll es angeblich schon geben, die akribisch die Zahl der eigenen Schritte und Stuhlgänge tracken. Oder besser gesagt, tracken lassen: Mit Apps wie Pedometer oder Sleep101. Am Ende bildet sich so ein Bewegungsprofil des Ichs. Aber will man dieses Ich wirklich kennenlernen? Und dann noch bleiben, wie man ist, auch wenn man darf?
Es entsteht ein riesiger neuer Markt. Zum Beispiel für Krankenversicherungen. Früher wurde gefordert, dass Risikosportler höhere Beiträge zahlen sollen. Demnächst trifft das diejenigen, die nicht fünf Mal am Tag mindestens 500 Milliliter Wasser lassen. Das Smartphone ist die Stasi des Internets. Der scheinbar beste Freund. Immer am Mann (Frau), für alles eine App, total aufnahmefähig. Ich wollte so bleiben, wie ich bin. Ich darf nicht.
HINWEIS: Die Veröffentlichung des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Capital – Das Online-Portal des Wirtschaftsmagazins Capital mit Reportagen, Analysen, Kommentaren aus der Welt der Wirtschaft und der persönlichen Finanzen.
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