Foto: Julia Rotter

So schafft ihr es, euch endlich nicht mehr im täglichen Stress eurer To-do-Listen zu verlieren

Der Begriff der Achtsamkeit wird derzeit ganz schön strapaziert – Britta Hölzel ist Neurowissenschaftlerin und Meditationslehrerin und erklärt, welche Effekte auf Körper und Psyche sich mit Achtsamkeitstraining erzielen lassen.

 

Meditation in den Neurowissenschaften

Britta Hölzel forscht seit Jahren über den Einfluss von Achtsamkeitsmeditation auf das Nervensystem – nach einem Psychologiestudium promovierte sie am Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen. Als Wissenschaftlerin untersucht sie die neuronalen Mechanismen der Achtsamkeitsmeditation mittels magnetresonanztomographischer Aufnahmen.  Außerdem ist sie „Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR)“- und Yoga-Lehrerin.  Sie arbeitete fünf Jahre lang an der Harvard Medical School in Boston, seit einigen Jahren lebt sie nun mit ihrer Familie in München. Dort forscht sie an der TU München und gibt Achtsamkeitskurse und –workshops. Christiane Wolff hat mit ihr gesprochen. 

Ich möchte heute gerne über Veränderungen
mit dir sprechen.
Was hat Mediation bei dir bewirkt und welche Veränderungen
gibt es dadurch in deinem Leben? 

„Sie
hilft mir dabei, bewusster und mit offeneren Augen durchs Leben zu gehen. Wie
häufig sind wir gedanklich nur damit beschäftigt, was als nächstes getan werden
muss? Zum Teil sind solche Gedanken natürlich notwendig. Wenn sie aber
übermächtig werden, dann verpassen wir es dabei, unser eigenes Dasein auf der
Welt zu genießen. Meditation hilft mir dabei, aus dem inneren Strudel
auszusteigen und ganz bewusst in Kontakt mit dem einfachen Sein zu kommen. Sie
hilft außerdem dabei, dass ich mir meiner Muster bewusst werden, mit denen ich
mir manchmal das Leben selbst schwerer mache.“ 

Wie bist du überhaupt auf das Thema Meditation
gekommen? Und warum wolltest du es dann gleich wissenschaftlich untersuchen?

„Ich bin mit der Meditation während einer längeren Indienreise nach dem Abitur
in Kontakt gekommen – dort war ich in einem Ashram, wo wir täglich Yoga und
Meditation praktiziert, und zudem über die Yogaphilosophie gelernt haben. Ich
war begeistert von den Effekten, die ich am eigenen Leib gespürt habe und
gleichzeitig hat es mich gewundert, dass diese uralten Techniken in der
westlichen Psychologie so wenig wahrgenommen wurden. Ich wollte mehr darüber
wissen, wie Meditation wirkt, und dieses Wissen anderen Menschen zugänglich
machen.“

Was hat die Erfahrung in Indien mit dir
gemacht und wie hat sich dadurch dein Leben verändert?

„Es hat mein Interesse gestärkt, besser zu verstehen, wie
unser menschlicher Geist funktioniert. Und wie wir ihn dabei unterstützen
können, gesund und freier zu werden. Wir sehen typischerweise die Welt und
unsere Erfahrungen durch die Brille der eigenen Erwartungen. Wir haben konkrete
Vorstellungen davon, wie unsere Erfahrung sein sollte. Und sind dann im
Konflikt mit unserem Erleben, wenn es nicht unseren Erwartungen entspricht.
Wenn wir von diesen Mustern ablassen, können wir offener erleben und
neugieriger auf die eigentliche Wirklichkeit sein. Dieses Verständnis erlebe
ich als große Bereicherung in meinem Leben.“

Du nennst das Ganze nun Achtsamkeits-Forschung
und -Praxis. Achtsamkeit ist ja so ein arg strapaziertes Wort aktuell. Was
verbindest du genau damit?

Achtsamkeit wird häufig definiert als das
Gewahrsein, das entsteht, wenn wir unsere Aufmerksamkeit in den gegenwärtigen
Moment bringen. Und wenn wir unseren Erfahrungen eine Haltung der Akzeptanz und
Neugierde entgegenbringen. Ursprünglich stammt die Achtsamkeitspraxis aus der buddhistischen Psychologie. Dort wird sie zum Erlangen von innerer Freiheit
praktiziert. Ja, gegenwärtig ist der Begriff in aller Munde und
Achtsamkeitspraxis wird in vielen Bereichen eingesetzt. Es gibt zunehmend
wissenschaftliche Forschung, die versucht, die Effekte auf Psyche und Körper zu
verstehen.“ 

Was habt ihr bei euren wissenschaftlichen
Untersuchungen herausgefunden?

„Wir haben untersucht, wie
Achtsamkeitspraxis das Gehirn verändert. Zum einen haben wir herausgefunden, dass die
Struktur des Gehirns in manchen Regionen gestärkt wird; zum Beispiel im Hippocampus,
der für Lern- und Gedächtnisprozesse zuständig ist. Zum anderen haben wir auch
gefunden, dass sich die Funktionsweise des Gehirns durch Achtsamkeitstraining
verändert. Solche Veränderungen zeigen sich zum Beispiel in Hirnregionen, die
Aufmerksamkeitsprozesse steuern und solchen, die uns helfen, unsere Gefühle zu
regulieren. Um wirklich Veränderungen in seinem Leben zu
manifestieren, braucht es bis zu 1000 Wiederholungen, sagt man.“

Wie schafft man
es, beim Meditieren so wie bei anderen Dingen, die man im Leben verändern
möchte, dran zu bleiben? Hast du da ein Geheimrezept?

„Es hilft, eine regelmäßige Zeit für die
tägliche Praxis zu finden. Zum Beispiel morgens gleich nach dem Aufstehen oder abends
vor dem Zubettgehen. Wenn man das Gefühl hat, dass man eine 20- oder
30-minütige Praxis partout nicht in den Tag hinein bekommt, sollte man sich
nicht gleich entmutigen lassen, sondern dann einfach mal nur für 10 oder 15
Minuten praktizieren. So dass es sich eben machbar anfühlt. Die Unterstützung durch einen Lehrer kann sehr hilfreich sein und der Austausch mit einer Gruppe
kann helfen, die Motivation zu stärken.“

Wenn ich als völliger Neuling auf das Thema
Meditation stoße: Wie würdest du mich überzeugen, dass ich es ausprobieren sollte?

„Zunächst finde ich es immer wichtig, die
typischen Missverständnisse aufzuräumen und zu erklären, dass es nicht darum
geht, sich in abgefahrene Zustände wegzuträumen. Sondern dass es darum geht,
wach, präsent und bewusst am eigenen Leben teilzuhaben, anstatt sich im Stress
der täglichen to-do-Listen zu verlieren. Das erleben viele Menschen ganz von
selbst als interessant und wert, es mal auszuprobieren.“ 

Und wie kann ich Meditation dann in meinen
Alltag integrieren und wie viel Zeit brauche ich dafür? 

„An sich dauert es gerade immer nur einen Moment, die
Achtsamkeit in den Tag zu integrieren. Jeder Moment bietet uns von neuem die
Möglichkeit, aus den Strudeln des inneren Stresses auszusteigen und anstatt
dessen bewusst und wach im gegenwärtigen Moment anzukommen. Aber es hilft
enorm, eine regelmäßige Meditationspraxis im Tag zu haben. Die Zeit, die man
sich dafür nimmt, kann individuell sehr unterschiedlich sein. Soviel eben
machbar ist. 

Und wie unterscheidest du Achtsamkeit und
Meditation?

„Man könnte den Begriff der Achtsamkeit definieren
als Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment mit einer Haltung der Akzeptanz,
während der Begriff Meditation häufig für die Praxis verwendet wird, um diese
Haltung zu kultivieren. Achtsamkeitsmeditation ist eine Form der Meditation,
neben vielen anderen, wie zum Beispiel solchen, die mit Visualisierungen oder Mantren
arbeiten, oder die darauf abzielen, bestimmte Eigenschaften zu stärken.“

Welche Übungen gibt es für das Thema
Achtsamkeit, die ich in meinen Alltag und vielleicht sogar im Büro integrieren kann?

„Es gibt eine ganze Reihe von Übungen, zum Beispiel die Achtsamkeit auf den Atem, oder auf Körperempfindungen zu bringen. Das heißt, die
Empfindungen im gegenwärtigen Moment bewusst zu spüren, ohne sie zu verurteilen
oder mich von ihnen abzuwenden. Gehmeditationen oder leichte Bewegungsübungen
kann man auch immer gut in den Alltag integrieren.“

Heute soll alles schnell gehen. Wie lange dauert
es denn, bis ich eine Veränderung in meinem Alltag oder in meinem Leben spüren
kann durch Meditation? Und was passiert dann mit mir?

„Die Effekte der Meditation sind tatsächlich oft ganz
unmittelbar. Viele Menschen berichten, dass sie schon nach einer kurzen Übung
bemerken, dass sie sich anders fühlen. Aber die Veränderungen sind natürlich sehr
vielschichtig. Ich bin nach vielen Jahren der Praxis immer wieder überrascht
und begeistert, wie sich immer wieder was Neues zeigt. Es ist eben ein echter
Lebensweg und nicht eine Technik, mit der man irgendwann an einem bestimmten Zielzustand
angekommen ist. Das macht es so interessant und lebenswert.“ 

Wird es bei Frauen anders als bei Männern oder
ist das völlig egal?

„Ich kenne keine Studien, die
Geschlechterunterschiede gefunden hätten, und habe auch in meinen Kursen noch
keine systematischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern erlebt.“

Und hast du vielleicht noch Tipps für den
Alltag, um besser den Stress und die Herausforderungen zu bewältigen?

„In akuten Stresssituationen lohnt es sich, einen Moment innezuhalten und innerlich zurückzutreten. Ein paar tiefe Atemzüge und klares
Spüren, wie es mir eigentlich gerade geht. Dann sind wir weniger durch die
unmittelbaren, auch physiologisch stark wirkenden, Effekte des Stresses
gebunden, sondern können wieder klarer sehen und kreativere Lösungen finden. Und um mit dauernd wirkenden Herausforderungen und Stress
besser umgehen zu können, empfiehlt es sich, Auszeiten zu nehmen, vielleicht in
der Form von kurzen Retreats oder Tagen der Stille. Und eben täglich Zeit dafür
zu nehmen, um die Dinge zu tun, die uns Kraft geben und guttun.“ 

Hand aufs Herz, meditierst du wirklich jeden
Tag?

„Seit meine kleine Tochter auf der Welt ist, komme
ich nicht täglich zu meiner formellen Praxis. Es bieten sich aber unzählige
Momente im Tag für die sogenannte ‚informelle Achtsamkeitspraxis‘ an. Ich kann
zum Beispiel bei täglichen Routine-Tätigkeiten immer wieder in Kontakt mit dem Erleben
im Körper kommen, meinen Atem spüren, mich meinen Gefühlen akzeptierend
zuwenden, und mir darüber bewusst werden, dass ich lebendig bin. Meine
langjährige regelmäßige Praxis in der Vergangenheit hilft ganz sicher dabei,
diese Momente aufzufinden.“ 

Was möchtest du als Nächstes untersuchen und was
möchtest du der Welt als Nächstes erklären?

„Ich würde gerne besser verstehen, wie uns
unser Gefühl von ‚Ich‘ als getrenntes Wesen in der Welt prägt, und was es mit
uns machen kann, wenn sich dieses Empfinden, zum Beispiel durch die Achtsamkeitspraxis, aufweicht. Wir können uns dann stärker mit anderen Menschen verbunden fühlen
und mitfühlender handeln.“

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