Afrikanische Länder kommen in der öffentlichen Wahrnehmung der Klimabewegung meist zu kurz. Das will die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate ändern. Ein Interview.
Von Greta Thunberg inspiriert
Schon vor zwei Jahren verfolgte Vanessa Nakate, wie starke Regenfälle, Überschwemmungen und Erdrutsche das Leben vieler Menschen in ihrer Heimat Uganda zerstörten, wie Dürren ihre Existenzgrundlage bedrohten. Damals studierte sie noch Business Administration an der Makerere Universität in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. „Ich musste etwas tun“, sagt die 23 Jahre alte Aktivistin heute.
Vanessa recherchierte und stieß dabei auf die Fridays-for-Future-Bewegung. Von Greta Thunberg inspiriert, beschloss sie, ihren eigenen Klimastreik in Kampala zu organisieren. Schon in der ersten Januarwoche 2019 stand sie deshalb mit einem selbst gebastelten Plakat vor dem Parlamentsgebäude.
Vanessa beschreibt sich selbst als sehr schüchtern, sie musste sich erstmal daran gewöhnen, dass Passant*innen sie verwundert anstarrten. Sie fragten, warum sie das mache und welchen Gewinn sie daraus ziehen würde. Eine Belastungsprobe für die Klimaschutzaktivistin.
Aus dem Bild geschnitten
Weltweit bekannt wurde Vanessa, als sie im Januar 2020 beim Weltwirtschaftsforum in Davos aus einem Foto der Associated Press herausgeschnitten wurde. Im Originalbild war die Aktivistin neben den europäischen Aktivistinnen Loukina Tille, Luisa Neubauer, Greta Thunberg und Isabelle Axelsson zu sehen. In der später veröffentlichten Version hatte man sie aus dem Bild entfernt. Die anderen vier, die weißen Aktivistinnen, blieben im Bild.
Im Anschluss daran veröffentlichte Vanessa Nakate ein Video auf Twitter, in dem sie der Nachrichtenagentur Rassismus vorwarf. Das Video ging viral und Vanessa wurde über Nacht berühmt. Seitdem nutzt sie die neu gewonnene Aufmerksamkeit, um noch eindrücklicher auf Klimakatastrophen auf dem afrikanischen Kontinent hinzuweisen.
Im Gespräch mit ze.tt erzählt sie, warum wir uns dringend mit dem kongolesischen Tropenwald beschäftigen müssen, was sie von der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf Afrika erwartet und warum sie es leid ist, ständig im Mittelpunkt zu stehen.
Vanessa, was sind die größten Klimarisiken für den afrikanischen Kontinent?
„In erster Linie bedroht der Klimawandel die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Die meisten afrikanischen Länder sind stark von der Subsistenzlandwirtschaft abhängig, insbesondere in den ländlichen Gegenden. Ein Anstieg der globalen Temperaturen, wie wir ihn in den letzten Jahren beobachten konnten, führt für viele Menschen zu Ernährungsunsicherheit. Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen sind im Laufe der Jahre intensiver geworden und zerstören die Ernten. Diese Nahrungsmittelknappheit führt zu weiteren Problemen.“
Welche Probleme sind das?
„Ein Faktor, der oft übersehen wird, ist, welche Konsequenzen der Klimawandel auf das Leben von jungen Mädchen hat. In vielen afrikanischen Kulturen zahlen Männer der Familie der Braut einen Brautpreis, bevor sie heiraten dürfen. Für eine Familie, die aufgrund von Überflutungen die gesamte Existenzgrundlage verliert, wird diese Option dann zur potenziellen Einkommensquelle. Es kann also passieren, dass junge Mädchen zur Ehe gedrängt werden, um das Überleben der anderen Familienmitglieder zu sichern.
Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Migration innerhalb der Länder aus. In Uganda gibt es viele Straßenkinder. Die meisten von ihnen kommen aus dem Norden des Landes. Der nördliche Teil des Landes litt bereits in der Vergangenheit unter zu viel Trockenheit. Mit dem Temperaturanstieg haben sich die Bedingungen verschlechtert. Viele der Straßenkinder ziehen in die Stadt und versuchen dort zu überleben. Sie hoffen aufs Paradies. In der Realität müssen sie oft betteln und schlafen auf der Straße.“
Du streikst seit über 100 Tagen für den Erhalt des tropischen Regenwalds im Kongo. Was passiert dort gerade?
„Der kongolesische Regenwald wird auch als die Lunge Afrikas bezeichnet und ist der zweitgrößte tropische Urwald auf der Erde. Es gibt dort immer wieder Großwaldbrände, die drohen, die Artenvielfalt und die Existenzen der Bewohner*innen zu zerstören. Ähnlich wie es auch im Amazonas in Brasilien der Fall ist. Der Unterschied ist, dass in den Medien vermehrt darüber berichtet wurde. Was sich im Kongo abspielt, findet hingegen kaum Erwähnung.“
Warum ist der Regenwald für den gesamten Kontinent so wichtig?
„Über 80 Millionen Menschen sind von der Existenz dieses Waldes abhängig. Allen voran die indigenen Völker in der Region. Außerdem gibt es Tierarten, die nur im kongolesischen Regenwald leben, wie zum Beispiel das Okapi, die Waldgiraffe. Ihre Lebensräume sind derzeit akut bedroht. Und dann sind da natürlich die Bäume. Wir wissen, dass Bäume den Kohlenstoff aus der Atmosphäre absorbieren. Die Bäume im kongolesischen Regenwald sind die zweite grüne Lunge unseres Planeten.
Die Bäume im kongolesischen Regenwald sind die zweite grüne Lunge unseres Planeten.
Vanessa Dakate
Auf internationalen Konferenzen werden immer wieder neue Lösungen für die Klimakrise vorgestellt. Die meisten davon sind für afrikanische Länder zu teuer, da sie sich noch in der Entwicklung befinden. Um unsere Umwelt zu retten, liegt die Hoffnung Afrikas deshalb in seinen Ökosystemen, in den Wäldern. Sie brauchen unseren Schutz.“
Also werden afrikanische Klimaaktivist*innen, wenn es um Lösungsvorschläge geht, in der globalen Diskussion übersehen?
„Ja, das zeigt sich beispielsweise, wenn sich für mehr Fahrradgebrauch eingesetzt wird, um den Autoverkehr einzudämmen. Es werden dann Modelle für nachhaltige Städte vorgestellt, in denen alle Bürger*innen das Fahrrad nutzen könnten. Die meisten afrikanischen Städte sind überhaupt nicht auf den Radverkehr ausgelegt. Es gibt kaum Fahrradwege und Fahrrad fahren kann für die Menschen sehr gefährlich werden. Hier braucht es Lösungen, die an die Lebensrealitäten der Menschen vor Ort angepasst sind.“
Welche Rolle spielt Umweltrassismus in der Behandlung von Afrikaner*innen auf der internationalen Bühne?
„Die Auswirkungen des Klimawandels treffen vor allem die weniger Privilegierten. Der afrikanische Kontinent stößt weltweit am wenigsten Kohlenstoff aus, ist aber am stärksten von der Klimakrise betroffen. Selbst den Klimanotstand auszurufen, ist aber problematisch, da viele Länder zu arm sind oder nicht die Macht haben, um zum Beispiel auf den Abbau fossiler Rohstoffe zu verzichten. Investor*innen aus dem Ausland ist es egal, dass – mit Investitionen in fossile Brennstoffe, beispielsweise – die Umwelt von vielen Menschen auf dem Kontinent zerstört wird. Sie möchten Profit daraus schlagen, alles andere spielt keine Rolle.
Auch die Tatsache, dass Stimmen aus dem globalen Süden in der Klimakrise meist ignoriert werden, während weißen Menschen zugehört wird, ist eine Form von Rassismus.“
Du hast die Klimakatastrophen angesprochen, die sich gerade auf dem Kontinent abspielen. Welche Hilfe erwartest du von den Ländern des globalen Nordens?
„Wenn sie an Lösungen für die Klimakrise arbeiten, sollten sie nicht vergessen, dass wir alle davon profitieren müssen, nicht nur eine bestimmte Gruppe von Menschen. Diesen Kampf können wir nur gemeinsam gewinnen. Klimagerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit, wenn sie nicht global gedacht ist. Die Menschen im Westen müssen realisieren, dass wir alle gleich sind und uns dementsprechend behandeln.
Außerdem müssen sie die Industrie für fossile Brennstoffe aufgeben und an nachhaltigeren Alternativen arbeiten. Die meisten Unternehmen für fossile Brennstoffe in Afrika gehören weder afrikanischen Regierungen noch Afrikaner*innen. Sie werden von westlichen Regierungen betrieben. Investitionen in Afrika sollten umweltfreundlich und nachhaltig sein.“
Die Tatsache, dass die Stimmen aus dem globalen Süden in der Klimakrise meist ignoriert werden, während weißen Menschen zugehört wird, ist eine Form von Rassismus.
Vanessa Nakate
Und was müssen Organisationen wie die Afrikanische Union tun?
„Die Afrikanische Union muss sich stärker engagieren als bisher. Sie muss von der internationalen Gemeinschaft mehr Maßnahmen einfordern. Afrikaner*innen sind oft eingeschüchtert und glauben, sie hätten kein Mitspracherecht und keine Stimme. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, besteht darin, dass wir uns ununterbrochen und lautstark zu Wort melden. Nur so können wir die anhaltende Ausbeutung unserer Ressourcen durch den Westen stoppen. Afrikaner*innen müssen verlangen, dass ihre Stimmen im globalen Gespräch gehört werden, anstatt darauf zu warten, dass ihnen das Wort geschenkt wird.“
Du wirst oft verallgemeinernd als „afrikanische Aktivistin“ bezeichnet, dabei kommst du aus Uganda. Setzt es dich unter Druck, dass von dir erwartet wird, den gesamten Kontinent zu repräsentieren?
„Es ist nicht nur Druck, sondern auch eine Menge Arbeit. Interviews führen, Videos vorbereiten, Statements schreiben, das kann alles ziemlich viel werden. Vor allem, weil ich kein Team im Hintergrund habe, das mich unterstützt.
Manchmal habe ich das Gefühl, die Leute glauben, ich sei die einzige Aktivistin aus Afrika. Dabei sind wir viele, die für mehr Klimagerechtigkeit kämpfen. Ich wünsche mir, dass auch andere in den Fokus gerückt werden.“
Hast du deshalb das Rise-Up-Movement gegründet?
„Mit dem Rise-Up-Movement wollen wir dazu beitragen, den Stimmen der Klimaaktivist*innen in Afrika mehr Gehör zu verschaffen. Inzwischen sind wir in verschiedenen afrikanischen Ländern vertreten, darunter beispielsweise Togo, Zambia und Malawi. Seit der Geschichte mit der Associated Press habe ich mehr Reichweite. Das erlaubt es mir, auf der Weltbühne mehr Sichtbarkeit für die Arbeit anderer zu schaffen. Das ist im Grunde genommen mein Ziel: eine umfassende Repräsentation des afrikanischen Kontinents herbeizuführen.“
Warum ist dir das so wichtig?
„Wenn ich auf internationalen Konferenzen unterwegs bin, fällt mir jedes Mal auf, dass Afrikaner*innen stark unterrepräsentiert sind. Oft bin ich alleine, maximal sind wir fünf oder sechs. Das reicht nicht. Es sind viel zu wenig Menschen, die den gesamten Kontinent auf der Weltbühne vertreten sollen. Das liegt daran, dass Afrika von vielen Menschen immer noch als Land wahrgenommen wird. Afrika ist aber ein Kontinent mit 54 Ländern. Es kann nicht sein, dass einige Wenige uns in unserer Gesamtheit repräsentieren.“
Was erwartest du in der Zukunft von internationalen Medien bezüglich der Berichterstattung über den Klimawandel auf dem afrikanischen Kontinent?
„Sie müssen verstehen, dass die Klimabewegung nicht nur für weiße Menschen gedacht ist. Diese Bewegung ist global. Das sollte sich auch in der Berichterstattung widerspiegeln. Auf jedem Teil dieser Erde gibt es Aktivist*innen, die eine Geschichte zu erzählen haben. Diese Geschichten bringen Lösungen mit sich und diese Lösungen können Leben verändern.
Medien müssen verstehen, dass die Klimabewegung nicht nur für weiße Menschen gedacht ist.
Vanessa Nakate
Eine umfangreiche Berichterstattung ist deshalb für uns von Vorteil. Außerdem müssen westliche Medienvertreter*innen ihren Blick erweitern und auch Klimakatastrophen in anderen Ländern anerkennen. Es kann nicht sein, dass sich in einem afrikanischen Land ein Desaster, wie jetzt im Kongo, abspielt und die Weltgemeinschaft schweigt dazu. Ich sehe Medienvertreter*innen in der Pflicht, solche Geschehnisse hervorzuheben.“
In Uganda herrscht, wie in vielen Ländern, derzeit eine Ausgangssperre. Wie protestiert ihr in Zeiten von Corona?
„Die Corona-Krise hat uns zum Umdenken gezwungen, aber das bedeutet nicht, dass wir aufhören, uns fürs Klima zu engagieren. Klimaaktivist*innen kämpfen weltweit weiter gegen den Klimawandel und für mehr Gerechtigkeit, auch, wenn es sich gerade so anfühlt, als würden unsere Stimmen im Tagesgeschehen untergehen. Mit so einer Herausforderung konfrontiert zu sein, schafft neue Möglichkeiten. Wir streiken immer noch jeden Freitag. Der Protest findet jetzt aber online statt. Dafür poste ich regelmäßig Bilder von mir auf meinen Social-Media-Kanälen, auf denen ich Plakate mit meiner Message hochhalte. Außerdem gebe ich Webinare und habe gerade meinen eigenen Podcast und Youtube-Kanal gelauncht. Dort spreche ich mit anderen Klimaaktivist*innen über ihre Arbeit. Sie erzählen mir, wie sie sich in ihren jeweiligen Ländern für das Klima einsetzen und schlagen Lösungsansätze vor.“
Und was ist dein persönlicher Plan für die Zukunft?
„Ich werde weiterhin für das Klima streiken, auf Veränderungen drängen und Maßnahmen von Politiker*innen einfordern. Darüber hinaus möchte ich den Aktivist*innen auf dem afrikanischen Kontinent helfen, ihre Geschichten mit der Welt zu teilen. Nur so können wir sicherstellen, dass der afrikanische Kontinent in all seiner Vielfalt gezeigt wird.“
Der Originaltext von Celia Parbey ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.