Neuanfang: Jeder Tag eine neue Chance

Welche Entscheidungen machen uns stärker: die, die wir selbst treffen oder die, die für uns getroffen wurden? Susann schreibt in unserer Intro-Kolumne über eine Trennung, den Neuanfang in der Beziehung zu sich selbst und die Magie des Unvorhersehbaren. 

Neuanfang – als das Thema für diesen Monat feststand, dachte ich an die Magie, die in den Momenten steckt, in denen scheinbar alles möglich ist. Und gleichzeitig dachte ich an all das, was mich in der Vergangenheit aufgehalten hat, einen großen Schritt in Richtung Veränderung zu machen. Und ich frage mich, welcher der beiden Wege mich am Ende stärker gemacht hat.

Meine größte, nicht selbst gewählte Entscheidung war das Ende einer langen Beziehung. Ich war 29. Wir lebten zusammen. Ich war seit drei Jahren fest im Job. Er wie ein Vögelchen der Inspiration und Kreativität als Filmemacher um mich herum. Ich war zehn Jahre jünger als er. Mit jedem Jahr unserer Beziehung verringerte sich der Abstand. Denn das Alter schien zu schmelzen. Die große Bewunderung für den Mann, der in Südafrika geboren wurde, der in Kapstadt und New York aufwuchs und sich in der glamourösen und doch harten Welt des Films einen Platz gesichert hatte, schrumpfte. Vielleicht kam es mir auch nur so vor – denn ich selbst wuchs. In mir.

So viel hatte mit ihm zu tun – mein Selbstbewusstsein. Meine Interessen. Die Art, mich neu in dieser Welt zu Hause zu fühlen. Internationaler. Größer denkend. Mein Leben fand zwischen diesen Welten statt. Morgens auf Deutsch. In der Werbeagentur. Mit Kolleg*innen, Kund*innen. Zwischen Pitches und Projekten. Und abends: sprach ich Englisch. Redigierte Drehbücher. Malte Storylines auf. Motivierte den leidenden Künstler. Und telefonierte mit seinen berühmten Filmfreund*innen in aller Welt. Ich war nicht eins. Sondern zwei.

Es gab den Bereich in meinem Leben, in der mir Wertschätzung entgegengebracht wurde und in der ich wachsen konnte. Und den Teil, in dem ich das Plus Eins war. Und genau das wollte ich nicht mehr sein.

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Die Konflikte wurden größer. Und die Frage „Wie fühlt sich Liebe an?” konnte ich gar nicht mehr richtig beantworten. Hätte es damals schon den Song von Max Herre und Cro gegeben, hätte ich mich einer Antwort vielleicht tanzend nähern können, aber in mir sträubte sich alles, dieses drohende Ende zu akzeptieren. Es war so ein großes Kapitel – fast meine gesamten 20er und seine 30er-Jahre waren wir zusammen. Wir wollten doch zusammen weg. Nach New York. Neuanfang zu zweit. Am Ende stieg er von einem Tag auf den nächsten allein ins Flugzeug. Für mich blieb die Kiste mit Kleidung und Unterlagen, die nicht mehr in den Koffer passten, drei Monate Miete und ein Gefühl des Versagens. Nicht in der Beziehung zu ihm, sondern zu mir.

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Los geht’s.

Es brauchte vier Monate und eine Reise nach New York, um den Schlussstrich selbst ziehen zu können. Nach einem katastrophalen Wiedersehen war für ihn der Weg der Freundschaft bereitet und ich enttäuschter denn je zuvor. Und doch brauchte es meine Freundin Jenny, die damals mit mir auf dem Fenstersims ihrer Wohnung in der Lower East Side saß und sagte: „Du schreibst ihm jetzt, dass gemeinsame Kinoabende vorbei sind. Und dass du den Kontakt mit ihm abbrichst. Du musst selbst entscheiden. Und dem folgen, was du längst weißt. Nur ohne ihn kannst du deine Zukunft gestalten.” Bäm. Rückblickend war das einer der Momente in meinem Leben, in denen ich mich am freiesten gefühlt habe. Ich war wahnsinnig traurig, verloren und doch befreit. Im Flugzeug auf dem Weg zurück nach Berlin flossen die Tränen. Zurück in mein neues altes Leben, dachte ich. Wie das wohl aussieht? Ich schrieb eine Liste von Dingen, Ideen, Momenten, die mir wichtig waren, mit Erfahrungen, die ich machen wollte. Und fühlte mich wie in einem Film, in dem Julia Roberts die Hauptrolle spielen könnte.

Die Kurzfassung dessen, was danach passierte: Ich verbrachte sechs Monate später einen ausgelassenen Sommer in New York, kündigte meinen Job und kaum ein Jahr später begann die Reise mit EDITION F. Ich fühlte mich frei, stark, mutig. Ich konnte alles sein. Alles werden. Alles denken. Alles sagen. Und gehört werden. Ich wusste, eine neue Aufgabe, ein neuer Weg ist da.

Die größte Bereicherung dieser Trennungserfahrung – die vielleicht viele Menschen auf die eine oder andere Weise erleben – war für mich, zu lernen, wie wichtig es ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Und gleichzeitig zu erleben, dass diese Entscheidungen manchmal sogar im Nachhinein möglich sind. Ich war nicht weniger stark oder ernst zu nehmen, weil ich die Trennung nicht selbst forciert hatte. Der Weg zur Selbstwirksamkeit – also dem Gefühl, selbst etwas bewirken zu können, selbst am so genannten Drücker des Lebens zu sitzen, braucht manchmal ein bisschen.

Inzwischen ist das Gefühl der Kraft hin und wieder verdeckt. Die Tiefschläge und Unsicherheiten der letzten Jahre mit EDITION F nagen in manchen Momenten mehr als all die unzähligen Augenblicke des Glücks und Erfolgs und der Begegnungen mit Menschen, von denen ich früher in Büchern las oder ihnen im Fernsehen oder Podcasts zuhörte. In meinem Kopf und Herzen verzehre ich mich ganz regelmäßig nach dem Moment des Neuen. Nora fragt mich allzu oft: Was treibt dich eigentlich – wo kommt dieser Hunger nach Bewegung – und ich meine keinen Sport – nach Neuanfängen her? Ich glaube, es liegt daran, dass ich schon oft gespürt habe, was aus vermeintlich ausweglosen Situationen alles entstehen kann. Wie oft habe ich gespürt, dass plötzlich Kraft erwächst, wo ich dachte, ich sei am Ende. Genau das ist mein Urvertrauen.

Eines ist klar: Entscheidungen lassen sich nicht immer ohne jede Angst oder Furcht vor Konsequenzen treffen, aber ich wünsche mir, dass sie immer begleitet sind von der Hoffnung, der Fantasie und der Magie des Neuen. Des Unberührten. Dem Moment, in dem alles wieder möglich ist.

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