Foto: Ana Torres

INTRO: „Unsicherheiten lassen uns die Welt mit neuen Augen sehen“

Susann hat gerade eine der wegweisendsten Entscheidungen ihres Lebens hinter sich – in unserer Introkolumne blickt sie auf die Zeit vor der Entscheidung, eine Zeit voller Unsicherheit und Zweifel, zurück. Und schreibt über ihre Erkenntnis: Da, wo die Unsicherheit beginnt, entsteht eine neue Ehrlichkeit und eine neue Perspektive.

Entscheidungen zu treffen ist manchmal gar nicht so einfach. Oft ist es so, dass ich ganz schnell und spontan entscheide, denn dann lasse ich den ganzen Wust an Emotionen, Gedanken, Konsequenzen hinter mir. Ich lasse mich ein auf das Leben. Doch mit zunehmendem Alter treffe ich immer häufiger auch Entscheidungen, die andere beeinflussen und bei denen ich nur ein Dominostein bin, der unweigerlich andere trifft. Und der unweigerlich auch von anderen getroffen wird.

Meine letzte große Entscheidung liegt nun ein paar Wochen zurück: Zum neuen Jahr gebe ich die Geschäftsführung von EDITION F ab. Alle wissen inzwischen Bescheid. Das innere Ringen und der äußere Maulkorb sind Vergangenheit. Und die Reaktionen waren durchaus positiv: voller Anerkennung und Dankbarkeit. Mit großem Verständnis dafür, noch mehr, noch etwas anderes erfahren, lernen, verstehen und schaffen zu wollen. Und heute blicke ich tatsächlich gelassen auf diesen Schritt. Einige Wochen zuvor aber sah das ganz anders aus.

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Plötzlich war da ein Gefühl: Mut

Mein inneres Drängen, diese Entscheidung zu treffen, war groß. Alles schien logisch. Die Zukunft für EDITION F gesichert. Der Kopf hatte sich klar entschieden. Doch manchmal schlagen Kopf und Herz nicht im gleichen Takt. Mein Herz raste. Die Gedanken schienen unzusammenhängend. Zweifel durchbohrten die Nacht. Und gleichzeitig stieg ein Gefühl des Mutes in mir auf. Der Freiheit. Der Abenteuerlust. Ich fühlte mich wie auf dem Meer des Lebens, sanft gewogen von den Wellen und dann immer wieder unter die Oberfläche gedrängt. Gehe ich diesen Schritt aus Schwäche oder aus Stärke heraus? Diese Frage, diese Unsicherheit, wie ich mich selbst und andere mich sehen könnten, schwang in jedem Wort, jedem Gedanken. Die ewige Bewertung: eine gesellschaftliche Geißel.

Stark und schwach sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Dabei liegen zwischen diesen beiden Zuständen oft wenige Gedanken und doch eine ganze Welt. Eine Welt, die den Raum für Veränderung aufmacht. Da, wo die Unsicherheit, das vermeintlich Schwache, beginnt, entsteht eine neue Ehrlichkeit und eine neue Perspektive. Wir müssen uns trauen, die Unsicherheit auszuhalten. Das gewohnte Terrain zu verlassen und zu spüren, dass es außerhalb des Sicheren viel Neues zu entdecken gibt. Und sich dabei nicht das Äußere, sondern das Innere verschiebt. Genau an diesem Punkt stehe ich nun also. Der Nebel im Kopf lichtet sich. Und ich fühle mich wie ein Kind, das an jeder Straßenecke stehen bleibt und scheinbar profane Dinge wie eine Weltneuheit betrachtet, sie nicht gleich erkennt, sondern hinterfragt.

Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, dass man nach neuen Landschaften sucht. Sondern dass man mit neuen Augen sieht.

Marcel Proust

Die Frage kann also nicht heißen: Sind wir stark oder schwach?, sondern: Halten wir die Unsicherheiten aus? Sind wir bereit für die Reibung, die entsteht, wenn wir Neues anstreben und können wir es schaffen, statt auf das Problem zu schauen, uns auf den Weg nach der Lösung zu machen?

Bei all dem bleibt: Unsicherheit ist die beste Begleiterin des Mutes. Wir halten sie aus in der Bewegung und merken irgendwann, wie wir an ihr vorbeiziehen. Auch ich.

Manchmal stark, manchmal schwach. Warum Unsicherheit ein Teil von uns allen ist und wie wir damit umgehen – alle Inhalte.

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