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Hurrikan Irma wütet in der Karibik – und wie immer trifft es die Ärmsten am härtesten

Auch in der Karibik wütet gerade ein Wirbelsturm. Warum ist uns das so egal? Selbstreflexion einer NGO-Mitarbeiterin inmitten des Sturms Irma.

 

Irma macht sich auf den Weg in die Karibik 

7. September 2017: Nun sitze ich also am Flughafen von Santo Domingo, Dominikanische Republik, und warte auf meinen Flug zurück in die USA. Unglaubliche 48 Stunden sind seit meiner Ankunft vergangen und in meinem Kopf herrscht Chaos.

Ich war für einen Workshop zu Transparenz, Rechenschaftspflicht („accountability“) und Glaubwürdigkeit von NGOs in Santo Domingo. Ich arbeite für eine Menschenrechtsorganisation mit Partnerorganisationen auf der ganzen Welt zu den Themen Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit zusammen. Um glaubwürdig zu sein und in der internationalen Entwicklungsgemeinschaft ernst genommen zu werden, ist es sehr wichtig zu zeigen, dass wir als NGO-Sektor effizient mit Ressourcen umgehen, nachhaltig und umweltfreundlich arbeiten und die Werte, die wir nach außen tragen, auch innerhalb unserer Organisationen erfüllen. 

Bereits am ersten Workshoptag war klar: Irma kommt – und dieser Hurricane würde es in sich haben. Stufe fünf, die höchste Stufe. Gestern dann die Bilder aus Barbuda, St. Barth, St. Martin, Anguilla, Bilder der Zerstörung. Bilder, auf den Menschen zu sehen sind, die alles verloren haben und um ihr Leben kämpfen. Eine Workshopteilnehmerin aus St. Kitts erzählte mir, dass sie ihre Oma in Barbuda nicht erreicht und Angst hat. Ein zweijähriges Kleinkind wird dort bereits als tot gemeldet. Dann die Warnung, sich bereit zu halten, auf den kommenden Stationen von Irma: Puerto Rico (dort sind nach Irma eine Millionen Menschen ohne Strom und über 50.000 ohne Trinkwasser), die Dominikanische Republik (da, wo ich gerade bin), Haiti (was sich spätestens seit dem letzten Erdbeben am Rande einer humanitären Katastrophe befindet), Kuba (wo gerade erst Häuser, Schulen und Straßen wieder aufgebaut wurden, die den Sturm im letzten Winter nicht überstanden haben), Bahamas und Florida (wo momentan Millionen von Menschen evakuiert werden). 

Als Hotelgast muss man sich kaum Sorgen machen

Die Menschen rüsten auf, flüchten in sichere Unterkünfte, decken sich mit Trinkwasser und Benzin ein. Häuser und Fenster werden mit Bretterverschlägen gesichert. Letzteres kriege ich auch in meinem Hotel, das zu einer westlichen Hotelkette für Geschäftsreisende gehört, mit. Dort werden Fenster in Erdgschoss gesichert und Trinkwasser für die Gäste angeliefert. Ab und zu bricht mal der Strom und das WLAN ab. Ansonsten sitze ich dort, arbeite, zum Frühstück wird mir mein Omelette nach Wahl zubereitet und der Detox-Tagessmoothie besteht aus frischer Wassermelone und Ingwer. 

Absurd. Und ekelhaft ist das. Während andere um ihr Leben kämpfen, ist meine größte Sorge, ob und wann mein Flieger geht. Gegen späten Vormittag zieht Irma an der Nordseite der Dominikanischen Republik und Haiti vorbei – zum „Glück“ aber mit etwas Abstand zur Insel. Ich kann also spätabends fliegen.

Die Ärmsten trifft es – wie so oft – am härtesten 

Nun sitze ich am Gate und fühle mich einerseits erleichtert, aber auch privilegiert, hilf- und nutzlos. Seit Jahren arbeite ich in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, aber selten zuvor wurde mir so klar vor Augen geführt, dass unter den Naturkatastrophen dieser Welt immer die am meisten leiden, die eh schon am wenigsten haben. Diejenigen, die einfach nur eine Hütte aus Holzbrettern haben (wenn überhaupt) und keine Zufluchtsorte. Und für die sich auch medial keiner interessiert. In den US-Medien wird gerade hauptsächlich über Florida berichtet und nach Hurricane Harvey viel Geld und Energie in das eigene Land investiert. 

Dabei kommt die Hilfe für die Karibik leider zu kurz. Wie so oft interessiert nur, was einen direkt betrifft, weshalb in Europa zum Beispiel auch wenig über die Naturkatastrophen, Stürme, Überschwemmungen, und Erdbeben aus Südostasien berichtet und Unterstützung mobilisiert wird. Natürlich weiß ich das, es ist schließlich nichts Neues. was soll ich als Individuum akut dagegen machen? Irgendeinen Verrückten mit Propellermaschine finden, der mich in den Sturm hineinfliegt? Und was genau dort machen? Häuser aufbauen? Oder erst mal Trinkwasser und Nahrungsmittel einfliegen? Und wie helfe ich bei Leid und Traumatisierung? Und all das ohne Spanischkenntnisse? Die NGO-Arbeit ist komplex, und selbst wenn ich in dem Sektor arbeitet, empfinde ich oft eine Distanz zu dem, wie viele „helfen“ für sich definieren – obwohl ich gleichzeitig Teil des Ganzen bin.

Eine kleine Anekdote, die das Problem für mich im Kern widerspiegelt: Vor mir in der Handgepäckskontrolle unterhalten sich zwei Touristinnen auf englisch: ”Oh my god, I almost drowned, I swallowed so much water I thought I would die.“ Krass, denke ich mir. Die müssen ja hautnah an Irma dran gewesen sein. Dann geht es leider weiter. “This aqua paragliding was the coolest thing ever, so much fun, hahahaha.“ Wow, das ist realitätsfern. Und mir wird klar, die Tatsache, dass ich mir zumindest viele Gedanken mache und mir meiner Privilegien bewusst bin, ist ein erster Schritt der Situation gerecht zu werden. Die Auseinandersetzung  mit dem, was ich machen kann und was nicht, sollte wohl der erste Schritt in sämtlichen Situationen sein, in denen Unrecht geschieht, um mit diesen richtig umzugehen.

Zusätzlich kündigen sich schon die nächsten zwei Hurricanes an, José und Katja. Die Hilfsorganisation Oxfam (nein, das ist nicht mein Arbeitgeber) ist eine der Hilfsorganisationen, die gerade Geld für die Betroffenen in der Karibik sammelt. Vielleicht ist das etwas, womit man tatsächlich denjenigen ein wenig helfen kann, die es unfairer Weise immer am härtesten trifft. 


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