Jason Joel, sein Vater und meine Scham

Eine Zugfahrt von der neuen in die alte Heimat

 

Eisgekühlt steige ich aus dem ICE. Luft aus Schweiß und
Schwüle schlägt mir entgegen. Stimmengewirr, schnelle Schritte. Der Kloß im
Hals, er kommt ganz unvermittelt. Internationale Messestadt Frankfurt heißt es
auf dem Bahnhofsschild, darunter das Logo der Messe. Die erste Träne.
Durchatmen. Contenance. Ich schiebe meinen Koffer routiniert Richtung
Bahnhofsvorplatz. Tausend Mal gelaufen, gesprintet.

Vor dem Frankfurter
Hauptbahnhof hatte sich eine Menschentraube gebildet. Anzugträger, Penner,
Studenten, Schwarze, Araber, Chinesen. Multikulti par excellence. Ganz friedlich
umringen sie alle die Streetdance-Akrobaten. Die Patchwork-Passanten klatschen
und jubeln.

Rückblende: Vor sechs Stunden platzt der Schriftzug »Im Osten ist
es Tradition, da knallt es vor Silvester schon« in meine Wahrnehmung. Die Jacke
läuft vor mir. Verächtlich zieht der Glatzkopf an seiner Zigarette. Wütender
Blick, gerichtet auf zwei Schwarze auf dem gegenüberliegenden Gleis. Neben mir
eine Flüchtlingsfamilie. Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz lacht mit ihrem
Vater und klatscht in die Hände. Ich möchte flüstern „Seid leise, fallt nicht
auf, erregt keinen Unmut.“ Und schäme mich im nächsten Augenblick für
diesen Gedanken. Als der Zug einfährt, lese ich am Hals des Jackenträgers: »Jason
Joel 1.8.2014«, verziert mit schwarzer Tinte. Ich wähle ein Abteil weit, weit
weg von Jason Joels Vater.

Ein Zug, zwei Welten.

Ein Land, mein Land,
Deutschland.

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