Die Regionalmanagerinin des Start-ups Gofundme spricht über ihr Vorbild Michelle Obama, positive Fehlerkultur – und ihr Mittel gegen Selbstzweifel.
„Die Welt ist zu komplex für Einzelkämpfer*innen.“
Jeannette Gusko ist Senior Regional Managerin des US-Start-ups Gofundme für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Gofundme, seit 2017 in Deutschland präsent, ging 2010 an den Start und ist mit bereits mehr als fünf Milliarden Dollar eingeworbenen Spenden die weltweit größte gesellschaftliche Online-Fundraising-Plattform. Davor war Gusko verantwortlich für globale Kommunikation und Marke bei der Kampagnen-Plattform Change.org und arbeitete mehrere Jahre in der strategischen Beratung für Unternehmen wie Mercedes Benz USA sowie für das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Neben ihrer Arbeit forscht und spricht sie zu neuen Formen der Arbeit, Change Management und Diversity. 2014 wurde sie als eine von 25 Frauen für die digitale Zukunft von Edition F ausgezeichnet, 2011 erhielt sie den European Digital Communications Award für ihre Masterarbeit über das Image von Unternehmen auf Wikipedia. Das Interview führte Carina Kontio, Redakteurin beim Handelsblatt
Frau Gusko, was sind Ihre Stärken?
„Ich bin ein herzlicher, verbindlicher Mensch und habe eine schnelle Auffassungsgabe. So kann ich Situationen zügig analysieren, Muster erkennen und priorisieren. Im Job hilft, dass ich neugierig bin. Ich mache Dinge gern zum ersten Mal; Probleme lösen und Strukturen aufbauen oder aufbrechen macht mir Spaß. Führen heißt übersetzt ja häufig, ins kalte Wasser zu springen, und es wird ja nicht wärmer, je länger man wartet. Bei allen Stärken und Talenten ist für mich jedoch essenziell, dass wir nur in der Gemeinschaft, im Team oder in der Bewegung erfolgreich sein können. Die Welt ist zu komplex für Einzelkämpfer*innen.“
Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?
„Mich begeistern Menschen, die entgegen aller Widrigkeiten ihren Weg gehen. Es gibt kaum etwas Revolutionäreres als Individuen, die aus ihnen zugeschriebenen Rollen ausbrechen und ihren Traum verfolgen. Janina Kugel und Miriam Meckel sind in Deutschland Vorbilder für mich. Janina hat einen einzigartigen Führungsstil, mit dem sie bei Siemens viel bewegt, aber auch darüber hinaus – klar, visionär, einnehmend, immer inklusiv und vielfältig. An Miriam schätze ich ihren messerscharfen präzisen Verstand, ihre Begeisterung und ihren Optimismus, Zukunft zu gestalten. Global ist Michelle Obama mein Leadership Crush. Ich arbeite seit Jahren daran, wie wir gesellschaftliche Veränderungen anstoßen und skalieren können. Von Michelle habe ich gelernt, dass sich kämpferisch und geduldig sein nicht ausschließt. Vielmehr verbinden zivilgesellschaftliche Leader beides, weil Wandel oft nur langsam geschieht. Michelle hat soziale und kulturelle Barrieren durchbrochen und Räume betreten, die vormals für jemanden wie sie nicht vorgesehen waren – und wie sie es tut: mit Anmut, Durchhaltevermögen und Haltung.“
Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen (Nachwuchskräfte, Kolleg*innen, Klient*innen etc.) in schwierigen Situationen, indem …
„… ich sie als ganzen Menschen sehe, der viele Rollen in sich vereint. Was passiert in anderen Lebensbereichen, übernehmen die Mitarbeiter*innen Care-Arbeit, stimmt die emotionale Balance? Was ist ihnen wichtig? Viele Situationen sind menschgemacht, weil wir denkfaul auf Lösungen von gestern zurückgreifen oder passend machen wollen, was nicht passt. Ich würde mir in Deutschland mehr Mut und Experimentierfreude für neue Formen der Wertschätzung und Arbeitsorganisation wünschen.“
Eine Freundin/Kollegin/Mitarbeiterin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich“ – Was raten Sie?
„Sich selbst zu mögen und die eigenen Erfolge voll anzuerkennen ist ein Muskel, der trainiert werden möchte. Ich sage Kolleginnen dann gern: Kenne deine Talente und lenke deine Aufmerksamkeit darauf. Hast du ein Mantra oder Bild, das dich stärkt, dir selbst Mut macht? Schreibe sie auf, übe sie. Mir wird nachgesagt, dass ich gute Pep-Talks gebe. Ich selbst schreibe abends drei Dinge auf, die mir besonders gut gelungen sind. So baue ich Resilienz gegen die eigenen Dämonen auf, die mich auf meine Schwächen stoßen wollen.“
Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich …
„… Neid und Arroganz. Das vergiftet die Atmosphäre. Neider sind ein Störfaktor in jedem Team, weil sie Erfolge anderer für sich reklamieren und mit ihrem Pessimismus im Stillstand schwelgen. Menschen, die auf andere herabschauen, sind schwierig, weil sie Aufwertung durch Abwertung betreiben. Sie zementieren damit häufig Vorurteile und ein gesellschaftlich starres Klassensystem. Mehr Demut wagen, bitte! Ich möchte mit den Besten arbeiten, also mit Menschen, die in unterschiedlichen Gebieten besser sind als ich. Ihre Erfolge möchte ich laut feiern statt kleinreden. Let’s lift each other up!“
Feedback ist für mich …
„… Teil einer produktiven Fehlerkultur. Möglichst viele Fehler machen heißt, möglichst viel und möglichst Großes versuchen, häufig scheitern und aus dem Feedback lernen. Ich frage selbst aktiv nach Feedback, denn ich möchte meine Fremdwahrnehmung begreifen und reflektieren. Feedback hilft uns, Licht auf vormals blinde Flecken zu werfen und grundlegend besser zu werden.“
Über ihre Erfolge sollten Frauen …
„… hier würde ich gern kurz innehalten. Ständig ‚sollen‘ Frauen irgendetwas. Erfolgreich die Digitalisierung zu gestalten hat jedoch mehr mit ‚dürfen‘, ‚können‘ und ‚wollen‘ zu tun. Wir wissen, empirisch vielfach belegt, um strukturellen Hürden und Barrieren, welche Frauen behindern, beruflich voranzugehen. Unternehmen sollten Erfolge von Frauen ermöglichen, erkennen und sie zum Anlass nehmen, Frauen dahin zu befördern, wo sie hingehören – wohin sie wollen und an die Spitze.“
Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?
„Sich gut informieren, welcher Gehaltsrahmen angemessen ist, auch bei den Männern der Branche. Im Gespräch selbst den eigenen Wert für den Unternehmenswert kennen und mit konkreten Beispielen argumentieren – die Leistung muss im Mittelpunkt stehen. Es hilft, sich im Arbeitsalltag immer wieder auch schriftlich gute Leistungen von anderen bestätigen zu lassen. Und noch ein praktischer Tipp, um einzufordern, was ich verdiene: Einfach mal vor den Spiegel stellen und aufsteigende Jahresgehälter aufsagen. Das Gehalt, bei dem Sie noch nicht lauthals lachen müssen, solange üben, bis Sie es auch in der Verhandlung voller Überzeugung nennen können.“
Verbündete, Mentor*innen finde ich, indem …
„… ich mich sichtbar selbst zu einer Verbündeten mache und mich traue, diejenigen anzusprechen, von denen ich etwas lernen möchte. Dabei ist es so wie mit dem Notausgang im Flugzeug – die Mentorinnen und Mentoren, die mich wirklich voranbringen, weil sie aus einer anderen Branche kommen, deutlich älter oder jünger sind, ganz anders denken oder fühlen – das sind nicht immer die Menschen, die einem im ersten Moment einfallen, sondern sie stehen vielleicht hinter mir. Also häufiger mal aufstehen, der Intuition folgen und sich umdrehen. Was mich ehrlich freut, ist, wenn junge Frauen mir sagen, dass ich sie auf ihrem Karriereweg inspiriere. Serien wie diese hier im Handelsblatt sind so wichtig, denn Vorbilder können Lebenswege beeinflussen. We can’t be what we can’t see.“
In Konfliktsituationen bin ich …
„… ruhig. Ich lasse keinen Konflikt ungenutzt, denn ich lerne dazu. Über andere Perspektiven, Erfahrungen oder Glaubenssätze anderer. Mich interessiert, wie wir Konflikte austragen. Ich bringe mich für eine Team- und Organisationskultur ein, welche wirklich Vertrauen schafft und auf geteilten Werten basiert. So können Konflikte klar als solche benannt und leidenschaftlich auf der Suche nach dem besten Argument ausgehandelt werden, ohne dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Grundfesten ihrer Persönlichkeit zurückgeworfen sehen.“
Pannen sind …
„… menschlich, das ist ja das Schöne an ihnen. Sie entbehren häufig nicht einen feinen Humor.“
Wie gehen Sie mit Stress um?
„Ich sage nein, vor allem zu Aufgaben, die mich weder emotional nähren noch mein Denken stimulieren. Das ist nicht immer einfach, da lerne ich gerade selbst in einem Coaching dazu. Meine berufliche Verwirklichung ist sehr wichtig für mich, ich arbeite viel und hart. Doch wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann, dass ich in den wichtigen Momenten des Lebens meines Partners, meiner Freundinnen und Freunde sowie meiner Familie da bin. Kein Stress der Welt hält mich davon ab.“
Nein sagen sollten Frauen zu …
„… allen Menschen, die sie kleinhalten oder ständig etwas an ihnen ändern wollen. Allen Aufgaben, die im Unternehmen nicht wertgeschätzt werden.
Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?
„Ich reflektiere meine Grundwerte und welche Faktoren in der Rolle diesen nicht mehr entsprechen. Dann schaue ich, welche Hebel ich, meine Chefs oder Chefinnen, meine Mentorinnen haben, mich intern beruflich zu verändern. Wenn das nicht geht und meine finanzielle Situation es zulässt, gehe ich. Wir können nicht unser bestes Selbst sein und vorankommen, wenn wir unglücklich sind. In solchen Situationen im Leben wie im Job bediene ich mich der zukünftigen Rückwärtsbetrachtung: Was brauche ich, um am Ende meines Lebens erfüllt zurückzuschauen? Plötzlich fallen vermeintlich harte Entscheidungen ganz leicht.“
Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen, …
„… seien Sie die Chefin oder der Chef, die Sie zu Beginn Ihrer Karriere selbst gebraucht hätten.“
Frau Gusko, vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible, die ihr euch jeden Donnerstag anhören könnt.
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