Foto: Nicola Bramigk

„Milliarden Euro Steuergelder werden verballert“

Joana Breidenbach ist eine unserer „25 Frauen für die digitale Zukunft“ und weiß, wie die Digitalisierung den sozialen Sektor verändert.

 

London, Berkeley – Berlin

„Im Jahre 1965 wurde ich in eine reiselustige Hamburger Familie hineingeboren. Da mein Vater spätestens am 3. Urlaubstag die nächste Reise plante, kannte ich bald nicht nur Stierkämpfe in Sevilla und die Berge von Arosa, sondern auch sämtliche Tilmann-Riemenschneider-Altäre entlang der Romantischen Straße”, schreibt Joana über sich. Auf einer Weltreise mit ihrem Mann und ihren Kindern kam ihr 2006 die Inspiration für Betterplace – mittlerweile Deutschlands größte Spendenplattform. Außerdem ist sie Gründerin und Leiterin des Betterplace Lab, dem Think-and-do-Tank der Organisation. Das Betterplace Lab forscht, wie digitale Medien den sozialen Sektor verändern. Joana studierte in München und promovierte in Berkeley über deutsche Kulturmuster. Sie schreibt Bücher, Artikel und berät unter anderem das Bundeskanzleramt sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Wie verändert die Digitalisierung den sozialen Sektor, das ist ja dein großes Thema – was sind im Moment deine wichtigsten Projekte dazu? Ich habe gelesen, dass ihr eine digitale Bildungsplattform für soziale Organisationen plant. Wie soll diese Plattform genau aussehen und wo steht ihr da gerade?

„Nachdem wir Betterplace.org aufgebaut hatten, waren wir davon ausgegangen, dass deutsche NGOs, Vereine und soziale Initiativen uns ,einfach’ als Infrastruktur für ihre Kommunikation und ihr Fundraising nutzen würden. Doch wir mussten lernen, dass sehr viele gemeinnützige Organisationen vom Internet überfordert sind. So fingen wir an, Vorträge, Workshops und Beratungen anzubieten, zum Beispiel in Form des Online Helden Wettbewerbs. Momentan bieten diese Schulungen sowohl von Seiten der Plattform, als auch von unserem Think Tank, dem betterplace lab, an. Da wir jedoch sehen, wie groß die Nachfrage ist, konzipieren wir gerade eine betterplace Academy, wo sozial Engagierte zukünftig lernen können, wie sie soziale Medien nutzen, Online Fundraising betreiben, gute Newsletter konzipieren, SEO steigern etc.”  

Du sagst auch in deinen Vorträgen: Finanzierung, Wissen und Beteiligung sind die drei wichtigen Hebel, an denen man ziehen muss, damit Hilfsleistungen besser wirken – kannst du anhand eines Beispiels erläutern, wie man diese drei Hebel erfolgreich betätigen kann?

„In Deutschland herrscht eine chronische Unterfinanzierung für soziale Initiativen. Und zwar nicht, weil es insgesamt zu wenig Geld gibt, sondern weil fast alles vorhandene Geld an soziale Organisationen geht, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Wir verballern also Milliarden Euro Steuergelder in eine soziale Infrastruktur, ohne zu wissen, wer von den Akteuren gute Arbeit macht und wer nicht. Das ist ein Riesenproblem, denn junge, nachweislich effektive Initiativen bekommen keine Finanzierung, weil alles schon in den Wohlfahrtsverbänden verplant ist. Wir sehen auch, dass für digital-soziale Innovationen – Plattformen wie Betterplace und Startnext, Petitionsplattformen, Nachbarschaftsforen oder Apps für Bürgerbeteiligung – in Deutschland fast kein Geld vorhanden ist. betterplace hat sich bislang völlig aus eigener Kraft finanziert, das heißt vor allem durch unsere Kooperation mit Unternehmen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch mehr Stiftungen und öffentliche Institutionen zur Finanzierung der digitalen Infrastruktur der Zivilgesellschaft beitragen würden. Um auf soziale Initiativen und die drei Hebel zurückzukommen: Jedes Projekt muss halbwegs solide finanziert sein, sonst sind die leitenden Köpfe nur mit Fundraising beschäftigt. Natürlich brauche ich als Changemaker auch ein fundiertes Wissen über das soziale oder ökologische Problem, dass ich beheben will – über dessen Ursachen und Wirkungen. Und sozialer Wandel kann nur gelingen, wenn Projektmacher diejenigen, denen sie helfen wollen, in die Lösungen aktiv miteinbeziehen. Sonst sehen wir unzählige Initiativen, die zwar wohl gemeint sind, aber keine Wirkung erzielen.”   

Es gibt mittlerweile unglaublich viele verschiedene Wege, wie in der digitalen Welt, sprich im Internet, Spenden generiert werden können – welche hältst du für besonders nachhaltig, welche Entwicklungen fallen dir da im Moment besonders positiv auf?

„Ich finde den ganzen Trend hin zum Online-Fundraising natürlich sehr positiv, denn über digitale Medien kann mann potentiell viel günstiger, viel mehr Menschen ansprechen und sie zum Mitmachen bewegen. Ich glaube wirklich, dass wir dadurch Philanthropie demokratisieren können. Jeder kann im Kleinen Bill Gates sein und sich für die Themen engagieren, die ihn oder sie bewegen. Durch Online-Fundraising und Crowdfunding-Plattformen kommen mit einmal mehr Geld von mehr Menschen zusammen – das ist ein weltweiter Trend, den wir während unserer jährlichen Feldforschungsreise, der Lab Around The World, in China ebenso sehen, wie in Ägypten oder Brasilien. Auch solche Aktionen wie die Ice Bucket Challenge sind mir grundsätzlich willkommen, denn sie nutzen unterhaltsame Formate, um junge Leute oft erstmalig mit bestimmten Themen zu konfrontieren. Wer sagt, dass soziales Engagement nicht auch Spaß machen soll? Einer der NGOs, die das am besten verstehen, ist charity:water  die viele coole Spendenformate entwickelt haben. Aber auch neue Campaigning Websites, wie Global Citizen oder Below the line haben gute Ideen und Tools entwickelt, um Spenden zu generieren. Eine Einschränkung habe ich allerdings: wenn wir unseren Blick immer nur darauf richten, wie wir möglichst viel Geld einsammeln, vergessen wir leicht, uns darum zu kümmern, was mit dem Geld eigentlich gemacht wird, das heißt ob es auch sinnvoll eingesetzt wird. Viele höchst erfolgreiche Spendenaufrufe haben Projekte finanziert, die nicht nur sinnlos, sondern teilweise auch schädlich waren. Ich wünsche mir mündige Spender, die nachverfolgen, was mit ihrem Geld wirklich gemacht wird.”

Welches sind die größten Herausforderungen für NGOs beziehungsweise soziale Organisationen angesichts der mittlerweile schier unendlich scheinenden Möglichkeiten der Spendengenerierung in der digitalen Welt?

„So schwer ist das gar nicht. Um ein Projekt auf betterplace zu veröffentlichen, braucht man nicht viel Zeit. Es gibt viele Infos online, wie das Spendensammeln gut funktioniert – zum Beispiel in diesen Videos. Wichtig ist, dass man von seiner eigenen Arbeit wirklich überzeugt ist und auch seine Freunde und Netzwerke für das soziale Thema begeistern kann. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt – man kann Spenden sammeln, in dem man Marathon läuft, sich einen Bart wachsen läßt oder sich zum Geburtstag Spenden statt Geschenken wünscht.”  

Ende des vergangenen Jahres ist dein erstes Kinderbuch erschienen – wie kam es dazu, dass du ein Kinderbuch geschrieben hast? Was hat dich daran gereizt?

„Die Idee für Edwina ermittelt in Berlin kam mir schon, als meine eigenen Kinder noch ziemlich klein waren. Ich dachte mir damals alle möglichen Tricks aus, wie ich sie für Städtereisen, Museen und Baudenkmäler begeistern könnte. Zum Beispiel habe ich für sie eine Schatzsuche konzipiert, die von Berlin nach Florenz führte und während der sie alle möglichen Rätsel knacken mussten. Florenz hat ihnen daraufhin super gut gefallen. Meine Freundin Judith Homoki und ich haben dann angefangen, nach dem gleichen Prinzip ein Kinderbuch zu schreiben. Es ist ein Krimi, der in Berlin spielt und die jugendliche Heldin, Edwina, muss während sie den Fall löst, sich auch mit der Geschichte Berlins auseinandersetzen. Die Idee ist, dass Familien, die nach Berlin fahren, ihren Kindern Edwina zu lesen geben und die dadurch einen eigenen, unterhaltsamen und spannenden Zugang zur Stadt bekommen. Das Buch hat lange gedauert –  mittlerweile sind meine Kinder schon aus dem Haus – aber es hat mich dennoch wahnsinnig gefreut, dass wir letztes Jahr im Gestalten Verlag erschienen sind. Und das Buch kommt gut an, wir kriegen sogar Fanpost von unseren Leserinnen.”

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