Katja Urbatsch hilft Nicht-Akademikerkindern auf dem Weg zum Uni-Abschluss. Im Interview mit Carina Kontio vom Handelsblatt erklärt die Gründerin, was sie antreibt.
Den eigenen Weg gehen
Abitur, Studium, Beruf – dieser Weg ist für Kinder aus einem Akademikerhaushalt häufig vorgezeichnet. In Familien, in denen alle eine Berufsausbildung gemacht haben, sieht das jedoch oft anders aus.
Katja Urbatsch, geboren 1979 in Ostwestfalen, erreichte als Erste in ihrer Familie einen Hochschulabschluss. Die Hürden, die es für Kinder aus nicht-akademischen Familien von der Entscheidung für ein Studium bis zum erfolgreichen Hochschulabschluss zu überwinden gilt, kennt sie aus eigener Erfahrung. 2016 haben wir Katja Urbatsch als eine der 25 Frauen ausgezeichnet, die unsere Welt besser machen. Carina Kontio vom Handelsblatt hat sie zum Interview getroffen.
Ihre persönlichen Studienerlebnisse motivierten Katja 2008 zur Gründung von ArbeiterKind.de. Das zunächst als Website gestartete Projekt hat sich seitdem zur größten zivilgesellschaftlichen Organisation in Deutschland zur Unterstützung von Studierenden der ersten Generation entwickelt. Eine Arbeit, die auch heute noch gebraucht wird. Denn: Laut OECD-Bildungsstudie beeinflusst Herkunft immer noch sehr stark die Bildungschancen.
Inzwischen zählt ArbeiterKind.de 6000 Ehrenamtliche, die Schülerinnen und Schülern beim Zugang zur Hochschule und Studierenden auf dem Weg zum Abschluss helfen. Für ihre Arbeit hat Katja Urbatsch im Oktober von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.
Frau Urbatsch, was machen Sie morgens als erstes im Büro und welchen Platz hat Ihr Bundesverdienstkreuz bekommen?
„Ich gehe durchs Büro, sage meinen Mitarbeiter*innen „Guten Morgen“, schließe meinen Laptop an Bildschirm und Tastatur an, und bevor ich mich an meinen Schreibtisch setze, bereite mir einen grünen Tee zu. Ich muss gestehen, dass das Bundesverdienstkreuz noch nirgendwo hängt. Seit der Verleihung war soviel los, dass ich noch keine Muße hatte, darüber nachzudenken.“
Was sind Ihre Stärken?
„In meiner ersten Beurteilung in der Grundschule stand: ‚Katja ist hilfsbereit und vertritt ihre Meinung.‘ Das finde ich immer noch recht treffend. Ich setze mich für andere ein, weiß aber auch, wie wichtig es ist, dass es einem selbst gut geht. Ich bin sehr gut darin, meine Herausforderungen zu formulieren und die Expertise und Unterstützung anderer wertzuschätzen, anzunehmen und umzusetzen. Ich bin authentisch, bodenständig, emphatisch, integer, sehr gut organisiert, komme schnell zum Punkt und zu Ergebnissen. Für meine größte Stärke halte ich jedoch, dass ich schon immer meinen eigenen Weg gegangen bin und mich nicht aufhalten lasse, meine Träume und Visionen zu verfolgen.“
Haben Sie ein persönliches Motto, das Sie antreibt und motiviert?
„Es gibt verschiedene Leitsätze, häufig amerikanische, die ich mag und die ich motivierend finde. Dabei geht es immer darum, seine Träume zu verfolgen und trotz Widerständen nicht aufzugeben, sondern durchzuhalten. Außerdem habe ich aus meiner Jugend den Satz ,Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu‘ mitgenommen und ich bemühe mich sehr, andere so zu behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte.“
Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?
„Es gibt viele Menschen, die mich beeindrucken und inspirieren. Dazu zählen insbesondere Frauen, die sich nicht aufhalten lassen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und ihre Träume zu verwirklichen.“
Bitte ergänzen Sie: Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen in schwierigen Situationen, indem…?
„… ich ihnen zuhöre und versuche, gemeinsam mit ihnen eine Lösung zu finden und bei Bedarf auch direkt selbst mit anpacke.“
Angenommen, eine Freundin oder Kollegin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?
„Ich würde ihr sagen, dass ich das auch mal gedacht habe, bis ich feststellte: Die anderen kochen auch nur mit Wasser. Außerdem würde ich eine Reihe ihrer Erfolge aus der letzten Zeit aufzählen, um ihr zu zeigen, dass ihre Glaubenssätze ja gar nicht stimmen, weil sie schon sehr viel in ihrem Leben geschafft hat.“
Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…?
„… wenn Führungskräfte sich zum Beispiel im Ton vergreifen, ihre Machtposition ausnutzen, einen mit Überstunden in die Erschöpfung treiben und Erfolge ihrer Mitarbeiter*innen für sich verbuchen. Ich finde es sehr wichtig, meine Mitarbeiter*innen wertschätzend zu behandeln.“
Feedback ist für mich…?
„… und meine Mitarbeiter*innen wertvoll und eine Chance, sich weiter zu entwickeln, wenn es wertschätzend formuliert ist.“
Welches Tool ist bei der Arbeit für Sie unverzichtbar?
„Derzeit mein Google-Kalender und das Programm Workflowy zur Organisation meiner Projekte und Aufgaben.“
Ihr persönlicher Produktivitätskiller?
„Ich bin nicht produktiv, wenn ich Schlafmangel habe oder erschöpft bin. Dann muss ich dafür sorgen, dass ich genügend schlafe und mich erhole. Alles andere, was gemeinhin als Produktivitätskiller bezeichnet wird, wie Mails, Meetings, Social Media oder Gespräche mit Kolleg*innen, gehört für mich zur Arbeit und zum Leben dazu. Ich glaube nicht, dass wir durchgehend acht Stunden lang konzentriert und produktiv arbeiten können, wir sind ja Menschen und keine Roboter.“
Über ihre Erfolge sollten Frauen…?
„… sich bewusster werden, stolz darauf sein und mehr darüber reden.“
Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?
„Frauen sollten sich nicht unter Wert verkaufen und selbstbewusst eine angemessene Vergütung einfordern.“
Verbündete und Mentor*innen finde ich, indem….?
„… ich erzähle, dass ich als erste aus meiner Familie einen Hochschulabschluss erreicht habe und dass wir durch ArbeiterKind.de gemeinsam mit 6000 Ehrenamtlichen in bundesweit 75 lokalen Gruppen Schüler*innen und Studierende aus nicht-akademischen Familien ermutigen, informieren und unterstützen.“
In Konfliktsituationen bin ich…?
„… inzwischen viel gelassener geworden. Ich habe festgestellt, dass die meisten Konfliktsituationen auf Missverständnissen beruhen. Daher suche ich zeitnah das persönliche Gespräch. Wenn es ein größerer Konflikt ist, hole ich mir bei Bedarf professionellen externen Rat oder sogar eine Moderation.“
Pannen sind…?
„… normal und gehören dazu. Wichtig ist, daraus zu lernen und weiterzumachen.“
Wie fängt Ihr Tag an?
„Mit meinem Sechs-Minuten-Tagebuch, Müsli, grünem Tee und, wenn ich es zeitlich schaffe, mit Meditation.“
Wie schalten Sie abends ab und wann gehen Sie ins Bett?
„Für mich ist Sport ein wichtiger Ausgleich. Nach der Arbeit gehe ich häufig schwimmen, ins Fitnessstudio oder mache Yoga. Außerdem schalte ich abends gemeinsam mit meinem Partner ab. Ab und zu lese ich noch. In der Regel versuche ich, gegen 23 Uhr ins Bett zu gehen.
Nein sagen sollten Frauen zu…?
„… allem, was sie nicht wollen und hartnäckig bleiben. Gerade für Frauen ist es wichtig, zu wissen, wo die eigenen Grenzen sind, und diese zu beschützen.“
Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?
„Ich denke darüber nach, was mich genau unglücklich macht und suche nach Lösungen. Wenn ich selbst nicht weiterkomme, hole ich mir Rat von anderen.“
Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen, …
„… denken Sie mal daran zurück, was Sie früher an Ihren Chef*innen kritisiert haben. Versuchen Sie, mit ihren Mitarbeiter*innen so umzugehen, wie Sie selbst behandelt werden möchten. Ich verspreche Ihnen, es wird sich auszahlen.“
Frau Urbatsch, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special„Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible.
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