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Wie kinderlose Managerinnen die Sinnfrage für sich beantworten können

Viele hochrangige Managerinnen sind kinderlos. Um die 50 stellt sich für sie oft die Frage nach dem Sinn ihres Lebens neu. Und haben dabei einen unschätzbaren Vorteil: Die Freiheit sich entscheiden zu können.

Kinder stiften Sinn

Bei der Frage nach dem Sinn des
Lebens ist eine Antwort unumstritten: Der rein biologische Sinn ist die
Fortpflanzung. Der Mensch folgt dem Zweck der Arterhaltung. Sobald man Vater
oder Mutter wird, hat das Leben dementsprechend einen Sinn. Man trägt
Verantwortung, gibt die eigenen Werte weiter und hinterlässt so einen
unverwechselbaren Fußabdruck in der Welt. Für manche Eltern stellt sich damit keine existentielle Sinnfrage mehr, sie ist mit der Geburt des Kindes beantwortet.

Anders ist es bei Kinderlosen, zu denen ich selbst zähle. Völlig
unerheblich, ob aus freier Entscheidung oder aufgrund körperlicher oder sonstiger
Umstände: Keine Kinder zu haben bedeutet, dem Leben keinen „natürlichen“ Sinn
zu geben. Ein besonderes Engagement im Beruf bietet da oft eine Kompensation.
Nicht wenige hochrangige Manager und besonders viele Managerinnen sind
kinderlos. Das ist bestimmt kein Zufall.

Was heißt Sinn im Management?

Wer nun im Beruf Sinn sucht   ̶  den in der Management-Literatur vielfach als „Purpose“ übersetzten Hintergrund für ein Vorhaben   ̶  wo findet man ihn? Bestimmt nicht, wenn man die Umsatzrendite eines Konzerns von 6,5 auf 8,5 Prozent steigert und dafür seinen Bonus bekommt. Das kann ich aus eigener Erfahrung mit Sicherheit sagen.  Es tut zwar gut, seine Ziele zu erreichen, wirtschaftlich gut situiert und dadurch unabhängig zu sein. Doch es ist erwiesen, dass ein Einkommen von monatlich 5.000 Euro netto ausreicht, um zufrieden leben zu können. Alles darüber hinaus ist ein „Nice-to-have“, entscheidet aber nicht über Zufriedenheit, ganz zu schweigen von Glück. Hier greift die alte Theorie vom abnehmenden Grenznutzen: Das erste Escada-Kostüm im Schrank mag einen noch stolz und zufrieden machen, aber dieses Gefühl nutzt sich ab. Das erste teure Wellness-Wochenende hilft über den Stress der täglichen Management-Mühle hinweg und gibt das gute Gefühl, dazu zu gehören zu den Kreisen, die sich so etwas leisten können. Aber auch das wird schal. Wer will schon ständig in Stutenmilch liegen, um sich besser zu fühlen?! Klagen auf hohem Niveau könnte man es auch nennen, aber im Ergebnis bleibt das Gefühl, sich zwar alles leisten zu können, aber trotzdem an nichts richtig Freude zu haben. Weil das große Ganze nicht stimmt, der Sinn fehlt.

Was ist der Anlass für die Sinnfrage?

Diese grundsätzliche Unzufriedenheit empfinden besonders viele kinderlose Managerinnen um die fünfzig, die nach über zwanzig Arbeitsjahren einen gewissen Wohlstand erreicht haben. Gleichzeitig sieht man in dieser Alterskategorie oft auch dem Verfall der
eigenen Eltern zu. Selbst bald in die erste Reihe zu rücken, als nächster an der Reihe zu sein, diese Gedanken werden selten offen, aber oft in vertraulichen Gesprächen geäußert. Wer wird an meinem Grab stehen? Was wird dort über mich gesagt werden? Was wird von mir bleiben, wenn ich nicht mehr da bin?!

Welchen Vorteil haben Kinderlose?

Wer sich solche Fragen stellt und das deutliche Gefühl hat, in den bestehenden Strukturen immer unzufriedener und unglücklicher zu werden, der sollte nach neuen beruflichen Optionen suchen. Für Kinderlose kommt dann ein großer Vorteil zum Tragen: Die fehlende (nicht nur finanzielle) Verantwortung für den eigenen Nachwuchs erhöht den Spielraum,
das eigene Leben in der Lebensmitte noch einmal neu zu gestalten. Sinnvoller, selbstbestimmter, um so ganz nebenbei doch noch einen Fußabdruck in der Welt zu hinterlassen, der mehr ist als ein Kleiderschrank voll Luxusklamotten.

In dieser Situation war ich selbst und habe mir folgende Fragen gestellt:  Was heißt denn Sinn im beruflichen Kontext genau? Geht es nur darum, direkt zu helfen und augenscheinlich „Gutes zu tun“? Nun kann und will nicht jeder Deutschkurse für
Geflüchtete geben, Demenzkranke betreuen oder Obdachlose unterstützen. Für mich war das jedenfalls keine Option.

Vielen würde es schon sehr helfen, wenn sie stärker bei sich selbst sein dürften in ihrer Arbeit, wenn sie weniger Rollen spielten, mehr auf die innere Stimme hörten, die eigenen Talente
stärker ausleben könnten. Es braucht kein NGO als Arbeitgeber zu sein, man muss nicht für Amnesty International oder ein SOS Kinderdorf arbeiten, um Sinn zu stiften.

Muss es Selbständigkeit sein?

Ich persönlich habe mich für die Selbständigkeit entschieden und bin als Nachfolgerin in ein bestehendes Beratungsunternehmen eingestiegen. Aber die Selbständigkeit ist längst
nicht für jeden das Richtige. Im derzeitigen Gründer-Hype wird oft suggeriert, dass es nie zu spät sei, sein eigenes Unternehmen zu gründen, seine eigene Geschäftsidee zu verfolgen und damit erfolgreich zu werden. Aber setzt man sich dann nicht wieder selbst unter Druck und folgt den alten Mustern? Darin liegt eine große Gefahr, der man entgegnen muss, um später nicht an den eigenen Ansprüchen zu scheitern.

Sinnvoll arbeiten und wirken kann man auch in ganz ,normalen‘ Unternehmen als angestellte Führungskraft. Entscheidend ist die Haltung und das persönliche Engagement, mit der eine Führungsaufgabe ausgeführt wird. Auch als angestellte Managerin kann ich Mentorin sein und damit Vorbild für junge Angestellte. Auch damit gebe ich meiner Aufgabe über die reine Funktionsbeschreibung hinaus einen Sinn. Daraus kann dann tatsächlich ein parallel ausgeführtes Ehrenamt entstehen, am Ende sogar irgendwann eine Selbständigkeit.

Worum geht es wirklich?

Wichtig ist, mit dem eigenen Handeln in Einklang zu sein, die eigene Relevanz zu spüren und sich bewusst zu sein, auch im Berufsalltag „Gutes zu tun“. Es ist oft genug eine Frage der Einstellung, den eigenen Gestaltungsrahmen im Unternehmen maximal auszunutzen und Persönlichkeit zu zeigen. Das erfordert Mut und Haltung, wird aber am Ende besonders belohnt. Nicht zuletzt durch den zufriedenen Blick in den eigenen Spiegel.

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