Tausende Eltern finden aktuell keinen Kitaplatz für ihr Kind und denken darüber nach, den Anspruch einzuklagen. Die Rechtsanwältin und Autorin Sandra Runge findet das wichtig – doch sie erklärt auch, was politisch wirklich getan werden müsste.
„Wir setzen euch auf die Warteliste …“
Das Eltern-Aufreger-Thema Nummer 1 dürfte aktuell mal wieder die Kitaplatz-Misere sein. Kein Wunder. Wer einen Kitaplatz sucht, muss sich bei der Nachfrage nach freien Plätzen mit drei Standard-Antworten zufriedengeben:
„… die nächsten beiden Jahre ausgebucht …“
„… wir setzen euch auf die Warteliste …“
„… nur noch Geschwisterkinder …“
Da hilft es auch nicht, den Krümel im Dezember zu zeugen, damit er zu Beginn des Kitajahres auf die Welt kommt – angeblich ein günstiger Zeitpunkt, weil dann ja Plätze durch die Einschulung älterer Kinder frei werden. Eine Anmeldung bereits an dem Tag, an dem der Schwangerschaftstest zwei Streifen angezeigt hat? Bringt auch nix. „Sorry, wir sind die nächsten beiden Jahre ausgebucht, das können wir Ihnen jetzt schon sagen.“ Was ist mit monatlichen Anrufen, Mails und Besuchen bei der Kita-Leitung, um Interesse zu bekunden? „Wir bitten von weiteren Nachfragen abzusehen, bei entsprechenden Kapazitäten melden wir uns zurück“, ist die automatische Antwort – wenn überhaupt. Auch Bewerbungen mit niedlichen Babyfotos und selbstgedrehte Handyfilme, bei denen die glückliche Family am Strand unter einer Palme steht und aus dem Elternzeit-Urlaub in die Kamera winkt: vergeblich. Hunderte zuckersüße Babys kämpfen um diesen einen Platz. Ein Käsekuchen für den nächsten Kuchenbasar, natürlich konform mit dem pädagogischen Konzept der Kita (bio-regional, Agavendicksaft statt Zucker)? Alles Bullshit.
Warum der Rechtsanspruch auf den Kitaplatz langsam zur Farce wird
Die unangenehme Wahrheit ist: Sämtliche Strategien, die sich früher im Kampf um den Kitaplatz bewährt haben, scheinen gerade zu versagen. Ich spreche aus Erfahrung. Als Mama, als Anwältin und als Gründerin einer Kita.
Erst wurde 2013 vollmundig der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz eingeführt und dann das: Eltern kommen gegenüber ihrem Arbeitgeber in Erklärungsnot, weil sie nicht wissen, wo sie zum Jobstart nach der Elternzeit ihr Kind unterbringen sollen. Die Elternzeit mal eben schnell verlängern funktioniert leider nicht immer. Insbesondere dann, wenn nur ein Jahr angemeldet wurde, muss der Arbeitgeber einer Verlängerung zustimmen – und diese wird nicht immer erteilt.
Aber das ist noch nicht alles: Schlimmstenfalls werden Arbeitsverträge nicht verlängert oder durch eigene oder Arbeitgeber-Kündigungen beendet. Dass ist kein Drama-Geschwätz, ich weiß es aus erster Hand. Eltern, die bei der Bundesagentur für Arbeit Schlange stehen, weil sie keinen Kinderbetreuungsplatz gefunden haben, sind keine Einzelfall-Exoten. Auf dem Weg zum Amt haben sie übrigens noch kurz beim Mülleimer angehalten und den Elterngeld-Partnerschaftsbonus in die Tonne gekloppt. 25 bis 30 Stunden Arbeit in der Woche? Wie soll das ohne Betreuungsplatz funktionieren? Es hat eben nicht jeder ein Oma, die mal schnell um die Ecke kommt und einspringt. „Wenn ich nicht arbeiten kann, soll mir das Amt halt so lange volles Elterngeld zahlen, bis wir einen Kitaplatz haben“, meinte neulich eine wütende Mutter zu mir. Die ersehnte partnerschaftliche Aufteilung von Job und Kinderbetreuung? Eine Farce. Stattdessen kommt Post von der Elterngeldstelle ins Haus geflattert mit der Aufforderung, das Elterngeld für den Partnerschaftsbonus zurückzuzahlen. So sieht politisches Totalversagen aus.
Warum es wichtig ist, dass Eltern klagen
Die Zeiten, in denen eine Anmeldung in zehn Kitas gereicht hat, sind vorbei. Vor nein Jahren, als ich das erste mal auf Kitaplatz-Suche für meinen Sohn war, hat das noch funktioniert. Natürlich waren wir genervt, natürlich haben wir geflucht, aber am Ende hatten wir die Zusage. Heute müssen Eltern mit Nachdruck ihren Rechtsanspruch bei den Stellen geltend machen, die eigentlich dafür zuständig ist, den Eltern einen Kitaplatz zu organisieren. Das sind – entgegen eines weit verbreiteten Irrglaubens – nicht die Kitas, sondern die Träger der freien Jugendhilfe, also die Jugendämter. Hier habe ich übrigens mal erklärt, wie das ungefähr geht. Wenn das nichts bringt, muss geklagt werden. Ich kenne immer mehr Eltern, die sich – wenn auch widerwillig – dafür entscheiden, diesen Schritt gehen. Auch wenn diese Verfahren nicht immer zum Erfolg führen – die Ergebnisse sind wichtig, da erst durch Gerichtsentscheidungen Detailfragen zu dem sehr allgemein gehaltenen Rechtsanspruch geklärt werden. Wer will, kann sich dazu mal § 24 SGB VIII durchlesen.
Allerdings muss ich an dieser Stelle mal kurz den Zeigefinger heben. Klar, durch positive Gerichtsentscheidungen, stärken die Richterinnen und Richter Eltern den Rücken, allerdings spiegeln sie in letzter Zeit auch sehr bedenkliche Entwicklungen wieder, die uns aufzeigen, dass wir die Kitaplatz-Misere nicht allein durch Elternklagen ins den Griff bekommen werden.
Gerichtsentscheide zum Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz
Um das besser zu verstehen, möchte ich euch dazu zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen aus Berlin vorstellen:
Babysitter statt Kitaplatz?
Nachdem ein Berliner Elternpaar im Eilverfahren auf Zuweisung eines Kitaplatzes in einer wohnortnahen Einrichtung geklagt hatte, entschied des Berliner Verwaltungsgerichts am 21. Februar 2018 (VG 18 L 43.18), dass das Jugendamt für jedes Kind, das einen Rechtsanspruch besitzt, einen Kitaplatz organisieren muss. Soweit so gut.
ABER: Wenn der Rechtsanspruch wegen Fachkräftemangels nicht zur Verfügung gestellt werden kann, wandelt sich der Anspruch auf den Kitaplatz in einen Aufwendungsersatzanspruch in Form der Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Hilfe um. Im Klartext: Wenn es das Amt nicht schafft den Eltern einen Kitaplatz nachzuweisen, muss es die Kosten für einen Babysitter übernehmen.
Auch wenn ein vom Staat gesponserter Babysitter erst mal nach einer verlockenden Zwischenlösung klingt: ein Babysitter ist kein Ersatz für einen Kitaplatz. Der Sitter ist nicht vergleichbar mit einer ausgebildeten Erzieherin oder einem Erzieher oder einer Tagesmutter. Und was ist, wenn es jahrelang dauert, bis die Politik die Kitaplatz-Krise in den Griff bekommt? Soll das Kind etwa bis zur Einschulung von einem Babysitter bespaßt werden? So ein Quatsch.
Außerdem wirft der Beschluss weitere ungeklärte Fragen auf. Darin steht nämlich keine Gebrauchsanleitung, wie man die Kosten für die Ersatzbetreuung gegenüber dem Amt geltend macht. Was muss der Sitter für Qualifikationen mitbringen? Wie viel darf er kosten? Wie funktioniert die Abrechnung? Fragen auf die es keine Antworten gibt und die wahrscheinlich erst nach einem zähen Schriftverkehr mit dem Amt geklärt werden müssen. Niemand klärt die Eltern auf. Niemand fühlt sich verantwortlich. Und die Eltern müssen sich wieder auf die Suche begeben – diesmal nach einem Babysitter.
Im Namen des Eltern-Volkes: Danke für diese Gerichtsentscheidung, aber das was uns im Gesetz versprochen wurde, haben wir nicht bekommen. Wir wollen doch keinen Babysitter, sondern einen Kitaplatz!
Mehr Kitaplätze durch schlechtere Betreuungsschlüssel
Beim Lesen einer weiteren Entscheidung blieb mir allerdings so richtig die Spucke weg.
Positiv ist, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 22.03.2018 (OVG 6 S 2.18) sehr konkret entschieden hat, dass das Jugendamt den Eltern innerhalb von fünf Wochen einen Kitaplatz nachweisen muss – auch dann, wenn sich das Amt auf Fachkräftemangel oder andere Schwierigkeiten beruft.
ABER: Wisst ihr, wie der Vorschlag des Gerichts lautet, den Kapazitätsengpass auszuräumen?
Ich zitiere:
„Er (der Antragsgegner, also das Land Berlin), hat es in der Hand, etwa durch eine übergangsweise Lockerung des Betreuungsschlüssel Betreuungsplätze in dem erforderlichen Umfang zu schaffen, zumal weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die in der Vergangenheit geltenden Betreuungsschlüssel einer kindgerechten Betreuung entgegen gestanden hätten.“
(Anmerkung: Das Gericht geht von einem Betreuungsschlüssel bei unter zweijährigen ganztagsbetreuten Kindern von 1 zu 3,75 aus, was absoluter Quatsch ist, da dieser Schlüssel bei kaum einer Kita erreicht wird. Real dürfte dieser eher bei 1:6 in dieser Altersklasse liegen.)
Wir haben also die Lösung: Mehr Kitaplätze durch schlechtere Betreuungsschlüssel! Wow, welch grandioser Vorschlag. Da kämpfen Eltern, Verbände und engagierte Politikerinnen und Politiker (ja, die gibt es) hart für kindgerechte Betreuungsschlüssel und dann soll dieser wieder verschlechtert werden, damit die Jugendämter den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erfüllen können? Ganz nebenbei führt das zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Erzieherinnen und Erzieher. Wir können es uns ja leisten, diejenigen, die noch die Stange halten, zu vergraulen.
Im Namen des Eltern-Volkes: Danke für diese Gerichtsentscheidung! Den Kitaplatz in fünf Wochen nehmen wir gerne, aber nur dann, wenn unsere Kinder mit dort mit einem kinderwürdigen Betreuungsschlüssel und entspannten Erzieherinnen und Erziehern betreut werden.
An die Politik: Tut endlich was!
Fehlende oder falsch eingesetzte finanzielle Mittel, Fehlplanungen, ein Mangel an geeigneten und bezahlbaren Immobilien, sowie komplizierte Genehmigungsverfahren dürften die Gründe sein, warum der Ausbau an Kitaplätzen nur im Schneckentempo vorangeht. Aber das ist nicht der Kern des Problems.
Denn selbst dann, wenn wir neue Kitas mit korrekten Garderobenhaken-Abständen, und bekletterbaren Wickeltischen bauen: Wer macht später eigentlich den Morgenkreis mit den kleinen Mäusen? Wer befreit sie von der Kacka-Windel, wer schneidet Obst für die Vesper, wer trägt sie auf und ab, wenn sie Rotz und Wasser heulen?
Fakt ist: In unserem Land fehlen 300.000 Kitaplätze. Ich wiederhole es noch einmal: DREIHUNDERTTAUSEND! Übersetzt heißt das: Wir brauchen mindestens 100.000 neue Erzieherinnen und Erzieher (ich lege jetzt einfach mal ganz optimistisch einen paradiesischen Betreuungsschlüssel zu Grunde). Und da haben wir es wieder: Hauptgrund für die Kita-Misere ist der Mangel an Fachpersonal. Nichts Neues, aber scheinbar immer noch nicht Punkt 1 auf der Agenda. Ohne Fachkräfte gibt es keine neuen Kitaplätze. Da gibt es nichts zu beschönigen. Und da helfen auch Elternklagen nicht weiter.
Liebe Politikerinnen und Politiker, bitte erklärt die Kita-Krise endlich zur Chefsache und tut was! Die Betonung liegt dabei auf TUN. Was wir brauchen, sind schnelle Reformen und mehr finanzielle Mittel für faire Erziehergehälter inklusive bezahlter Ausbildung. Parallel dazu muss es kluge Kampagnen geben, um Absolventinnen und Absolventen für diesen wunderbaren und wichtigen Beruf zu begeistern. Deutschland sucht eben nicht nur den Impfpass, sondern vor allem Erzieherinnen und Erzieher. Und denkt bitte auch an die Tagesmütter: Mit einer höheren besseren Bezahlung und gezielter Ansprache könnten gerade im Krippenalter kurzfristig viele neue Betreuungsplätze geschaffen werden.
Erst dann, wenn alle Eltern bei der Kitaplatzsuche die Antwort „Kein Problem, wir haben zum Wunschtermin einen Kitaplatz für euch“ erhalten, dürft ihr euch wieder zurücklehnen.
Dieser Text ist zuerst im Blog von Sandra „Smart Mama“ erschienen. Wir freuen uns sehr, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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Titelbild: Depositphotos.com
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