Foto: Sören Meffert | Zade Abdullah ist Klimagerechtigkeitsaktivistin.

“Die heutige Klimakrise würde ohne europäischen Kolonialismus so nicht existieren”

Zade Abdullah ist antikoloniale Klimagerechtigkeitsaktivistin. Sie erklärt im Interview, wieso sie weiße Klimabewegungen wie Fridays For Future kritisch sieht und warum der Kampf gegen die Klimakrise die globalen Folgen des Kolonialismus in den Blick nehmen muss.

Zade, erzähle uns zu Beginn doch bitte in eigenen Worten, wer du bist und worum es bei deiner politischen Arbeit geht.

Foto: BUNDjugend NRW | Zade Abdullah bei einer Lesung beim PERSPactive Festival der BUNDjugend in Dortmund.

„Ich bin Klimagerechtigkeitsaktivistin mit einem antikolonialen Anspruch. Bei der Klimakrise geht es nicht nur darum, CO2 einzusparen, es ist eine sozialpolitische Krise. Ich versuche in meinem Aktivismus breiter zu denken und verschiedene Themen zusammenzubringen.

„Die Klimakrise ist eine sozialpolitische Krise.”

Zade Abdullah

2022 ist das Buch ,We Shut Shit Down‘ herausgekommen, an dem ich mitgeschrieben habe. In dem Kapitel ,Kolonialismus: No Justice in A Racist Climate‘ schreibe ich über Kolonialismus und Klimakrise – über die Zusammenhänge und den Rassismus in der deutschen Klimabewegung.“

Zade Abdullah* (25) ist eine Aktivistin für intersektionale soziale Gerechtigkeit und arbeitet als Bildungsreferentin zu dekolonialen Zusammenhängen im Bereich Gender, Klimakrise und Grenzregime. Sie war beispielsweise Teil der ersten Mahnwache in Lützerath. Außerdem organisierte sie 2021 die erste ,in real live‘ stattfindende Klimagerechtigkeitskonferenz für BIPoC mit.

Du thematisierst im Buch den weißen Klimaaktivismus – wie würdest du diesen definieren?

„Ich habe in dem Buch die sogenannten ,Klima-Almans‘ definiert: Viele weiße, in bürgerlichen Haushalten lebende Aktivist*innen sind sich oft ihrer maximal privilegierten Positionierung nicht bewusst. Sie inszenieren sich als gebildete ,Klimaretter*innen‘, haben aber gleichzeitig das Grundproblem nicht verstanden, und zwar, dass der Ursprung der Klimakrise in der kapitalistischen Ausbeutung und im Kolonialrassismus liegt. Dabei verhalten sie sich so diskriminierend, dass sich rassifizierte Klimaaktivist*innen in gemeinsamen Gruppen unwohl fühlen. Klima-Almans bemerken selten, dass sie Ausschlüsse produzieren und wenn man sie darauf hinweist, gibt es nach dem fragilen Aufschrei oft keine angemessene Aufarbeitung oder gar einen strukturellen Wandel. Sie sind der Grund dafür, warum zahlreiche BIPoC-Aktivist*innen aus der Bewegung aussteigen.

„Klimaschutz hört sich erst mal so innocent an, aber Klimaschutz ist oft ideologisch und in der Umsetzung das Gegenteil von intersektionaler Klimagerechtigkeit.“

Zade Abdullah

Viele weiße Aktivist*innen befürworten den sogenannten ,Klimaschutz‘. Beispielsweise wird oft gesagt ,Wir müssen klimaneutral‘ werden. Aber wer trägt die Konsequenzen der staatlichen Strategien von Klimaneutralität? Schauen wir auf die Wasserstoff-Strategie der EU, die das Ziel hat, mit dem Green New Deal bis 2050 klimaneutral zu werden: Diese Wasserstoffressourcen werden auf dem afrikanischen Kontinent unter ,grünen‘ neokolonialen Bedingungen hergestellt. Deswegen könnte man diese Ansätze auch ,false solutions‘ für die Klimakrise bezeichnen, weil sie die sozialen Gewaltverhältnisse verschärfen und oft Naturressourcen und Land in Ländern des Globalen Südens für die eigenen Klimaziele des Globalen Nordens ausbeuten, ohne Rücksicht auf die Interessen der lokalen Gemeinschaften zu nehmen. Viele Menschen, die sich für den Klimaschutz in Deutschland einsetzen, denken nicht an die Zusammenhänge, kritisieren sie nicht, sondern sie sind in ihrem Happyland, in ihrer Blase, in der sie diese harte Realität nicht erkennen.

Weißen Klimaaktivismus würde ich als undifferenzierte Herangehensweise definieren, die die Wurzeln der Probleme nicht angeht. Wenn man Glück hat, kommt man damit in den Bundestag. Viele weiße Aktivist*innen sind allerdings unsolidarisch mit den Leuten, die intersektional von der Klimakrise und von der Unterdrückung in diesem kapitalistischen System betroffen sind.“

Zade Abdullah

Fridays For Future (FFF) ist die erste Organisation an die die meisten denken, wenn sie an Klimaaktivismus denken. Was ist deine Meinung zu FFF?

„Ich finde es schade, dass die meisten Menschen bei Klimaaktivismus an Greta Thunberg oder im deutschen Kontext an Luisa Neubauer denken. Das ist der weiße Mittelstand, der auf einmal ,Klimaschutz‘ für sich entdeckt hat. Die Gruppen, die am lautesten und am bekanntesten sind, sind sehr weiß, wie zum Beispiel Fridays For Future Deutschland. Es gibt dort ganz vereinzelt ein paar Leute, die Rassismus erfahren, aber es ist keine Organisation, bei der viele Stimmen unterschiedlicher Positionierungen vertreten sind. Es ist ein eher homogener, privilegierter Teil der Gesellschaft, der da zusammenkommt. Und ich möchte Fridays For Future gar nicht schlecht reden. Es ist aber auffällig, dass Menschen, die Rassismus erfahren, nicht in Schlüsselpositionen bei Fridays for Future vertreten sind und sich eine extra Gruppe namens ‘BIPoC for Future’ gründen musste, um aufgrund des internen Rassismus einen ,safer space‘ für diskriminierte BIPoC zu schaffen.

„Es ist auffällig, dass Menschen, die Rassismus erfahren, nicht in Schlüsselpositionen bei Fridays for Future vertreten sind.“

Zade Abdullah

Und genau das ist tragisch, wenn man sich anschaut, was Klimagerechtigkeit ist: Das sind eigentlich Bewegungen, die von indigenen Menschen schon sehr viel länger als Fridays for Future geführt werden. Die ,Bali-Principles of Climate Justice‘ wurden bereits 2002 von indigenen Menschen formuliert. Die Zerstörung der Umwelt hat mit dem Kolonialismus angefangen – also vor ungefähr 500 Jahren und seitdem gab es auch immer Widerstand dagegen. Da der Kolonialismus als kapitalistische Form von Unterdrückung und Ausbeutung immer fossile Energien gebraucht hat, um weiter zu wachsen, ist der Widerstand gegen diesen fossilen Kapitalismus, der die Klimakrise verursacht hat, schon sehr alt.

„Der Kampf gegen die Klimakrise wurde nicht von weißen Menschen erfunden. Es gab schon immer Überlebens- und Befreiungskämpfe von kolonialisierten Menschen, die rassifiziert und entmenschlicht wurden. Daher ist es erschreckend, dass man die Geschichten dieser Menschen, wie z.B. der Ogoni Nine in Nigeria, hier gar nicht kennt und stattdessen denkt, es wäre Greta Thunberg, die jetzt die Welt rettet.“

Zade Abdullah

„Ich finde es wichtig, dass es Fridays for Future gibt. Aber Fridays for Future Deutschland mit Luisa Neubauer an der Spitze verhält sich oft sehr problematisch. Es ist leider Standard, dass rassistische Gewalt reproduziert wird und sich gegenüber BIPoC Aktivist*innen aus den eigenen Reihen unsolidarisch und ignorant verhalten wurde. Zum Beispiel damals, als junge BIPoC FFF Aktivist*innen in eine traumatisierende racial profiling Polizeikontrolle in Berlin geraten sind und die weißen FFF Aktivist*innen die Situation nicht als rassistisch erkannt haben und angemessene Unterstützung ausgeblieben ist.

Da muss noch viel an intersektional diskriminierenden Strukturen aufgearbeitet werden, da antikoloniale soziale Gerechtigkeit der zentrale Bestandteil der Forderung nach Klimagerechtigkeit darstellt. Es braucht viel mehr interne Arbeit seitens der Aktivist*innen, um ihre Rolle im kolonial-rassistischen System zu verstehen und sich dementsprechend zu positionieren. Das wäre essenziell, da FFF nach wie vor einer der Akteure der deutschen Klimabewegung ist, der am meisten gehört wird. Deswegen ist es wichtig, weiterhin den fortschreitenden Rassismus zu benennen und kritische Transformation anzustoßen.”

Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde bereits Anfang September geführt, daher ist die aktuelle Debatte über den Antisemitismus bei Fridays For Future und Greta Thunberg nicht Teil des Gesprächs.

Solidarisierst du dich also nicht mit Fridays For Future?

„Doch, ich solidarisiere mich auf jeden Fall mit allen bewegten Menschen, die irgendwie versuchen, einen Unterschied zu machen. Ich will anerkennen, dass es schwierig ist und es auch Mut braucht, aktiv zu sein. Ich will jedoch eindeutig den Rassismus und die Ignoranz verurteilen. Ich verurteile die Gemütlichkeit, die damit einhergeht, weiß zu sein, privilegiert zu sein und sich nicht damit auseinanderzusetzen – aber ich würde mich niemals entsolidarisieren.

„Ich finde es wichtig, dass wir als Klimabewegung zusammenhalten. Kritik und Solidarität kann man gar nicht trennen. Wenn du solidarisch bist, musst du auch kritisch sein, und wenn du kritisch sein willst, musst du trotzdem auch solidarisch sein – für mich schließt sich das gar nicht aus.“

Zade Abdullah

Meine Solidarität bezieht sich auch auf die Aktionen der ,Letzten Generation‘. Ich kann die Strategien der Gruppe und ihrer Aktionen kritisieren und gleichzeitig solidarisch an ihrer Seite gegen ihre Repressionen stehen. Denn letzten Endes schränkt die unfassbare Kriminalisierung, die sie erfahren, unser aller Möglichkeit ein, linken, zivilgesellschaftlichen und demokratischen Protest für soziale Gerechtigkeit zu üben.”

Warum muss man Anti-Rassismus und den Kampf gegen die Klimakrise zusammendenken?

Foto: Zade Abdullah | BIPoC Klimaaktivist*innen sollten laut Zade mehr Gehör in der Bewegung bekommen.

„Ich glaube, da müssen wir verschiedene Ebenen beleuchten. Erst mal finde ich, dass Deutschland ein krasses Rassismusproblem hat. Ich fordere generell, unabhängig von der Klimabewegung, dass diese Gesellschaft Rassismus erkennt, ihn angeht und Betroffene ernst nimmt. Das ist nämlich auch die Wurzel des Problems: Durch den etablierten Rassismus werden rassifizierte Menschen nicht für wertvoll gehalten, ernst genommen und sie werden entmenschlicht und das passiert ja überall – in Deutschland und eben auch in der Klimabewegung. Das ist erst einmal nicht die persönliche Schuld weißer Klimaaktivist*innen, aber unser aller Verantwortung mit diesem kolonialen Erbe umzugehen, Täter*innen aufzuklären und Betroffene zu entschädigen.

Weiße Klimaaktivist*innen sind ja keine bösen Menschen, die bewusst rassistisch sind, sondern Rassismus ist so tief verinnerlicht, dass rassistische Strukturen immer wieder reproduziert werden. Das schließt übrigens auch Anti-Schwarzen Rassismus und Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja innerhalb von BIPoC Organisierung ein. Aber bei Klimagerechtigkeit geht es um das Verständnis, dass dieses rassistische System die Klimakrise grundlegend zu verantworten hat. Die heutige Klimakrise würde ohne europäischen Kolonialismus und den dadurch etablierten Rassismus so nicht existieren.

Es ist total ironisch, dass die Menschen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind oder Familie haben in den betroffenen Gebieten, sowohl medial als auch in der deutschen Klimabewegung marginalisiert und nicht ernst genommen werden. Das geht überhaupt nicht.

„Es geht nicht darum, den ,Marginalisierten’ eine Stimme zu geben, sondern es geht darum, die Stimmen, die da sind, zu hören und zu zentrieren.“

Zade Abdullah

Wie gehst du damit um, dass die Klimabewegung sehr weiß ist und wie verschaffst du dir eine Stimme in der Bewegung?

„Mein persönlicher Umgang sieht so aus, dass ich mich zugunsten meiner mentalen Gesundheit erstmal herausgezogen habe. Mein Kapitel in dem Buch ,We Shut Shit Down‘ war quasi mein Abschiedsgeschenk an den weißen Teil der Bewegung, der direkte Aktionen zivilen Ungehorsams macht. Ich distanziere mich nicht von der Bewegung selbst, sondern ich sage: ,Hey, hier ist meine Analyse des Rassismus-Problems, hier ist alles zusammengefasst, was ich sagen wollte, beschäftigt euch erst mal damit und dann können wir weiterreden.‘ Ich bin zurzeit kein Teil der weißen Mainstream-Klimabewegung. Ich kann einfach nicht mehr.

„Ich bin so ausgebrannt, immer und immer wieder dieselben Debatten zu führen. Das kann man mal ein Jahr machen, aber wenn man da mehrere Jahre drin ist und so viel Ignoranz erfährt, das macht einen voll kaputt.“

Zade Abdullah

Worauf ich mich jetzt fokussieren will, um weiterhin in Kontakt mit der Bewegung zu bleiben, ist antirassistische Bildungsarbeit, die ich in Form von Workshops als Expertin leite. Ich habe zum Beispiel einer lokalen Fridays for Future Gruppe einen zweitägigen Workshop gegeben und sie über die Zusammenhänge aufgeklärt. Ich versuche so, gezieltere Bildungsarbeit zu machen, damit die kritische Reflexionsarbeit wirklich ankommt. Ich möchte vermeiden, in einem Plenum mit weißen Leuten zusammenzusitzen, die kein Ohr dafür haben und mir innerhalb dieser Gruppe inhaltlich nicht begegnen können – dafür habe ich keine Kapazitäten mehr. Die Klimabewegung in Deutschland hat viele finanziellen Ressourcen und deshalb sollten auch endlich BIPoC Expert*innen aus der Bewegung fair für ihre antirassistischen Nachholstunden bezahlt werden.“

„Ich fordere die weiße Klimabewegung auf, dass sie sich reflektiert und hinterfragt, für was und für wen sie aktiv werden.“

Zade Abdullah

Was würdest du Menschen raten, die sich mehr über den Zusammenhang von Klimakrise und Kolonialismus informieren und sich engagieren wollen?

Foto: Privat | Zade Abdullah mit weiteren Klimaaktivist*innen bei einer Demo.

„Es gibt eine Broschüre namens ,Kolonialismus und Klimakrise – über 500 Jahre Widerstand‘ von der BUNDjugend NRW unter dem Projekt Locals United. Die Broschüre gibt es kostenlos als PDF und ist eine sehr informative Ressource auf Deutsch und auf Englisch. Der erste Schritt ist, sich über die geschichtliche Lage zu informieren, denn erst dann versteht man die größeren Zusammenhänge. Es braucht zudem immer Druck auf den Straßen.

Man kann sich beispielsweise dem antikolonialen Block auf Demos anschließen, weil dann auch die kolonialkritischen Perspektiven von BIPoC vertreten sind.

Außerdem gibt es den Begriff MAPA, das steht für Most Affected People and Areas, das ist ein Begriff für die Regionen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, aber am meisten darunter leiden, wie zum Beispiel Bangladesch, Pakistan oder Mosambik. Es ist für Klimagerechtigkeit unabdingbar, sich mit Aktivist*innen aus den MAPA Regionen auseinanderzusetzen und diese auch für Veranstaltungen einzuladen.

Außerdem finden jedes Jahr im Juni in Bonn die UN Klimavorverhandlungen der UN Klimagipfel statt. Dort sind MAPA Aktivist*innen vertreten, um sich zu vernetzen und in der Debatte präsent zu sein. Es ist jedoch ein großes Problems, dass Menschen aus diesen Regionen nicht so einfach ein Visum von den deutschen Botschaften ausgestellt bekommen – an der Stelle würde praktische Unterstützung durch Druck bei den Behörden sehr hilfreich sein. Das wäre ein weitere Möglichkeit Solidarität mit MAPA Aktivist*innen zu zeigen.

Das ist auch ein kolonialer Zusammenhang, denn hier wird bestimmt, wer die Bewegungsfreiheit hat, von A nach B zu kommen. Die kolonial gezogenen Grenzen stellen für kolonialisierte Körper eine Barriere zur Partizipation in der Klimadebatte dar. Auf diese Weise könnte man ganz praktisch vor Ort aktiv werden, statt für eine Symbolwirkung auf eine Demo zu gehen. Das eine ist nicht wichtiger als das andere, aber es ist auch wichtig auf dem Schirm zu haben, dass es praktische Aktionsformen gibt, die sehr effektiv und aber weniger instagrammable in der Umsetzung sind.“

*Zade Abdullah ist nicht der richtige Name der Aktivistin. Nachdem sie Erfahrungen mit rechter Hetze im Netz gemacht hat, möchte sie nicht mit ihrem Klarnamen in der Öffentlichkeit stehen. Ihr Name ist der Redaktion bekannt. 

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