Jedes Jahr sagen in Deutschland durchschnittlich 400.000 Paare „Ja“. Ja zueinander und ja zu einer lebenslangen Beziehung voller Freundschaft, Glück und Liebe, bis ans Ende ihrer Tage. Business Insider erklärt, was diese Paare gemeinsam haben.
Bis dass der Tod uns scheidet
Eine lebenslange, glückliche Beziehung ist eine romantische Vorstellung und für die meisten Paare keine Wirklichkeit. Ein Großteil von ihnen endet in einer unglücklichen, dysfunktionalen Beziehung. 35 Prozent aller Ehen werden im Lauf der ersten 25 Jahre geschieden. Emily Esfahani Smith von unserem Partner Business Insider hat zusammengefasst, was der Grund dafür ist.
In den 1970er Jahren trat zum ersten Mal eine Krise dieser Art auf: Ehen wurden in bisher ungekanntem Ausmaß geschieden. Aus Sorge um die Psyche der betroffenen Kinder, baten die Wissenschaftler Paare ins Labor, um ihren Umgang miteinander zu beobachten. Sie wollten herausfinden, ob es bestimmte Zutaten gibt, die in jeder gesunden, lang währenden Beziehung enthalten sind.
War jede unglückliche Familie unglücklich auf ihre eigene Art, wie Tolstoi behauptete, oder hatten alle schlechten Beziehungen ein bestimmtes toxisches Element gemeinsam?
Der Psychologe John Gottman war einer dieser Wissenschaftler. In den vergangenen 40 Jahren hat er das Verhalten Tausender Paare erforscht, um herauszufinden, was Beziehungen erfolgreich macht. Ich hatte vor Kurzem die Gelegenheit, Gottman und seine Frau Julie, die ebenfalls Psychologin ist, zu interviewen. Zusammen leiten die beiden renommierten Experten das Gottman Institut, wo sie Paaren bei Aufbau und Erhalt einer liebevollen und stabilen Beziehung behilflich sind.
John Gottman machte seine entscheidenden Beobachtungen im Jahr 1986, als er mit seinem Kollegen Robert Levenson das „Liebeslabor“ an der Universität von Washington in Betrieb nahm. Gottman und Levenson brachten frisch verheiratete Paare ins Labor und beobachteten, wie sie miteinander umgingen.
Gemeinsam mit ihrem Forschungsteam schlossen sie die Paare an Elektroden an, während diese über ihre Beziehung befragt wurden. Es waren allgemeine Fragen, darüber wie sie sich kennengelernt hatten, ob es ein größeres Problem in ihrer Beziehung gab oder ob sie eine ganz besonders positive Erinnerung mit dem Partner verbanden.
Während sie sprachen, maßen die Elektroden ihren Blutfluss, den Puls und die Schweißproduktion. Dann schickten die Forscher die Paare nach Hause und meldeten sich sechs Jahre später wieder, um zu erfragen, ob sie noch zusammen seien.
Basierend auf den so gesammelten Daten teilte Gottmann die Paare in zwei Gruppen ein: die Masters und die Disasters. Die Masters waren nach sechs Jahren immer noch zusammen glücklich. Die Disasters hatten sich entweder getrennt, oder waren chronisch unglücklich in ihren Ehen.
Als die Forscher die Daten zu den Paaren analysierten, sahen sie deutliche Unterschiede zwischen den Masters und den Disasters. Die Disasters wirkten im Interview ruhig, aber ihre Physiologie, die von den Elektroden gemessen wurde, verriet das Gegenteil.
Ihr Puls war hoch, ihre Schweißdrüsen aktiv und ihr Blutfluss schnell. Da Gottmann die Entwicklung Tausender Paare über lange Zeit verfolgte, erkannte er, dass die Beziehungen der Paare, die physiologisch im Labor besonders aktiv waren, sich auch dementsprechend schnell verschlechterten.
Aber was hat die Physiologie damit zu tun? Das Problem war, dass die Disasters in ihrer Beziehung in ständiger Kampf- oder Fluchtbereitschaft lebten. Neben ihrem Partner zu sitzen und ein Gespräch zu führen, war für ihre Körper wie eine Begegnung mit einem Säbelzahntiger.
Selbst wenn sie über angenehme oder alltägliche Aspekte der Beziehung sprachen, waren sie bereit, anzugreifen, oder angegriffen zu werden. Dadurch stieg ihr Puls und sie wurden aggressiver dem Partner gegenüber. Zum Beispiel sollten die beiden Beziehungspartner darüber sprechen, wie ihr Tag verlaufen war und ein sehr aggressiver Ehemann sagte zu seiner Frau: „Wieso fängst du nicht an? Das wird ja nicht lange dauern.“
Die Masters dagegen zeigten geringe physiologische Aktivität. Sie fühlten sich miteinander verbunden und entspannt. Selbst wenn es zum Streit kam, gingen sie liebevoll und freundlich miteinander um. Es war nicht so, dass die Masters einfach von vornherein eine bessere physiologische Veranlagung hatten als die Disasters. Die Masters hatten einfach eine Atmoshäre von Vertrauen und Intimität geschaffen, die beide Partner emotional und damit auch physisch entspannter machte.
Gottmann wollte mehr darüber erfahren, wie die Masters ihre Kultur der Liebe und Intimität erschufen und wie die Disasters eben diese vernichteten. Für eine Folgestudie richtete er darum 1990 auf dem Campus der Universität von Washington ein Labor ein, das wie ein hübsches Bed & Breakfast aussah.
Er lud 130 frisch verheiratete Paare ein, dort einen Tag zu verbringen und beobachtete sie bei dem, was Paare normalerweise im Urlaub tun: kochen, putzen, Musik hören, essen, plaudern und herumsitzen. Und Gottmann machte dabei eine entscheidende Entdeckung — die den Kern der Frage, wieso manche Beziehungen erblühen, während andere verblühen, traf.
Im Laufe des Tages machten die Partner einander Angebote, eine Verbindung zueinander herzustellen. Sagen wir zum Beispiel, der Ehemann ist Hobbyornithologe und sieht einen Distelfink durch den Garten fliegen. Er sagt zu seiner Frau: „Schau mal, was für ein schöner Vogel da draußen!“
Er spricht in diesem Fall nicht einfach über den Vogel, er bittet um eine Reaktion von Seiten seiner Frau — ein Zeichen von Interesse oder Unterstützung — in der Hoffnung, dass sie für einen kurzen Moment über den Vogel eine Verbindung zueinander herstellen werden.
Die Frau hat nun die Wahl: Sie kann sich entweder ihrem Mann zu- oder von ihm abwenden. Auch wenn das Verbindungsangebot mit dem Vogel unwichtig und fast schon albern wirken mag, kann es dennoch viel über den Zustand der Beziehung verraten.
Der Mann fand den Vogel wichtig genug, um ihn anzusprechen und die Frage ist, ob seine Frau das erkennt und respektiert.
Menschen, die sich in der Studie ihrem Partner zuwandten, gingen dabei auf ihn ein und zeigten Interesse oder Unterstützung. Diejenigen, die sich von ihrem Partner abwandten, reagierten minimal oder gar nicht und machten einfach mit ihrer Beschäftigung weiter, ob das nun Fernsehen oder Zeitunglesen war. Manche ragierten sogar mit offener Feindseligkeit und sagten etwas wie: „Unterbrich mich nicht, ich lese gerade.”
Diese Interaktionen hatten starke Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Ehepartner. Paare, die bei der Nachfrage nach sechs Jahren bereits geschieden waren, brachten es bei den Verbindungsangeboten nur auf eine Zuwendungsrate von 33 Prozent. Nur drei von zehn ihrer Angebote einer emotionalen Verbindung wurden mit Intimität beantwortet.
Die Paare, die nach sechs Jahren noch zusammen waren, hatten eine Zuwendungsrate von 87 Prozent. In neun von zehn Fällen wurden die emotionalen Bedürfnisse des Partners erfüllt.
Indem Gottmann diese Art von Interaktionen beobachtet, kann er mit bis zu 94-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob Paare, hetero- oder homosexuell, arm oder reich, Eltern oder kinderlos, einige Jahre später getrennt, unglücklich zusammen oder glücklich zusammen sein werden.
Das meiste hängt von der Grundstimmung innerhalb der Beziehung ab. Ist sie gekennzeichnet von Güte und Großzügigkeit oder von Geringschätzung, Kritik und Feindseligkeit?
„Die Masters haben eine Angewohnheit”, erkärte Gottmann im Interview. „Sie suchen in ihrem sozialen Umfeld nach Dingen, für die sie dankbar sein können. Sie schaffen ihre Kultur von Respekt und Wertschätzung ganz bewusst. Disasters dagegen suchen in der sozialen Umgebung nur nach den Fehlern des Partners.”
„Sie durchsuchen nicht nur die soziale Umgebung”, stimmte Julie Gottman ein. „Sie untersuchen den Partner. Was macht er richtig, was macht er falsch und je nachdem kritisieren sie ihn oder drücken Anerkennung aus.”
Geringschätzung, so fanden sie heraus, ist der wichtigste Trennungsgrund. Menschen, die darauf konzentriert sind, ihren Partner zu kritisieren, übersehen unfassbare 50 Prozent der positiven Dinge, die ihr Partner tut und sehen Negatives, selbst wenn es gar nicht da ist.
Menschen, die ihrem Partner die kalte Schulter zeigen — ihn bewusst ignorieren oder nur minimal reagieren — fügen ihrer Beziehung Schaden zu. Der Partner fühlt sich dadurch wertlos und geradezu unsichtbar, fast, als wäre er gar nicht da.
Und Menschen, die ihre Partner krisitieren und geringschätzen, zerstören nicht nur die Liebe in der Beziehung, sondern auch die Fähigkeit ihres Partners, Viren und sogar Krebs zu bekämpfen. Gemein zu sein ist die Totenglocke jeder Beziehung.
Güte dagegen schweist Paare zusammen. Andere Forscher haben bewiesen, dass Güte (und emotionale Stabilität) der wichtigste Prädiktor von Zufriedenheit und Stabilität einer Ehe ist. Durch Güte fühlt jeder Partner sich umsorgt, verstanden, wertgeschätzt — geliebt.
„Meine Freigiebigkeit ist so grenzenlos wie die See”, sagt Shakespeares Julia. „Meine Liebe so tief; je mehr ich dir gebe, desto mehr habe ich, denn beide sind unendlich.” Genau so funktioniert auch Güte: Es wurde hinlänglich bewiesen, dass jemand, der viel Güte empfängt, auch selbst gütiger sein wird, was zu einer Aufwärtsspirale von Liebe und Großzügigkeit innerhalb einer Beziehung führt.
Man kann sich Güte auf zwei Arten vorstellen: Als feste Eigenschaft, die man entweder hat oder eben nicht hat, oder als eine Art Muskel. Bei manchen Menschen ist dieser Muskel von Natur aus stärker als bei anderen. Aber durch Training kann er bei jedem stärker werden.
Masters sehen Güte als Muskel. Sie wissen, dass sie sie trainieren müssen, damit er in Form bleibt. Sie wissen mit anderen Worten, dass eine gute Beziehung dauerhafte harte Arbeit erfordert.
„Wenn euer Partner ein Bedürfnis ausdrückt”, erklärt Julie Gottmann, „und ihr seid müde, gestresst, oder abgelenkt, dann stellt sich die Großzügigkeit ein, wenn euer Partner ein Verbindungsangebot unterbreitet, und ihr wendet euch ihm trotz allem zu.”
In dieser Situation mag es die angenehmere Reaktion sein, sich von eurem Partner abzuwenden, euch aufs iPad, euer Buch oder den Fernseher zu konzentrieren und „aha” zu nuscheln, doch solche kurzen Chancen für eine emotionale Verbindung zu ignorieren, wird eure Beziehung langsam aber sicher aushöhlen. Missachtung schafft Distanz zwischen den Partnern und erzeugt Verbitterung bei demjenigen, der ignoriert wird.
Am schwierigsten ist es natürlich, während eines Streits Güte zu zeigen — aber das ist gleichzeitig die Situation, in der es am wichtigsten ist. Wenn Missachtung und Aggression während eines Konflikts außer Kontrolle geraten, kann dadurch eine Beziehung irreparablen Schaden nehmen.
„Güte bedeutet nicht, dass wir nicht mal sauer auf einander sind, aber die Güte zueinander beeinflusst, in welchem Ton wir unserem Ärger Luft machen. Man kann den Partner anschreien und fertig machen. Oder man erklärt, weshalb man verletzt oder sauer ist. Das ist der wesentlich bessere Weg”, erklärt Julie Gottman.
Ihr Mann, John Gottman, ergänzt liebevoll die Aussage seiner Frau: „Disaster werden die Dinge im Streit anders ausdrücken. Sie werden sagen: „Du bist zu spät, was stimmt denn nicht mit dir? Du bist wie deine Mutter!“ Und Master werden sagen: „Ich finde es nicht gut, mich über deine Unpünktlichkeit zu beschweren, weil ich weiß, es ist nicht deine Schuld, aber es belastet mich.”
Die Nachricht aus der Forschung für Millionen von verheirateten Paaren ist eindeutig: Wer eine lange, gesunde Beziehung führen möchte, muss sich frühzeitig in Güte üben. Mit Güte werden oft kleine Aufmerksamkeiten verbunden, kleine Geschenke oder spontane Massagen.
Das sind zwar gute Beispiele, aber das Fundament einer gesunden Beziehung ist die Art und Weise, wie in alltäglichen Lebenssituationen miteinander umgegangen wird — auch ganz ohne Massagen oder Geschenke.
Der beste Weg, so die Gottmans, ist, stets zu versuchen, die Intentionen des Partners auf die positivste mögliche Art zu interpretieren. Disaster tendieren dazu, Negativität zu sehen, selbst wo keine ist. Eine verärgerte Ehefrau könnte denken, ihr Mann lässt die Klobrille oben, um sie zu ärgern, dabei hat er es einfach vergessen.
Oder die Ehefrau verspätet sich (erneut) zum Abendessen. Der Mann denkt, sie schätzt ihn nicht mehr, weil sie zu spät zu einem Date kommt, für das er sich extra Mühe gemacht hat. Dabei ist sie zu spät, weil sie ihm noch ein Geschenk besorgt hat. Dass sie ein Geschenk dabei hat, wird direkt zur Nebensache, wenn sie merkt, dass er schlecht gelaunt ist, weil er ihr Verhalten fehleingeschätzt hat. Sich nachsichtig und gütig zu zeigen, wenn es um Handlungen und Intentionen des Partners geht, kann solche Situationen direkt entwaffnen.
Eine weitere Methode sich in Güte zu üben, ist geteilte Freude. Ein Merkmal von Distasters war die Unfähigkeit, sich für den Anderen zu freuen. Allzu oft wird guten Neuigkeiten mit Floskeln begegnet statt mit wahrer Freude. Jeder weiß, dass der Partner in schweren Zeiten für einen da sein sollte.
Derweil sagt die Forschung allerdings, dass es wichtiger ist, glückliche Momente miteinander zu teilen. Wie man auf gute Neuigkeiten des Partners reagiert, hat direkte Auswirkungen auf die Beziehung.
Für eine Studie hat die psychologische Forscherin Shelly Gable 2006 mit ihren Kollegen junge Paare zu positiven Lebenserfahrungen befragt. Wichtig für die Psychologen war dabei allerdings hauptsächlich die Reaktion des jeweiligen Partners. Diese Reaktionen unterteilten sie in vier Gruppen: passiv destruktiv, aktiv destruktiv, passiv konstruktiv und aktiv konstruktiv.
Beispiel: Ein Partner erzählt von einer Zusage zum Medizinstudium und freut sich darüber sehr. Ein passiv destruktiver Partner würde diese Aussage ignorieren und vielleicht eine eigene Geschichte erzählen. Ein passiv konstruktiver Partner reagiert auf die Aussage, allerdings mit ziemlicher Gleichgültigkeit, eher aus Verpflichtung als aus tatsächlicher Freude.
Ein aktiv Destruktiver reagiert mit Negativität auf die Freude des Partners, spielt die Bedeutung herunter. Zu guter Letzt steht der aktiv konstruktive Partner, der sich aus vollem Herzen für seinen Partner freuen kann.
Von diesen vier unterschiedlichen Antworten ist der aktiv konstruktive Partner der gütigste. Die anderen drei spielen die Freude des Partners herunter, zerstören sie. Sich mit seinem Partner zu freuen, gibt beiden die Möglichkeit, sich über die geteilte Freude näher zu kommen.
Aktiv konstruktive Reaktionen auf den Partner sind für gesunde Beziehungen essenziell. Shelly Gable traf sich mit den Paaren aus ihrer Studie von 2006 nach zwei Monaten erneut, um zu sehen, ob sie überhaupt noch zusammen waren. Der einzige Unterschied zwischen denen, die noch zusammen waren und denen, die sich getrennt hatten, war die aktiv konstruktive Reaktion.
Von denjenigen, die wahres Interesse an den Freuden des Partners gezeigt hatten, waren weitaus mehr Paare noch zusammen als von den anderen drei Gruppen. In einer früheren Studie stellte Gable eine Korrelation zwischen aktiv konstruktiven Paaren und einer höheren Beziehungsqualität und gesteigerter Intimität her.
Es gibt viele Gründe, warum Beziehungen scheitern. Aber wenn man diese Beziehungen studiert, dann findet man einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen von Güte und Trennungen. Bei all dem Alltagsstress sollte man immer Zeit und Kraft finden, in seine Beziehung zu investieren. Sonst stürzt dieser Fels in der Brandung früher oder später ein.
In den meisten Ehen sinkt die Zufriedenheit in den ersten Jahren. Aber die Ehen, die nicht nur von Dauer sind, sondern auch von Glück und Leidenschaft zeugen, sind diejenigen Ehen, die auf dem Fundament der Güte geführt werden.
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