Ende dieses Jahres wird es möglich sein, in Geburtsurkunden als Geschlecht des Kindes divers anzugeben. Lann Hornscheidt ist nicht-binär und erklärt, welchen Einfluss das Urteil und unsere Sprache auf das Leben von Menschen haben, für die die Begriffe Frau und Mann nicht passen.
„In meiner optimalen Welt gäbe es nur ein Pronomen“
Bei der Geburt eines Kindes gibt es in Zukunft vier Optionen, wie das Geschlecht in die Geburtsurkunde eingetragen werden kann. Zur Auswahl stehen männlich, weiblich, die Option das Feld freizulassen und seit dem 15. August 2018 divers. Für diese Entscheidung haben Aktivist*innen jahrelang gekämpft. Denn auch intersexuelle, genderfluide und nicht-binäre Menschen, die mit einem Entweder-oder nicht abgebildet werden können, müssen die Möglichkeit haben, eine positive Geschlechteridentität in ihre Geburtsurkunde einzutragen, wie das Bundesverfassungsgericht im November 2017 urteilte. Dieser Entschluss wurde am 15. August vom Bundeskabinett konkretisiert und soll bis Ende des Jahres umgesetzt werden.
Wie geht they auf Deutsch?
Doch wie sprechen wir über diverse Menschen, über diejenigen, die mit den Kategorien Frau oder Mann nichts anfangen können? Im Englischen hat sich die Verwendung des Pronomens „they“ beziehungsweise „them“ anstatt des binären, also zweigeschlechtlichen, „she“ beziehungsweise „her“ und „he“ beziehungsweise „him“ durchgesetzt. Ähnlich wie divers umfasst auch they eine Vielzahl von Geschlechtsidentitäten. Der Begriff wird im Englischen auch benutzt, um über Personen zu sprechen, deren Geschlecht einem nicht bekannt ist. Sind solche Begriffe im Deutschen auch möglich?
Ja, auf jeden Fall, sagt Lann Hornscheidt. Hornscheidt lebt entgendert, betrachtet also die Fokussierung auf das Geschlecht einer Person als hinderlich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben. Diese Entgenderung lebt Hornscheidt auch in der Sprache und benutzt das Pronomen ex, als Abkürzung von Exit Gender. Alternativen wären die Verwendung des Vornamens Lann als Pronomen oder l (gesprochen el), hergeleitet aus dem Anfangsbuchstaben des Vornamens.
Was auf den ersten Blick etwas irritierend erscheinen mag, macht auf den zweiten deutlich, wie sehr unsere eigene Gedankenwelt an das Konzept männlich oder weiblich gekoppelt ist. Um diese Mauern, die ich mitunter auch aus meinem eigenen Kopf kenne, zu überwinden, treffe ich Hornscheidt in einem Café in Berlin-Kreuzberg. Wer wissen möchte, wie man respektvoll über nicht-binäre Menschen spricht, sollte schließlich als erstes mit ihnen sprechen. Als ich ankomme, ist Hornscheidt schon da, trinkt Mineralwasser und verscheucht eine Wespe, die sich an unseren Tisch verirrt hat.
Hallo, ich heiße Katharina, meine Pronomen sind sie und ihr. Würden wir uns in einer idealen Welt alle so vorstellen?
„Im Moment ja. Es wäre richtig cool, wenn Menschen das so machen würden, die vorher noch nie über ihre Pronomen nachgedacht haben. Aber in meiner optimalen Welt gäbe es nur ein Pronomen für alle Leute. Meine Frage ist: Warum Gender? Warum muss ich mit einem Namen Weiblichkeit verbinden und kann die Person nicht erst mal als Mensch sehen? Wichtig ist doch, dass wir uns alle als Personen begegnen.“
Was halten Sie von der Option divers im Geburtsregister?
„Ich empfinde das als einen riesengroßen Schritt. Diese Gesellschaft hat bisher immer so getan, als gäbe es nur Frauen und Männer. Divers ist auch deswegen so schön, weil es – wie der Begriff schon sagt – vielseitig ist. Es heißt nicht, dass eine Person genau zwischen weiblich und männlich steht, sondern es kann ganz viele Bedeutungen haben. Divers heißt, eine Öffnung von allem, was Geschlecht sein kann. Für mich ist es ein sehr guter Zwischenschritt dazu ist, Geschlecht irgendwann ganz loszulassen und zu sagen ,Das ist doch absurd. Warum ist es wichtig, ob eine Person männlich, weiblich oder divers ist, wenn sie in einem bestimmten Beruf arbeiten will. Da geht es doch um die Fähigkeiten.’“
Divers heißt, eine Öffnung von allem, was Geschlecht sein kann.“ – Lann Hornscheidt
Welche Rolle spielt Sprache bei gesellschaftlichen Veränderungen?
„Sprache ist eine der wichtigsten Handlungen überhaupt. Über Veränderungen der Sprache können wir auch eine andere Wirklichkeit herstellen. Wir sprechen die ganze Zeit und beim Sprechen können wir die Welt verändern. Sprache ist ein dermaßen wichtiges Mittel. Das kann man am Beispiel von Diktaturen sehen: Über Propaganda, Sprachbilder und die Herstellung bestimmter Kategorien wird dort die Wirklichkeit verändert. Menschen werden auf- oder abgewertet. Darum ist es so wichtig, dass wir bewusst mit Sprachhandlungen umgehen.“
Wird die Entscheidung des Bundeskabinetts noch weitere Veränderungen anstoßen?
„Die anderen Veränderungen werden jetzt Schritt für Schritt kommen. Es ist interessant, dass es diesmal mit einem Urteil vom Bundesverfassungsgericht angefangen hat, das dann an die Politik weitergegeben wurde. Etwas, das vorher nur in Communitys stattgefunden hat, ist durch die Entscheidung des Gerichts in den öffentlichen Raum gelangt. Bei der Umsetzung wird nun die Anrede eine wichtige Frage sein. Wie sprechen wir von diversen Menschen und wie sprechen wir sie an? Der nächste Schritt ist die Einführung eines neuen Pronomens wie in Schweden. Im Deutschen wurde dazu bisher noch nichts auf der offiziellen Ebene entschieden. Jetzt ist ein toller Moment, sich die Sprache wieder neu anzueignen.“
Vor drei Jahren wurde in Schweden ein geschlechtsneutrales Personalpronomen eingeführt. Neben dem männlichen han und dem weiblichen hon gibt es seitdem auch das Pronomen hen. Der Begriff, der in den 1960er Jahren erstmals vorgeschlagen wurde, um eine Sprache zu ermöglichen, die alle Geschlechter miteinbezieht. Inzwischen hat sich der Begriff unter Schwed*innen normalisiert. Doch kurz nach der Einführung ließen sich die Veränderungen, die der Begriffs bewirkte, deutlich greifen, weiß Lann Hornscheidt:
„Als hen in Schweden eingeführt wurde, hatten die Beratungsstellen auf einmal 800 Prozent mehr Zulauf. Viele Menschen identifizieren sich mit einem Geschlecht, weil sie denken, sie hätten keine andere Wahl und arbeiten sich dann ihr Leben lang daran ab. Die öffentliche Diskussion ermöglicht erstmals den Gedanken ,Wie, das könnte auch anders sein?’“
Aktuell benutzen nicht-binäre Menschen in Deutschland verschiedene Pronomen, um sich selbst zu bezeichnen. Neben den von Hornscheidt für sich verwendeten ex und l gibt es auch die Übernahme von they oder hen, den Buchstaben y (gesprochen why) oder sie*r, eine Kombination aus dem weiblichen und dem männlichen Personalpronomen.
Ist das Nebeneinander verschiedener Pronomen eher eine Chance, weil die Entscheidung beim Individuum liegt, oder ein Risiko, weil es die Ansprache nicht-binärer Menschen verkompliziert?
„Es ist wunderschön zu zeigen, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt, mit unterschiedlichen Pronomen zu arbeiten. Aber das hilft leider nicht gegen die Unsicherheit, dass zum Beispiel Verwaltungen sagen ,Das kennen wir nicht, das geht nicht.’ Dafür wäre es toll, wenn mehr Pronomen außer sie und er auch offiziell anerkannt werden oder wir irgendwann sogar ein Pronomen finden, das nicht geschlechtsspezifisch ist und alle Menschen meint. Dadurch, dass divers festgeschrieben ist, wird ein neues Pronomen kommen müssen.“
Dadurch, dass divers festgeschrieben ist, wird ein neue Pronomen kommen müssen.“ – Lann Hornscheidt
Der gerichtliche Beschluss, die Sprache zu erweitern und so unterschiedliche Lebensrealitäten durch den Begriff divers sichtbar zu machen, geht in Deutschland auf eine Klage aus dem Jahr 2014 zurück. Damals klagte die intersexuelle Person Vanja mit Unterstützung der Initiative Dritte Option das Recht ein, dass die persönliche geschlechtliche Identität in der Geburtsurkunde vermerkbar sein müsse. Die Klage ging durch alle Instanzen.
Gibt es Länder, die einen progressiveren Umgang mit nicht-binären Menschen haben als Deutschland?
„In Kanada ist das Pronomen they schon viel länger institutionalisiert, genauso wie in Neuseeland. Dort gibt es auch die Option, ein drittes Geschlecht im Pass einzutragen. Es ist unglaublich, wie anders dort die öffentliche Diskussion ist. Menschen, die mich nicht kannten, haben sich dort bei mir entschuldigt, wenn sie herausgefunden haben, dass sie mich falsch gegendert haben. Das habe ich hier noch nie erlebt. Dort herrscht einfach eine größere Gelassenheit, die Menschen fühlten sich durch meine Pronomen nicht direkt bedroht. Nur weil ich mich anders verstehe, muss das ja nicht für andere gelten.“
Ein gelassener Umgang ist nicht gerade das, was Hornscheidt aus Erfahrungen kennt. Hornscheidt war Teil des Lehrkörpers der Humboldt-Universität mit einer Professur für Gender Studies und Sprachanalyse, als ex bekannt gab, von nun an mit diesem Pronomen angesprochen werden zu wollen. Das brachte Hornscheidt Unmengen an Hassnachrichten, Vergewaltigungs- und Morddrohungen ein. Ex richtete daraufhin eine eigene Mailadresse für ebendiese Nachrichten ein: hatemail@lannhornscheidt.de. Besonders aus AfD-Kreisen wird Hornscheidt immer wieder angefeindet, die Geschlechteridentität infrage gestellt. Ein Vorwurf, der häufig kommt: Zweigeschlechtlichkeit sei evolutionsbiologisch bedingt und alles andere nicht natürlich.
„Ich frage dann, woran Menschen diese Biologie festmachen. Geht es um Hormonspiegel, DNA-Strukturen oder die Hirngröße? Um eine Gebärmutter? Und, was davon habe ich? All das, was so gerne als Biologie hergestellt wird, wo viele Mediziner*innen sagen, dass es gar nicht um Zweiteiligkeit geht, sondern viel mehr um ein Kontinuum, das kann man von außen gar nicht sehen. Warum ist das dann relevant? Die sozialen Zuschreibungen zu Geschlecht sind ja keine Umsetzung einer genetischen Struktur. Das hat nichts miteinander zu tun.“
Welche Rolle spielen Privilegien bei unserer Art zu sprechen?
„Es ist ein relativ großes Privileg, wenn mir bei meiner Geburt ein Geschlecht zugeschrieben wurde und ich mich mein Leben lang damit identifiziere, mit allen Anforderungen, die aufgrund dieses Geschlechts an mich gestellt werden. Nicht angefeindet zu werden, wenn man eine Toilette benutzt, weil andere Leute meinen, man sei dort aufgrund des Geschlechts nicht richtig. Sagen zu können: Ich bin ein Mann, das ist einfach so.
In der Sprache sind Privilegien immer das, was gerade nicht benannt werden muss oder was allgemein-menschlich hergestellt wird. In der männlichen Form sollen Menschen aller Geschlechter mitgemeint sein, die männliche Form muss darum nicht explizit herausgehoben werden. Das findet sich bei allen Diskriminierungformen. Die diskriminierte Position wird benannt, die andere als Normalzustand angesehen. Menschen, die aus einer privilegierten Position sprechen, wollen anderen dadurch nicht automatisch etwas Böses. Aber ihre Art, ihren Standpunkt als Normalität anzusehen, verschleiert, dass nicht alle Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben.“
Wäre es eine Option für Sie, divers in ihrem Geburtsurkunde eintragen zu lassen?
„Nein, für mich ist die einzige Option, dass das Geschlecht als Eintrag insgesamt gestrichen wird.“
Der Originaltext von Katharina Alexander ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen
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