Frauen wollen anders gründen und anders Karriere machen. Deutschlands Business-Dogmen ignorieren das noch immer. Zeit aufzuwachen.
Zwei Perspektiven
Anna Handschuh antwortet auf die Debattenbeiträge von Christoph Raethke „Gründerinnen? Fehlanzeige.“ und „Liebe Frauen, reißt euch mal zusammen!”, in denen er fragte, warum Frauen nach dem Studium seltener gründen und die These vertrat: Gründer müssen hart im Nehmen sein. Anna, die für ein europäisches Think Tank arbeitet, fordert die Abschaffung von überholten Business-Regeln.
Über wessen Realität reden wir?
Perspektiven unterscheiden sich: aufs Gründen, auf den Beruf, auf das, was ein erfülltes Leben ausmacht. Zu meiner Realität als Frau: Ich bin bald Mitte 30, habe mit Ende 20 ein Bank-Startup mitaufgebaut und lebe zur Zeit mit meinem Partner in der Schweiz. Ich suche als Programmchefin für die internationalen Konferenzen eines europäischen Think Tank ständig Frauen als Referentinnen. Selbstredend sind meine Wunschkandidatinnen Unternehmerinnen wie Lea-Sophie Cramer, die Gründerin von Amorelie. Und ja, davon gibt es nicht so viele – besonders im deutschsprachigen Raum. Daher gleicht meine Arbeit der einer Headhunterin, mein Radar ist international.
Zuerst die gute Nachricht: Manchmal kann ich der Sichtweise von Christoph Raethke durchaus etwas abgewinnen. Vermutlich haben wir beide schon vielfach einer jüngeren Generation Frauen ähnliche Ratschläge gegeben. Zum Beispiel, dass Frauen nicht schon die eventuelle Familiengründung ein Jahrzehnt vor ihrem Eintreten ihre berufliche Planung beeinflussen lassen sollten. Die Spielregeln für Frauen sind dabei scheinbar klar: „Lean In“ oder „Lass es ganz!“ Oder um den Worten von Christoph Raethke zu sprechen: „Das Business-Leben ist ein Autoscooter.“
Das deutsche Business-Mantra sieht dabei klare Regeln vor: „Morgens um fünf zum Flughafen, die Formalisierung und Hierarchisierung des Lebens, Kultur ausblenden, Intellektualität ausblenden, tiefe Beziehungen und Familie opfern”. Sollte jemand – insbesondere Frauen – zu diesem asketischen Programm der Business-Stählung nicht kompromisslos bereit sein, gilt es dringend, einen der unzähligen therapeutischen Ratgeber zu lesen, die es jedoch nur für die Zielgruppe Frauen gibt. Diese tragen klonartige Titel wie „Das Arroganz-Prinzip. So haben Frauen mehr Erfolg im Beruf“, „Spielregeln im Job durchschauen: Frauen knacken den Männer-Code“ oder „Die Manipulationsfalle: Selbstbewusst im Beruf mit dem Arroganz-Training für Frauen“.
„Autoscooter“ ist nur eine Lösung
Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Die „Opfer-Nummer“ halte ich für nicht zielführend – geschlechtsunabhängig. Für genauso wenig zielführend halte ich es aber auch, Frauen permanent zu sagen: Eure Vorstellungen, wie Unternehmen zu gründen und zu führen oder Karrieren mitsamt Familie zu machen sind, sind ein Problem. Und sich dann darüber zu beschweren, dass sie verloren gehen.
Nein, das Problem ist, dass diese Argumentation, die in Deutschland viele Anhänger hat, nur eine einzige Realität anbietet. Dazu kommt, dass alle, die diese berufliche Realität mit basteln und als Ultima Ratio verkünden, mit dem gleichen Karriere-Modellbausatz operieren: Dem für Autoscooter. Und zwar nur Autoscooter. Wenn eine Frau dann sagt sagt, dass sie ein anderes Modell willl, ist sie ein Problem. Sie soll sich zusammenreißen und mit über die Bahn rempeln.
Das deutsche Modell ist überholt
Dass viele Frauen das „One-size-fits-all”-Modell ablehnen, sagt nichts über den Ehrgeiz der weiblichen Hälfte einer Akademikergeneration aus. In Deutschland herrscht im Bereich der Möglichkeiten für Karrieren und fürs Gründen kreative Windstille in Deutschland. In anderen Ländern, wie den Niederlanden oder Schweden, schüttelt man da über Deutschland nur den Kopf. Wer dort nach 17 Uhr noch im Büro rumhängt, ist nicht effektiv genug, völlig unflexibel, scheint seine Beziehung geopfert zu haben und sich als Vater auf die Rolle des Samenspenders zu beschränken. Kurz: Das deutsche Modell ist weit über das gesellschaftliche Mindesthaltbarkeitsdatum. Ein sehr erfolgreicher dänischer Unternehmer gab mir kürzlich eine klare Ansage: Im Sommer ist er drei Wochen nicht erreichbar, keine Mails, keine Telefonate. Nur Zeit mit seiner Familie. Solche Haltungen laut zu kommunizieren ist wichtig.
Wütende Frauen, schweigende Männer
Deutschlands Realitätsangebot hängt fest wie eine alte Schallplatte, die keiner mehr hören mag. Aus der Sicht der Länder, die uns nicht nur mit ihrer volkswirtschaftlich vorteilhafteren Geburtenrate, sondern auch in punkto flexibler Lebensmodelle etwas voraus haben, hängt diese hier etwa auf dem Niveau der 70er und 80er Jahre fest. Und wenn das gesellschaftlich nicht so folgenreich wäre, könnte man einfach nur sagen: Peinlich, peinlich.
Christoph Raethke fragt in seinem Beitrag , ob „die jungen Frauen“ sich bereits früh auf Familiengründung ausrichten und danach ihre Karriere planen. Bei der Beantwortung der Frage kann die Langzeit-Studie „Frauen auf dem Sprung“ Abhilfe schaffen: Sie bescheinigte 2013 der so genannten deutschen Wachstumslokomotive ein desaströses Versagen bei ihrem Projekt gesellschaftliche Modernisierung. So waren die befragten Frauen damals zwischen 25 und 35 Jahre alt und 92 Prozent von ihnen wollten Kinder. Gerade mal 42 Prozent haben fünf Jahre später welche bekommen. Das praktische Ergebnis des deutschen Business-Mantra für Frauen lautet: „Karriere ohne Kinder oder Kinder ohne Karriere“ so konstatiert die Studie. Und sie macht eines klar: Die jungen Frauen sind wütend und unter Druck, während die jungen Männer bei diesem Großprojekt gesellschaftlichen Wandels vor allem durch konsequente Nicht-Beteiligung glänzen – abgesehen von wenigen Ausnahmen, die genauso wütend sind. Die Konsequenz ist eine Minimal-Geburtenrate, die weit entfernt ist vom eigentlichen Kinderwunsch junger Frauen.
Frauen wollen Wahlfreiheit
Frauen werden oft gar nicht erst Unternehmerinnen oder streben nach „ganz oben“, wenn wir ihnen die Zeitfenster und Art und Weise diktieren, in denen man das macht. Doch wer ist „man“? Frauen sind gut ausgebildet und sie wollen Wahlfreiheit, nicht Autoscooter für alle. „Zwischendurch“ mal eben drei Kinder zur Welt zur bringen ist keine Lebensrealität, sondern eine Idee von denjenigen, die noch keine Familie haben – oder ihre Familie nicht so wichtig finden. Wer 38 ist, einige Jahre gearbeitet hat, sich mit dem Vater Erziehung und Haushalt geteilt und mit knapp 40 das eigenes Business startet – all das ist großartig! Wo bitte ist das Problem? Wo steht geschrieben, was ein „harmloser Job“ ist und dass Frauen sich in die Warteschlange zum Autoscooter-Rempeln einreihen sollten?
Viele junge Akademikerinnen in Deutschland sind schon im nächsten Jahrtausend angekommen und dort erwarten sie schlicht mehr als alte Ideen von Karriere und Familie. Mindestens soviel unternehmerische Phantasie mit Umsetzung braucht es zwingend für eine neue Gründerinnenzeit. Mein Rat: Die 90 Prozent männlichen Gründer und Studenten, die ein Business aufbauen wollen, sollten sich gut vorbereiten – der „Autoscooter Businessleben“ ist nur das Warm-up für Kind, Küche und Gründung. Aber wie Christoph Raethke: Zusammenreißen! Schmerz tut gut.