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Mein Schweinehund Rudi & ich – eine Liebesgeschichte?!

Mit Rudi und mir ist das ja so ne Sache. So wirklich sympathisch war er mir auf Anhieb nicht. Leider muss ich alle Vollblutromantiker unter euch enttäuschen. Liebe auf den ersten Blick war es keinesfalls. So… aber wie war es denn jetzt nun genau?

 

Mit Rudi und mir ist das ja so ne Sache. So wirklich sympathisch war er mir auf Anhieb nicht. Leider muss ich alle Vollblutromantiker unter euch enttäuschen. Liebe auf den ersten Blick war es keinesfalls. So… aber wie war es denn jetzt nun genau?

Freitagabend: Miss K. und ich hielten uns im Sekundentakt per WhatsApp auf dem Laufenden, wer welches Kleidungsstück anzieht [welche noch mindestens 5x wieder ausgezogen und gewechselt wurden] und welcher Lippenstift verwendet wird, um sexy aber nicht zu sexy zu wirken. Denn wir waren zu  dieser super schicken Party beim super hippen Mister H. eingeladen, der der neue Pokal im Trophäenschrank meiner Freundin werden sollte. Und da man ja bekanntlich nicht alleine auf solchen super schicken Partys bei super hippen Mistern aufkreuzen kann, schleppt man die beste Freundin mit. So – lange Rede, kurzer Sinn… Aufgerüschelt und gemaschelt ging es in die Wohnung des super hippen Mister H. Miss K. steuerte zuallererst Mister H. an – ich die Getränkebar. Dort nippte ich an meinem lauwarmen Bier [die Gastgeberqualitäten des super hippen Mister H. sind definitiv noch ausbaufähig] und sehe mich zum ersten Mal um und erblicke – 3x dürft ihr raten – Rudi. Ein Koloss von einem Mann, mit Bier und Zigarette in der Hand, kopfwippend zum Beat der Musik und mit einem
Gesichtsausdruck so als würde er gleich vor lauter Langeweile einschlafen.

Und man kennt das ja oft von Filmen, in denen sich die Protagonisten ansehen, die Welt um sie herum sich scheinbar in Zeitlupe bewegt, der Liebesschalter umgelegt wird und das Lied „I just called to say I love you“ in Dauerschleife läuft. Dann küssen sich die zwei wild und innig. Bevor
 man überhaupt weiß wie die Geschichte zu Ende geht, läuft auch schon der Abspann.

Nein, meine Lieben, so war es mit Rudi und mir nicht. Vor allem als er sich durch die Partymeute zwängte und direkt auf mich zusteuerte. Ich versuchte noch zu entkommen aber da hatte er sich schon vorgestellt. Er begann mit mir ein Gespräch über das Paarungsverhalten von Eintagsfliegen und erzählte mir, dass Eintagsfliegen sogar den Autoverkehr gefährden.
 Tja… höflich wie ich bin, blieb ich und ließ ihn reden, während ich im Kopf meine Einkaufsliste durchging. Selbst als er mich nach einem Treffen fragte, ich wie in Trance nickte und „Ja“ sagte, begriff ich immer noch nicht, was ich gerade eben getan hatte. Erst als er mich zum dritten Mal nach meiner Nummer fragte weil man sich ja irgendwie verabreden muss, bin ich aufgewacht und hab kapiert, was eben passiert ist. Ich sah ihn kurz an – Dackelblick, leicht verschwitzt, viel zu nett und viel zu langweilig – und hatte irgendwie Mitleid mit
ihm. Also dachte ich mir „Ach was… Was ist schon ein Abend. Außerdem bringt dir das sicher Punkte in deiner Karmaliste.“ und gab ihm meine Nummer. Nach dem Nummerntausch verließ ich fluchtartig die super schicke Party und vergaß sogar auf Miss K. Doch die war ohnehin intensiv mit der Untersuchung der Mandeln ihres super hippen Mister H. beschäftigt. Am nächsten Tag wurde der Vorfall erstmal verdrängt, mit der Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum war. Ihr ahnt es vermutlich schon… Es war kein Traum. Rudi hatte mir schon 10 Minuten nach meiner Partyflucht geschrieben und 6 Auswahltermine für unser „Date“ geschickt. Was für ein Freak. Deshalb entschied ich den Spieß umzudrehen und unser Date schnell hinter mich zu bringen, in der Hoffnung, dass ich ihn danach nie wieder sehen muss. Ich rief ihn an und schlug vor, dass er mich doch zum Wochenendeinkauf begleiten könnte. Wohlwissend, dass Rudi ein Auto besaß, von dem er mir am Vortag gefühlte 100 Stunden erzählt hatte. Mehr als begeistert von meiner Idee stand Rudi kurze Zeit später vor meiner Tür und wartet mit Blumen [!!!!] auf mich.

Von da an ging alles relativ schnell. Rudi ist zwar mega langweilig und so aufregend wie eine Vorlesung zum Thema „Wissenschaftliches Arbeiten“, aber er ist nett. Rudi hat ein Auto, ein riesengroßes Sofa – das sich perfekt als Chillax-und-Lümmel-Fläche eignet – macht die beste Pizza der Welt, hat immer Eis daheim und das kübelweise, ist immer aber auch wirklich immer da. Rudi ist geduldig, verlangt nichts von niemandem, sagt immer Ja, ist so harmoniebedürftig wie die „Himmlische Familie“ und sieht in jedem etwas Gutes. Rudi schläft und träumt gerne. Eben ein bequemer, unkomplizierter Zeitgenosse. Vor allem scheint er auch immer genau zu wissen, was ich möchte und brauche. Eigentlich auf den ersten Blick ein wunderbarer Freund, den man einfach lieben muss. Doch wie war das noch einmal mit dem Wörtchen „eigentlich“? Meist folgt darauf ein „Aber“.

Manch einer wird sich vielleicht denken, was die doofe Kuh denn hat. Ist doch ein lieber Kerl. Ja klar ist er das. Wie gesagt… es gibt eben auch ein „Aber“.

Mit Rudi begann sich mein Leben von Grund auf zu ändern: Mein Tag, meine Woche, mein Monat verlief immer gleich.

Mein Leben war erfüllt von schlafen, essen, arbeiten, fernsehen, noch mehr schlafen und viel mehr essen. Tag ein, Tag aus das Gleiche. Ohne Unterbrechung. Jegliche Aktivitäten oder sozialen Interaktionen wurden eingestellt. Selbst meine Freundinnen bekamen mich nur noch selten zu sehen. Ich wurde müde, träge und traurig. Meine Frisur war immer dieselbe und die Jeans wurde stetig enger. Am schlimmsten jedoch war diese unerklärlich tiefe Müdigkeit gepaart mit einer großen Portion Traurigkeit. Selbst bei Biene Maja musste ich heulen, als die böse Spinne Thekla das arme Ameisenbaby gefangen nahm und fressen wollte. Und Rudi?! Ja Rudi machte es nicht besser. Was anfangs noch schön war, wurde mit der Zeit unerträglich. Rudi war immer da und ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Er klebte an mir wie ein Rotweinfleck im Teppich, wie ein Kaugummi auf der Schuhsohle. Er nahm mir die Luft zum Atmen. Doch ich konnte irgendwie nicht aus dieser wohlig warmen Kuschelecke rauskriechen. Zu gemütlich und vertraut war sie. Keine Ecken, keine Kanten, keine Hochs und Tiefs. Ich hatte die Kontrolle abgegeben, denn
Rudi war da… immer. Rudi kümmerte sich um alles und ließ mich sein. Bis ich eines Tages, nach einem langen und ausgiebigen Bad, den Dunst vom Spiegel wischte und mich das erste Mal seit sehr langer Zeit im Spiegel sah. Das Wasser tropfte mir von den nassen Haaren auf die Schultern und bahnte sich seinen Weg an meinem Körper hinab. Mein Blick folgte dem Wassertropfen und ich erstarrte: War das wirklich ich? Ich erkannte mich nicht wieder. Mein Körper hatte sich verändert, meine Haut war blass und in meinen Augen konnte ich kein Glitzern mehr erkennen. Auf einmal wurde mir ganz schummrig, mein Herz begann schneller zu schlagen, das Atmen viel mir schwer, mir war heiß und kalt zugleich. Ich hatte das Gefühl, als würde ich von innen heraus explodieren. Das tat ich dann auch. Ich lag am Badezimmerboden und weinte. Aus meinem weinen wurde lachen. Zuerst ganz leise, dann immer lauter. Das ging so lange, bis nichts mehr übrig war. Keine Träne, kein Lachen. Meine Atmung wurde
ruhiger und ich ganz still. Ich lag noch einen Moment so da und wartete.

Ich wusste genau was nun zu tun war: Rudi musste weg und zwar schnell.

Mit einer Energie und Kraft, die ich lange vermisst hatte, stürmte ich aus dem Bad und ins Wohnzimmer, wo Rudi – wie konnte es auch anders sein – auf dem Sofa lag, mit einer Packung Chips in der Hand. „Rudi, du ziehst aus und zwar sofort!“ Und ganz einfach hatte ich das Steuer wieder an mich gerissen. Nun gut, so einfach war es dann doch nicht. Aber ich hatte die Kontrolle über mein Leben wieder.

Die Zeit mit Rudi war schön. Schön auf ihre Art. Ich konnte mich fallen lassen und vergessen. Ich musste nicht ich sein. Doch dies geht nur eine Zeit lang gut. Auch wenn Rudi mich hin und wieder besuchen kommt und ich ihn [und sein Eis und seine Pizzen und sein Sofa] manchmal sehr vermisse, ist mein Leben ohne ihn… nun ja – eckiger und echter.

PS: Aktuell hat Rudi wieder einen Wohnungsschlüssel.


Dieser Artikel erschien im Original am 12.06.2016 als Blogbeitrag auf https://sardineswelt.wordpress.com/.

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