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So wenig Besitz wie möglich – wie mein Leben durch Einfachheit Fülle bekommt

Ich habe mich vom Ballast von zu viel Besitz befreit: Minimalistisch zu leben hat mein Leben in jeder Hinsicht vereinfacht – und bereichert.

 

Viele Kilos Leichtigkeit

Als ich beschloss, Minimalistin zu werden, wurde mir bewusst, dass
ich im Grunde schon immer Minimalistin war. Bereits als Studentin liebte
ich es, dass ich die Möbel in meiner Wohnung an einer Hand abzählen
konnte. Später kam eine zweite Hand hinzu, aber es blieb immer
überschaubar.

Und als ich mit Mitte zwanzig nach Berlin zog, verkaufte ich als
erstes mein Auto und empfand Bedauern für den neuen Besitzer: Ab jetzt
musste er Parkplätze suchen, in Werkstätten Zeit vertrödeln,
Sommerreifen, Winterreifen … – während sich die wenige Gramm leichte
BVG-Monatskarte in meiner Handtasche wie viele Kilos Leichtigkeit
anfühlte.

Ich sage meist Ja oder Nein, selten Vielleicht. Und mein „Verlag für Kurzes“
ist nichts anderes als die Reduktion aufs literarisch Wesentliche. Dass
das alles zusammenhängt und verschiedene Facetten eines
minimalistischen Lebensstils und Ausdrucks sind, wurde mir erst bewusst,
als ich mich mit dem Minimalismus befasste.

Minimalismus ist eine Philosophie

Minimalismus ist eine Philosophie vom einfachen und übersichtlichen
Leben, die alle Lebensbereiche durchdringt. Minimalismus bedeutet nicht,
wenig oder nichts Hochwertiges zu besitzen oder auf einer Matratze in
einem kargen Zimmer zu schlafen.

Seinen Besitz zu minimieren ist aber dennoch meist der Anfang,
wahrscheinlich auch unabdingbar. 10.000 Dinge soll ein
durchschnittlicher Europäer besitzen. Davon wird nur ein Bruchteil
tatsächlich genutzt, der Rest ist eben einfach da, für den Fall, dass
man ihn doch mal braucht. Aber wenn unser Leben gefüllt ist mit
Vergangenheit – denn nichts anderes ist dieser ungenutzte Besitz – wo
ist dann der Platz für die Zukunft? Für den frischen Wind? Für
Veränderungen und neue Erfahrungen?

Minimalistisch aus Lebenshunger

Der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau suchte bereits
vor 200 Jahren die Fülle des Lebens in der Einfachheit. Er verbrachte
jeden Tag Stunden in der Natur und lebte sogar zwei Jahre alleine in
einer selbstgebauten Blockhütte. Dazu schrieb er unter anderem diese
eindrucksvollen Sätze: „Ich ging in die Wälder, denn ich wollte
wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in
mich aufsaugen, um alles auszurotten was nicht Leben war. Damit ich
nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.“

Diese Begierigkeit nach dem echten wahren Leben, der Wunsch, die
eigenen Tage nicht mit Fremdbestimmtheit und Streben nach Besitz
ausfüllen zu lassen, sondern das Leben in seiner Substanz zu leben, das
nennen die meisten Minimalisten in Büchern, Blogs und Foren als ihr
Motiv.

Wie wird man Minimalist?

Indem man sein Leben vereinfacht, in allen Lebensbereichen. Den
Keller, die Schränke und die Schubladen entrümpelt und nur das behält,
was man wirklich braucht.

Auch Neukäufe werden von Minimalisten meist wohlüberlegt. Braucht man
das wirklich? Oder wäre es nicht schöner, von dem Geld ein Erlebnis zu
erwerben? Oder einfach gar nichts zu erwerben?

Viele stellen auch ihr Arbeitspensum auf den Prüfstand. Denn wenn sie
weniger ausgeben, müssen sie auch weniger verdienen und können dafür
auch weniger arbeiten. Was bleibt, ist mehr Zeit.

Wichtig ist, seinen eigenen Weg zu finden, der zu einem selbst und
der momentanen Lebenssituation passt. Eine Familie mit Kindern und
Haustieren lebt anders als ein alleinstehender digitaler Nomade. Auch
muss sich niemand von seiner Lieblingssammlung trennen oder darf nur
noch 100 Dinge besitzen, um Minimalist zu sein.

Vom Äußeren ins Innere

Ein äußerlich einfacher Lebensstil greift wie von selbst aufs Innere
über und der Blick dafür, wie und mit wem man seine Zeit verbringt wird
klarer und schärfer. Unsere Zeit ist nicht weniger als unser Leben. Und
vieles, was uns umgibt, ist Ablenkung und Zerstreuung.

Der Wunsch danach, sich stärker aufs Wesentliche zu konzentrieren,
kommt auf. Und was das Wesentliche ist, muss jeder für sich selbst
herausfinden. Für mich und die meisten Menschen, die ich kenne, hat es
wenig mit Besitz zu tun, sondern mit Freundschaften, Kindern, der Liebe,
guten Büchern, Selbstausdruck und -verwirklichung (nach den eigenen
Maßstäben), Bewegung, der Natur…

Minimalismus als Trend?

Er mag ein Trend sein, insofern, als dass immer mehr Menschen den
Wunsch verspüren, sich dem Höher, Schneller und Weiter unserer Zeit zu
widersetzen und sich für Gegenströmungen interessieren. Und seine
Verbreitung über das Internet kann nur modern sein.

Er ist aber kein Trend im Sinne einer vergänglichen Zeiterscheinung.
Denn die Erkenntnis, wie bereichernd ein einfaches Leben sein kann, ist
alles andere als neu. Bereits Sokrates stellte fest: „Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche.“ Und Epikur schrieb: „Mein
Körper strömt über vor Leichtigkeit, wenn ich von Brot und Wasser lebe,
und ich spucke auf die Freuden des prachtvollen Lebens, nicht
ihrethalben wohlgemerkt, sondern wegen der Beschwerden, die sie mit sich
bringen.” Für Schiller war „Einfachheit das Resultat der Reife“ und Goethe hielt fest: „Nun
glaub ich auf dem rechten Wege zu sein, da ich mich immerfort als einen
Reisenden betrachte, der vielem entsagt, um vieles zu genießen.“

Eine neue Reise

Ich habe mich auch auf eine neue Reise gemacht, die in der Reduktion
meines Besitzes ihren Anfang nahm und dann zu einer Welle wurde, die auf
alle Lebensbereiche übergreift. Ich fühle mich jeden Tag leichter,
klarer und freier. Der Ballast und gelegentliche Stress, von dem ich
annahm, er gehöre nun mal zu einem erwachsenen und vielschichtigen
Leben, ist weg. Der Stapel ungelesener Bücher schrumpft. Die Kreativität
wächst. Und meine sechsjährige Tochter besitzt – wie alle Kinder – eine
natürliche Weisheit über die wahren Dinge des Lebens und freut sich
über unsere viele Zeit unterwegs in der Natur.

Dieser Text erschien zuerst auf Lilis Blog (http://liliwagner.de/). Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.

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