In Miriam Meckels neuem Buch „Mein Kopf gehört mir” dreht sich alles um den Begriff „Brainhacking”. Darüber wird sie auch auf unserem FEMALE FUTURE FORCE Day am 25. August sprechen. Wir haben vorab schon einmal nachgefragt, welche Chancen und Gefahren das „Jahrhunderts des Gehirns” birgt.
„Wir stehen an der Schwelle zu einer Entwicklung, die unsere Gesellschaft tiefgreifend verändern kann”
Der technologische Fortschritt geht unaufhaltsam voran. Das bringt viele Vorteile mit sich, wirft aber auch ganz neue Debatten auf. Eine davon: „Dürfen wir alles tun, was technisch möglich ist?” Die Journalistin Miriam Meckel hat sich mit genau dieser Frage intensiv beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben. In „Mein Kopf gehört mir“ setzt sie sich in Selbstversuchen, Gesprächen mit Expert*innen und durch die Analyse aktueller Forschung mit möglichen Zukunftsszenarien auseinander. Wir haben mit Miriam Meckel, die auch eine unserer „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren” ist, über die Chancen und Gefahren neuer Technologien gesprochen, die Verteidigung des eigenen Denkens und die wichtigsten Fragen, die wir uns jetzt stellen.
Im März ist Ihr Buch „Mein Kopf gehört mir” erschienen. Darin beschäftigen Sie sich mit dem Phänomen „Brainhacking’. Was steckt hinter dem Begriff?
„Im Brainhacking hat der technologische Fortschritt nun auch das Gehirn erreicht. Wie Computersysteme oder Herzschrittmacher lässt sich auch das Gehirn hacken. Manche Menschen machen das freiwillig zur Selbstoptimierung. Dahinter steckt die Vorstellung, man könne das Gehirn wie eine Maschine an- und ausstellen, schneller oder langsamer laufen lassen. Das ist natürlich Unsinn. Aber das Gehirn wird gerade Schritt für Schritt ans Internet angeschlossen und damit zur nächsten Eroberungszone des technologischen Fortschritts.”
Warum beschäftigen Sie sich persönlich so intensiv mit diesem Phänomen?
„Ich habe mich immer schon dafür begeistert, frühzeitig über das nachzudenken, was kommt. Denn nur so können wir darüber mitentscheiden, was die Zukunft bringt. Wir stehen im Zeitalter der künstlichen Intelligenz an der Schwelle zu einer Entwicklung, die unsere Gesellschaft, unser Menschsein, tiefgreifend verändern kann. Wir wissen noch viel zu wenig über unser Gehirn, gehen aber mit sehr rabiaten Werkzeugen an dieses feine System ran. Der wesentliche Kern unserer Persönlichkeit sitzt im Gehirn, die Individualität, die Emotionen, auch die Liebe und die Freiheit. Wenn wir das Gehirn manipulieren, werden wir uns fremd werden, jeder für sich, aber auch die Menschheit als Ganzes.”
„Es ist denkbar und wahrscheinlich, dass in einigen Jahren alle Gegenstände unseres Alltags an das Internet angeschlossen sind und miteinander kommunizieren.”
Und deshalb sollte es uns alle interessieren?
„Ich bin natürlich keine Neurowissenschaftlerin und möchte auch nicht so tun. Die Fragen, die ich in meinem Buch stelle, gehen jedoch nicht nur die Hirnexpert*innen etwas an. Sie betreffen alle Menschen. Es ist denkbar und wahrscheinlich, dass in einigen Jahren alle Gegenstände unseres Alltags an das Internet angeschlossen sind und miteinander kommunizieren. Wenn es medizinisch und technisch möglich ist, das Gehirn zu einem Knotenpunkt in diesem Netzwerk zu machen, wird das geschehen. Dafür möchte ich sensibilisieren.”
Sie haben zu dem gesamten Komplex gerade auch ein Buch geschrieben. Wie haben Sie dafür recherchiert?
„Ich habe unzählige Gespräche mit Wissenschaftler*innen und Expert*innen geführt, bin viel gereist, habe mich natürlich in den aktuellen Forschungsstand eingearbeitet. Darüber hinaus habe ich einiges selbst ausprobiert, um ganz konkret an mir selbst zu erfahren, was passiert, wenn wir unser Gehirn manipulieren.”
„Die Optimierung meines Gehirns hat sich alles andere als optimal angefühlt und einmal mehr gezeigt, wie sensibel unser Hirn ist.”
Welche persönlichen Experimente waren dabei am spannendsten für Sie?
„In Boston habe ich ein Gerät ausprobiert, das als Lifestyleprodukt für 299 Dollar frei am Markt erhältlich war. Mit einer App steuert man über zwei Elektroden am Kopf niederschwelligen Strom ins Gehirn. Der Strom soll das vegetative Nervensystem beeinflussen, um für mehr Energie oder Entspannung zu sorgen. Als Reaktion auf die Stromzufuhr war ich so energetisch, dass ich mich mehrmals übergeben musste und an Essen oder Schlafen die nächsten 36 Stunden nicht zu denken war. Diese Optimierung des Gehirns hat sich alles andere als optimal angefühlt und einmal mehr gezeigt, wie sensibel unser Hirn ist.
Ein anderes Beispiel ist ein Selbstversuch mit Ritalin, einem Medikament, das eigentlich zur Behandlung von ADHS eingesetzt wird, jedoch auch zunehmend von gesunden Menschen zur Leistungssteigerung genommen wird. Auch das war eine eindrückliche Erfahrung. Ich konnte zwar alles machen, bei dem es um Struktur und Ordnung geht. Auswendig lernen zum Beispiel, das geht mit den Pillen hervorragend. Oder 14 Stunden am Stück an irgendeiner Tabelle arbeiten, den Keller aufräumen – alles kein Problem. Aber ich war irgendwie von mir selbst entfremdet, jede Kreativität war weg. Schöne Texte schreiben, die nicht wie eine automatisierte Aneinanderreihung von Sätzen klingen, das war unmöglich.”
Wofür steht der Titel des Buches: „Mein Kopf gehört mir”?
„Der Titel ist natürlich eine Anlehnung an die Frauenbewegung der siebziger Jahre und die große Aktion gegen den Paragraphen 2018. „Mein Bauch gehört mir“, hieß der Satz damals, und es ging um die Freiheit, als Frau über den eigenen Körper und das eigene Leben selbst bestimmen zu dürfen. Beim Gehirn geht es darum, selbstbestimmt zu entscheiden, wie viel Freiheit man womöglich aufzugeben bereits ist, wenn wir unser Oberstübchen ans Internet anschließen. Insofern ist das Buch ein Aufruf, das Gehirn dafür zu nutzen, wofür es gemacht ist: zum selbstständigen Denken.”
Müssen wir (mit Blick auf „Brainhacking”) Angst vor der Zukunft haben?
„Nicht unbedingt. Ich bin Optimistin, ich glaube an die Gestaltungs- und Entscheidungskraft der Menschen. Es liegt an uns, wie wir die Zukunft gestalten. Mit dem Zugang zum Gehirn wird jedoch die Grenze zum Ich, zu Individualität und Freiheit, überschritten. Wenn wir nicht möchten, dass sich das Gesicht der Menschheit verändert, sollten wir die Autonomie über unseren Kopf behalten – als Kreativraum, Privatsphäre des Denkens und Refugium des Bewusstseins – und damit das Gehirn dazu nutzen wofür es gemacht ist: zum Nachdenken darüber, was wir wollen und was wir nicht wollen. Wir sind noch so frei.”
„Wenn die Steigerung von kognitiven Fähigkeiten eine Frage des Geldes wird, würde das zudem die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Es gäbe dann irgendwann die ,Superhirnis’ und das ,Hirnprekariat’.”
Welche Debatten müssen wir im Anblick des angebrochenen „Jahrhunderts des Gehirns” Ihrer Meinung nach nun führen?
„Wir müssen uns überlegen, was uns als Menschen auszeichnet und wohin diese Optimierung des Gehirns führen kann. Wenn es bei Hirnstimulationen um medizinische Verbesserungen geht, also etwa darum, ob eine querschnittsgelähmte Patientin dank eines Hirnimplantats und eines darüber gesteuerten Roboterarms selbstständig einen Apfel essen kann, dann ist das großartig. Aber wir sind bei dieser Entwicklung auch schnell beim Massenmarkt und neuen sozialen Fragen: Hat der Einzelne noch die Wahl, mit seiner Gehirnleistung zufrieden zu sein, wenn er sie technisch problemlos verbessern könnte? Wenn die Steigerung von kognitiven Fähigkeiten dann eine Frage des Geldes wird, würde das zudem die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Es gäbe dann irgendwann die ,Superhirnis’ und das ,Hirnprekariat’.”
Und warum ist es wichtig, diese Debatten nicht nur im Netz zu diskutieren, sondern dafür auch im echten Leben zusammen zu kommen?
„Wir leben in rasanten Zeiten. Meine Erfahrung ist: Je komplexer die Welt wird und die Fragen, die sie an uns stellt, desto wichtiger werden persönliche Begegnungen, um sich mit Hilfe anderer Menschen zu orientieren.”
Worum wird es in Ihrem Vortrag beim FEMALE FUTURE FORCE Day gehen?
„Um all das, was wir jetzt angerissen haben. Ich nehme die Zuhörer*innen mit auf eine Reise in eine Zukunft, in der unsere Gehirne ans Internet angeschlossen sind und miteinander kommunizieren können. Und ich hoffe, es gibt viel Widerspruch zu meinem Zukunftsszenario. Denn das ist der erste Schritt dazu, eine eigene Vision dafür zu entwerfen, wie wir leben wollen.”
Miriam Meckel: „Mein Kopf gehört mir: Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking”, Piper, 2018, 288 Seiten, 22 Euro.
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