Foto: Stefanie Kulisch

„Viel Freiheit verleitet zur Selbstausbeutung”

Die Macherinnen des Missy Magazins haben ein Crowdfunding gestartet. Was hinter dem feministischen Magazin steckt und wieso die Crowd Geld geben soll.

 

Lieber frei sein

Vor sieben Jahren haben Sonja Eismann, Stefanie Lohaus und Chris Köver das Missy Magazin gegründet, das bis heute im Eigenverlag herausgegeben wird.

Mittlerweile sind weitere Frauen, wie Katrin Gottschalk mit dazu gekommen. Wir haben mit ihr über die aktuelle Crowdfunding-Kampagne und deren Ziele gesprochen, darüber, warum es gut ist seine journalistische Unabhängigkeit für Themen wie „Mösen aus Stahl“ zu nutzen und was sie von den feministischen Debatten in Mainstream-Medien hält.

Warum habt ihr euch für eine Crowdfunding-Aktion entschieden – und nicht etwa nach Investoren oder starken Anzeigenpartnern gesucht?

„Bei Missy steht nicht das Geschäftsmodell im Vordergrund, sondern gesellschaftliche Veränderung. Wir erscheinen im Eigenverlag und die journalistische Unabhängigkeit, die damit einher geht, ist genau das, was unsere LeserInnen an uns schätzen. Wir können Binnen-I, Sternchen oder Gender Gap im Heft nutzen, wir können über „Mösen aus Stahl“ und Abtreibung schreiben. Wir können schwarze Frauen auf unser Cover bringen, was andere Magazine zum Beispiel selten machen, weil sich das schlechter verkauft.“

„Anzeigen sind bereits Teil unseres Finanzierungsmodells. Jeden Tag sucht unsere Anzeigenleiterin Andrea Pritschow nach starken AnzeigenpartnerInnen. Im Vergleich zu anderen Printmagazinen im Eigenverlag stehen wir da auch gut da, aber das reicht trotzdem nicht. Klassische Magazinwerbung wird nun mal immer weniger – das betrifft alle Verlage, besonders die kleinen. Wir machen uns also lieber von anderen starken PartnerInnen abhängig – von unseren LeserInnen, der Crowd. Deshalb Crowdfunding.“ 

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Wenn genügend Menschen spenden, soll es mehr Missy geben. Was bedeutet das genau?

„Das bedeutet in erster Linie mehr Missy online. Wir wollen dort sein, wo Debatten von #GamerGate bis Genderwahn schon sind: im Netz. Wir wollen diese um neue Aspekte erweitern, wollen diversere Meinungen integrieren und eine größere Vielfalt an Themen bearbeiten. Dafür brauchen wir das Startkapital, um zwei neue MitarbeiterInnen anzufinanzieren – für Online-Redaktion und Marketing.“

„Außerdem sollen mehr AutorInnen für Missy online schreiben und unsere Website neu programmiert werden. Wir wollen es ermöglichen, dass eine Leserin, die einen Text richtig gut findet, dafür auch zwei Euro geben kann. Das Crowdfunding hilft uns, ein nachhaltiges Finanzierungskonzept zu installieren – etwa auch mit der Mitgliedschaft im „Karma Club Missy“ und einem Missy-Online-Shop. Wir müssen uns aus den selbstausbeuterischen Arbeitsstrukturen befreien, in denen wir gerade stecken, und das auf lange Sicht.“

Deshalb auch mehr Heftausgaben im Jahr und mehr Veranstaltungen?

„Genau. Wenn wir 35.000 Euro zusammen bekommen, können wir die Umstrukturierung unserer Website angehen. Teil unseres Finanzierungskonzepts ist es aber auch, zweimal öfter im Jahr zu erscheinen, bei 60.000 Euro – dadurch würde wieder mehr Geld durch Anzeigen und Verkäufe zusammen kommen. Der Veranstaltungsreihe, die wir bei 90.000 Euro starten, liegt die Idee zu Grunde, dass wir in der Vergangenheit bereits sehr erfolgreiche Formate angeboten haben, die jeweils ausverkauft waren – etwa eine Diskussionsrunde zu #aufschrei im Hebbel am Ufer in Berlin oder ein Peaches-Konzert im Festsaal Kreuzberg.“

„Diese Mischung aus Pop und Politik wollen wir auch außerhalb Berlins anbieten. Das erfordert einen höheren Aufwand, als vor Ort Veranstalterin zu sein. Um all das zu können, müssen wir jeweils erst einmal die Freiheit haben, uns aus anderen Arbeitsstrukturen zu befreien. Derzeit kann ja keine von uns von Missy allein leben. Wir verdienen auch Geld mit der Arbeit für andere Medien, halten Vorträge, kuratieren Ausstellungen oder haben eine Halbtagsstelle.“

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Was ist denn das Beste an der Missy?

„Wir haben im letzten Herbst eine Umfrage gemacht, bei der 81 Prozent unserer LeserInnen der Aussage zustimmten, dass Missy mit keiner anderen Zeitschrift vergleichbar sei. Das ist großartig! Ich denke, so haben wir es auch in unser Crowdfunding-Video gepackt, das Besondere bei uns ist, dass wir mehr Pop als andere Frauenzeitschriften und mehr Feminismus als alle anderen Popzeitschriften zusammen haben. Das macht uns aus. Und für unsere LeserInnen ist Feminismus ganz klar kein Schimpfwort, sondern etwas, womit sie sich stark identifizieren. Das hat eine andere Umfrage gezeigt.“

„Für mich persönlich ist das Beste an Missy diese wahnsinnige Freiheit, die das Heft allen bietet, die daran arbeiten. Wie gesagt: Wir können machen, was wir wollen. Und das macht ziemlich viel Spaß. Wenn ich mit Lady Bitch Ray oder der Sexologin Laura Méritt schreibe, bekomme ich mal „vaginale“ oder mal „feuchte“ Grüße geschickt. Wenn ich eher einen faulen Tag habe, gehe ich mit Jogginghose ins Büro. Wenn irgendwer bei uns nicht hinter einer Überschrift stehen kann, dann machen wir sie nicht. Das kann auch anstrengend sein, führt aber dazu, dass wir alle an einem Heft arbeiten, auf das wir am Ende maximal stolz sein können.“

Und was müsste sich mal dringend ändern?

„Diese ganze Freiheit ist auch eine Einladung zur Selbstausbeutung, eben weil Missy uns so wichtig ist. Dass wir die 35.000 Euro erreichen – das ist entscheidend für den Ausbau unserer Website, klar, aber auch psychologisch wahnsinnig wichtig. Als Missy vor sieben Jahren entstanden ist, haben die drei Gründerinnen den Hobnox Evolution Contest gewonnen und damit ein Startkapital von 25.000 Euro für Missy als Heft bekommen. So etwas ist wichtig, um an die eigene Sache zu glauben.“

Welche überzeugendenden Argumente habt ihr für Menschen, die euch (noch) nicht lesen?

„Missy steht für etwas. Missy steht für Pop und Politik mit feministischer Haltung. Wo Missy drauf steht, ist genau das auch drin. Wer uns also noch nicht kennt und überlegt, ob es sich lohnt, diese vier verrückten Frauen aus dem Crowdfunding-Video zu unterstützen, kann sich unsere aktuelle Ausgabe am Kiosk kaufen oder ein bisschen auf unserer Website umschauen.“

„Viele der Themen, mit denen wir uns seit sieben Jahren beschäftigen, sind gerade in letzter Zeit immer präsenter. Alltagssexismus (#aufschrei), Sexismus in der Spielebranche (#GamerGate), die Rezeptfreigabe der Pille danach (#wiesmarties) oder schlicht die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern (#EqualPayDay). Wir hoffen, dass die Crowdfunding-Aktion auch einen Werbeeffekt für uns hat und Menschen anspricht, die sich für diese politischen Themen interessieren – die aber auch wissen wollen, welche tollen neuen Künstlerinnen es gerade gibt.“

„In unserer Wunschvorstellung sind diese Leute dann vollkommen von den Socken, weil sie merken: Wow, da gibt es ja ein Magazin, dass seit sieben Jahren genau das macht, was ich gerne hätte! Und wenn ich denen jetzt einen Zehner oder mehr spende, kann ich dabei helfen, dass es das Magazin auch weiterhin geben wird. Außerdem haben wir uns dermaßen gute Dankeschöns ausgedacht, dass sich die Unterstützung unseres Crowdfundings schon allein deswegen lohnt.“

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Was nervt euch vielleicht manchmal am Feminismus oder an feministischen Debatten?

„An Feminismen nervt mich gar nichts. Da gibt es viele verschiedene Ansätze, die sich gegenseitig befruchten können. Für feministische Debatten in vielen Mainstream-Medien ist „nerven“ allerdings eine glatte Untertreibung. Mir dreht sich der Magen um, wenn ich einen neuen Beitrag sehe, der sich mit der „Sexyness“ von Feminismus beschäftigt – gerade, wenn er von einer jungen Journalistin kommt. Eine die noch glaubt, Feminismus müsse einzig für sie da sein, weil sie ja eine Frau ist, aber sie hat ja schon alles, was sie will.”

„Nur gibt es eben auch alte Frauen, denen im Durchschnitt 57 Prozent weniger Geld zur Verfügung steht, als alten Männern. Es gibt jüngere Frauen, die im Durchschnitt 22 Prozent weniger verdienen. Frauen, die schon einmal sexualisierte Gewalt in ihrem Leben erfahren haben. Frauen, die aufgrund ihres Nachnamens nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Frauen, die nicht heterosexuell lieben. Frauen, deren Körper ein männlicher ist. Frauen, die aufgrund ihrer Hautfarbe auf der Straße beschimpft werden. Die Lebensrealitäten all dieser Frauen sind Teil aktueller feministischer Diskurse. Wer sagt, er oder sie brauche keinen Feminismus, pfeift auf diese Probleme und geht halt lieber einen Rotwein trinken.“

Artikelbilder: Alicia Kassebohm

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