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Onlineshopping hat mich zum Konsum-Monster gemacht

Das Internet hat ein Monster erschaffen. Mich. Im Rausch von Onlineshops und Modeblogs verlor ich meine Prinzipien und kaufte alles, was ich wollte.

Bequemlichkeit und die neue Lust am Konsum

Die Zeiten, in denen Shoppingtouren und Stadtbummel zu meinen Hobbys zählten, beschränken sich auf wenige Jahre während meiner Teenagerzeit. Davor und danach konnte ich dem Durch-die-Läden-ziehen nicht viel abgewinnen. Ich fand es anstrengend und ermüdend. Meine Käufe waren oftmals Kompromisse zwischen dem, was mir im Kopf vorschwebte und den Angeboten, die an der Stange hingen – also semi-befriedigend. An Mode hatte ich schon Spaß, auch daran, etwas Neues und Schönes zu kaufen, aber das Drumherum war mir lästig. So blieb mein Konsum immer im unauffälligen, grünen Bereich.

Meine Aushilfstätigkeit in einem großen Modehaus führte kurzzeitig sogar dazu, dass ich Klamotten kaufen mit Arbeit verband und davon gar nichts wissen wollte.  Dann entdeckte ich das Online-Shopping für mich. Die unendlichen Einkaufsmöglichkeiten des Internets konnten mir bieten, was die realen Modegeschäfte nicht ermöglichten:

Sämtliche Größen und Styles auf Vorrat, Shoppen um ein Uhr morgens, paketeweise Klamotten dank Kauf auf Rechnung, schmeichelhafte Beleuchtung, kein nerviges Gedränge und das all das innerhalb der Gemütlichkeit meiner eigenen vier Wände. Neue Marken und Shops aus dem Ausland versprachen mir und meiner Garderobe völlig neue Möglichkeiten und Looks.  Endlich konnte ich genau das finden, was ich suchte. Onlineshopping – so schien es mir – war die Lösung für alles was bislang zwischen mir und meinem perfekten Look stand.

Außerdem lockten die besten Deals, denn online  war immer irgendwo ein Schlussverkauf, Aktionstag oder ein neuer Rabattcode zu finden. Die Newsletter sämtlicher Modehäuser versprachen Prozente bei der Anmeldung und hielten mich mit exklusiven Pre-Sales davon ab, direkt wieder den gut versteckten Abmeldebutton zu drücken.

Infiziert vom Shoppingvirus

Innerhalb kürzester Zeit war ich vom Online-Shopping-Virus infiziert. Ich wurde zum treuen Fan, ließ mich berauschen vom Gefühl, wenn wieder mal ein Paket voller Kleiderschrankanwärter zu mir unterwegs war, und mich regelrecht süchtig davon machen. Stunden verbrachte ich damit, digitale  Warenkörbe zu füllen, unerfüllbare und unbezahlbare Wunschlisten  anzulegen und mich durch Angebot über Angebot zu klicken.

Meine Lust auf Mode wuchs und ich fing an, mich genauso eifrig auf Modeseiten im Netz herumzutreiben, wie in den Shops. Immer neue Trends, Looks, #Stylegoals, #OOTDs, Idole und Musen sprangen mir vom Bildschirm entgegen. Ich malte mir aus, wie unendlich stylish auch ich sein könnte. Die  Marketingabteilungen der Onlineshops, Modeseiten, Blogs und  Influencer*innen dieser Erde machten einen verdammt guten Job, denn ich  wollte besitzen, was ich da sah. Nein, ich ließ mich sogar soweit  austricksen, dass ich mir glaubte, all diese Dinge zu brauchen. Trotz  eines Kleiderschranks voller Klamotten und eines Schuhschranks voller Schuhe wollte ich immer mehr, denn schließlich hatte ich nie das Richtige.

Überdruss und Konsumstress

Obwohl mich mein Budget verlässlich einschränkte und auf den Boden der Tatsachen holte, war ich für meine Verhältnisse zum Konsummonster geworden. Kaufen, kaufen, kaufen. Ich will, ich will, ich will. Im Internet kann man immer kaufen und alles finden. Die Suche nach dem perfekten Wintermantel oder Bikini betrieb ich so akribisch, dass sie mich regelrecht stresste. Bei so viel Auswahl muss es doch das ideale Teil geben, dachte ich mir und schlug mir die nächste Nacht am Bildschirm um die Ohren.

Jede Saison stellte mich vor die „Herausforderung“, meine Garderobe möglichst trend- und stilbewusst anzupassen. Mit lauter Bildern von Menschen im Kopf, denen das bereits gelungen war, fühlte ich mich als hätte ich keinerlei angemessene Kleidung, um den kommenden Frühling/Sommer/Herbst/Winter zu überstehen. Langsam fingen das Perfektionieren des eigenen Looks und das Auf-dem-Neusten-Stand-bleiben an, sich lästig anzufühlen. Ich hatte keine Energie und Motivation mehr, mitzuhalten. Ich sah überall das Gleiche, egal welcher  Shop, welches Modemagazin, welcher Blog oder Instagram-Account. Die ideale Capsule-Warderobe, minimalistischer Scandistyle oder französische Klassiker, die die Modewelt konstant als Nonplusultra des Stils anpreist, fand ich auf einmal nicht mehr erstrebenswert, sondern langweilig. Die Personen, die ich vorher so für ihren Stil bewundert hatte, hatten alle genau dasselbe an.

Die unendlich scheinende Modewelt des Internets drehte sich im Kreis. Irgendwie kam man immer wieder an den selben Punkt. Ich wurde ich dieses ganzen Zirkus einfach überdrüssig. Trends ödeten mich an, ebenso wie fragwürdige Ideologien und Stilphilosophien. Den übertriebenen Kaufwahn konnte ich plötzlich nicht mehr ertragen.

Ist das Internet Schuld?

Ich habe genug Mode konsumiert, materiell und geistig. Mich satt gesehen und satt gekauft. Ein bisschen schäme ich mich, dass ich so lange und begeistert mitgemacht habe. Es ekelt mich an, dass ich ignoriert habe, was ich über die Produktionsbedingungen meiner Kleidung wusste.  Es macht mich wütend,
dass ich mich zum Opfer dieser Konsummaschinerie gemacht habe und mich mit meinem Geld am Umsatz ethisch-moralisch untragbarer Konzerne beteiligt habe. Ich macht mich traurig, dass mein kritischer Verstand ausgesetzt hat und ich mich dieser trügerischen Glitzerwelt hingegeben habe, ihr etwas meiner Zeit, meiner Träume und meines Geldes geschenkt habe.

Ohne diese Online-Modewelt wäre es nie so weit gekommen. Niemals wäre ich so oft in Geschäften shoppen gegangen. Zuhause hinter meinem Bildschirm konnte niemand etwas von meinen Streifzügen mitbekommen, hätte ich mit der selben Häufigkeit Geschäfte betreten, hätte das Personal mich vermutlich nach zwei Wochen mit Namen begrüßt. Aber vor echten Menschen wäre mir so ein Shoppingverhalten extrem peinlich gewesen.

Niemals hätte ich tütenweise Klamotten zu horrenden Summen mit nach Hause genommen, um dann 98 Prozent davon wieder zurückzubringen. Diese Maßlosigkeit erlaubt man sich nur gut geschützt hinter den eigenen vier Wänden und ohne  sein eigenes Gesicht beim Kauf zeigen zu müssen.

Niemals hätte mir jedes erdenkliche Modemagazin vom Kiosk geschnappt, die Inhalte aufgesogen und als Wünsche verpackt in meinem Kopf gespeichert.
Niemals hätte ich mich so intensiv mit der Garderobe mir fremder Menschen befasst, wenn nicht mittels sozialer Medien, die  jeden zum Stalker verwandeln.

Die Online-Modewelt hat mich zu etwas gemacht, das ich sonst nie geworden wäre. Einem stumpfsinnigen Modeopfer getrieben vom Konsumrausch. Ethik, Moral und Ökologie habe ich ignoriert. Auf der Suche nach Inspiration für meinen eigenen Stil fand ich den Einheitsbrei der Modewelt und eignete ihn mir an. Gut angezogen war ich vielleicht, aber Ich selbst war ich nicht.

Kleidung mit Bedeutung und Stil mit Persönlichkeit

Ich habe so viel über Mode gelesen wie nie zuvor und ich würde am liebsten alles vergessen, was ich weiß. Diese Stilvorstellungen und Moderegeln anderer Menschen sollen aus meinem Kopf verschwinden und Platz machen für eigene Gedanken und Ideen.

Ich will keine Trends, keine Must-Haves, keine Dos und Don’ts, keine Regeln und keine Verbote. Was ich will, ist Kleidung, die mir etwas bedeutet. Kleidung, die Wert hat. Lieblingsteile. Klamotten, in denen ich mich besonders fühle, die zu mir passen, die mir stehen und meine Persönlichkeit widerspiegeln. Ich will Individualität sehen, Kreativität und Originalität. Keine Mode-Klone und gesichtslosen Marken-Zur-Schau-Steller*innen.

Ich will Kleidung mit Geschichte und keine Massenproduktion, an der die Leidensgeschichte der Produzenten und der schmierige Fingerabdruck der maß- und gewissenlosen Modeindustrie haftet.

Erstmal Abstinenz – dann sehen wir weiter

Ich weiß, dass es online alles gibt und ich dementsprechend all das, was ich mir wünsche, dort finden kann. Es gibt auch unterstützenswerte Shops, individuelle Kleidung und faire Mode – genauso wie kritische und spannende Blogs und Magazine von Persönlichkeiten mit Stil.

Aber zunächst muss ich den verantwortungsbewussten und maßvollen Umgang mit Mode und Konsum lernen. Meinen persönlichen und individuellen Stil muss ich suchen und finden.

Bis ich das herausgefunden habe, übe ich mich in Abstinenz. Einfach anziehen, was da ist, fühlt sich gar nicht so schlecht an. Die vertraute Auswahl an Klamotten erscheint auf einmal nicht mehr einschränkend, sondern angenehm überschaubar. Begrenzte Möglichkeiten und Konsumverzicht kurbeln die Kreativität beim Anziehen weitaus stärker an, als jede neue Shopping-Ausbeute.

Meine Abstinenz beschränkt sich aber auf mehr als auf die Konsumstätten. Ich halte mich auch fern von sämtlichen Medien, Influencer*innen, Stimmen und Sprachrohren der Modewelt, deren Daseinszweck es ist, Menschen zum Kaufen anregen. Wie ein kleines Teufelchen, das einem auf der Schulter sitzt, flüstern sie Wünsche ein und wecken Bedürfnisse. Aber ich lasse mich nicht mehr von ihnen verführen. Ich werde sie meiden wie einen ungeliebten Ex, mit Freund*innen über sie herziehen und mich fragen, wie es dazu kommen konnte, dass ich ihnen mal so viel Vertrauen und Beachtung geschenkt habe.

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