Foto: Evgeny Marakov

Pauline Tillmann: „Es herrscht Pionierzeit im Journalismus. Und wir machen mit“

Pauline Tillmann ist Chefredakteurin von „Deine Korrespondentin“, einem Online-Magazin, das Geschichten von Frauen aus aller Welt erzählt. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

 

Durch das Kleine vom Großen erzählen

Pauline Tillmann arbeitete bereits erfolgreich als freie Auslandskorrespondentin in Russland und
der Ukraine, doch irgendwann merkte sie, dass die Geschichten abseits des
Mainstreams einfach nicht mehr bei den großen Medienanstalten ankamen. Da sie aber genau hier die
Geschichten findet, die sie erzählen will, gründete die heute 32-Jährige das
Online-Magazin „Deine Korrespondentin“. Etwas Trotz sowie der Glaube daran, dass es auch anders
gehen muss, trieben sie an.

Wir haben mit ihr über das Magazin, ihre Ziele und
auch über Frauen gesprochen, die Pauline begleitet hat.

Pauline,
du bist Geschäftsführerin und Chefredakteurin des Magazins „Deine
Korrespondentin
“. Was genau ist euer Kernbereich und wen wollt ihr damit
erreichen?

„Wir
wollen die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen – und zwar von Korrespondentinnen,
aber auch von starken unbekannten Frauen auf der ganzen Welt. Wir glauben, es
gibt viele inspirierende Schicksale da draußen, die es wert sind, erzählt zu
werden. Unsere Zielgruppe sind vor allem Frauen zwischen 30 und 60 Jahren, die
viel reisen und sich für internationale Themen interessieren, die sie in Mainstream-Medien
nicht finden. Da wir keine Werbung schalten, wollen wir mit Veranstaltungen wie
Seminaren und Kaminabenden eine interessierte Community aufbauen, die ‚Clubmitglieder’
werden und uns durch ein Abonnement auch finanziell unterstützen.“

Gab
es einen Initialmoment für die Gründung des Magazins?

„Ich
habe in den vergangenen Jahren als freie Auslandskorrespondentin in
St. Petersburg gearbeitet und viele spannende Themen umgesetzt. Auch wenn ich
mich über Interesse an meinem Berichtsgebiet Russland sowie der Ukraine nicht
beklagen konnte, so merkte ich doch, dass die Redakteure in Deutschland
zunehmend ängstlich reagierten, wenn es um heikle oder vermeintlich
komplizierte Themen ging. Nach dem Motto: Man dürfe das Publikum nicht überfordern.
Ich hingegen glaube, wir müssen genau das tun: Das Publikum herausfordern. Und: unseren Lesern stärker auf Augenhöhe begegnen, ihre Bedenken ernst nehmen und in
Dialog treten. Ich glaube, gerade ist eine Pionierzeit. Der Journalismus wird komplett
neu gedacht und diesen Prozess wollen wir mit ‚Deine Korrespondentin’ aktiv
mitgestalten.“

Was
wollt ihr mit dem Mehr an Sichtbarkeit der Frauen erreichen?

„Es
geht nicht darum, ob Frauen oder Männer gleich viel in den Medien dargestellt
werden. Wir wollen mit unserem Magazin Frauen zeigen, die es wert sind
portraitiert zu werden, die aber oft aufgrund der tagesaktuellen Ereignisse
hinten runterfallen. Diese Frauen zeigen anhand ihrer Geschichten oft die
Probleme einer ganzen Gesellschaft. Wir wollen das große Ganze im
Kleinen erzählen. Und vor allem wollen wir anderen Frauen – in Deutschland, der
Schweiz und Österreich – damit Mut machen und sie inspirieren. Ich glaube
allgemein gesprochen: Wir haben zu wenig weibliche Vorbilder. Dadurch, dass wir
starke Frauen auf der ganzen Welt sichtbar machen, tragen wir unseren Beitrag
dazu bei, das zu ändern.“ 

Welche Länder deckt ihr mit euren Reportagen eigentlich ab?

„Im
Moment besteht unser Team aus neun Korrespondentinnen. Sie decken Länder und Regionen
wie Lateinamerika, Afrika, Israel, Afghanistan, Naher Osten, Indien und
Südostasien ab. Natürlich wollen wir damit nicht mit großen Zeitungen oder
öffentlich-rechtlichen Anstalten konkurrieren. Wir sind junge, engagierte
Frauen, die mit Herz und Seele Reporterinnen sind und bei unserer Recherche
immer wieder auf außergewöhnliche Frauen stoßen. In manchen Regionen wie Indien
oder Afghanistan kommen im Übrigen auch nur wir an diese Frauen heran. Das ist
unser Alleinstellungsmerkmal. Nun geht es darum, das bestehende Team, das sich
nur virtuell kennt, zu festigen und vor allem ein tragfähiges Geschäftsmodell
zu entwickeln.“

Gibt
es eine Geschichte, die dir noch heute nachhängt oder bei dir besonders wichtig war, dass sie erschienen ist?

„Meine
erste Crowdfunding-Kampagne habe ich im Frühjahr 2013 gestartet, weil ich nach
Nepal und Indien reisen und über Selbstverbrennungen in Tibet recherchieren
wollte. Die Kampagne verlief erfolgreich, ich war drei Wochen mit einem
Fotografen in Kathmandu und Dharamsala und wir haben viele spannende Interviews
geführt. Als wir mit dem Material zurückgekehrt sind und es großen Verlagen und
ARD-Anstalten anboten, hagelte es Absagen. Hinter vorgehaltener Hand hieß es
immer: China sei so ein wichtiger Player, da könne man sich Dissonanzen nicht
leisten. Wir haben sehr viel Zeit und Energie in das Projekt gesteckt und
hätten uns eine breitere Öffentlichkeit gewünscht. Ich habe damals mit Trotz
reagiert und mir gesagt: Jetzt erst recht. Also haben wir das Projekt in
Eigenregie veröffentlicht
. Später erschien es auch
auf ‚Krautreporter’. Dieser Trotz, es anders zu machen als alle anderen, war
sicher auch eine der Antriebsfedern für die Gründung von ‚Deine
Korrespondentin’.“   

In
deiner Tätigkeit als Auslandsreporterin in Russland und der Ukraine hast du im
April eine Reportage dazu veröffentlicht, welche Rolle Frauen in der dort
herrschenden Situation einnehmen.

„Vor
allem in der Ukraine nehmen Frauen eine enorm wichtige Rolle ein, wenn es darum
geht, eine neue Gesellschaft zu errichten. Durch die Proteste auf dem Maidan
haben die Menschen erkannt, dass sie nicht zurücklehnen und darauf warten
können, dass Politiker ihnen ein besseres Leben bescheren. Sie nehmen ihr Schicksal
jetzt selber in die Hand. Zum Beispiel wenn es darum geht, die verwundeten
Soldaten zu versorgen. Oder den vielen Binnenflüchtlinge aus dem Donbass zu
helfen. Ich beschäftige mich seit 2011 mit der Ukraine und war positiv
überrascht, welche Dynamik diese Eigeninitiativen inzwischen einnehmen. So
etwas wie eine Zivilgesellschaft gab es nicht. Lange waren die Ukrainer –
vergleichbar mit den Russen heute – politisch apathisch und haben sich ins
Private zurückgezogen. Aber mit dem Maidan kam die Kehrtwende. Sie haben
erkannt, dass ihr Weg ein europäischer ist, dass es schwierig werden wird, aber
dass alle etwas für diesen Weg tun müssen.“ 

Auch
erzählst du von Gulya Sultanova, die offen lesbisch lebt – in Russland ein Akt
des Mutes. Ebenso, wie das öffentlich anzuprangern. Wie groß ist der
Leidensdruck für Gulya, so dass sie das trotzdem in Kauf nimmt?

„Der Leidensdruck für Schwule und Lesben in Russland
ist enorm hoch. Die orthodoxe Kirche spielt in Putins Regime eine eminent
wichtige Rolle. Und in regelmäßigen Abständen geißelt die Kirche Homosexuelle bekanntermaßen
als ‚krank’ und ‚abnormal’. Außerdem propagiert Putin den „russischen Sonderweg“,
der eben nicht wie in Europa üblich vorsieht, Minderheiten die gleichen Rechte
einzuräumen sondern traditionelle Lebensgemeinschaften ganz klar bevorzugt. Ich
habe Gulya oft getroffen und war immer wieder erstaunt über ihre Beharrlichkeit
und ihr Durchhaltevermögen. Denn man muss auch sagen: Viele Homosexuelle haben
Russland in den vergangenen zwei, drei Jahren für immer den Rücken gekehrt. Sie
sind nach Deutschland oder in die USA gegangen, weil sie permanent
drangsaliert, diskriminiert und nicht selten auch körperlich angegriffen wurden.
Gulya hingegen geht nicht, sie bleibt. Und dafür verdient sie den größten
Respekt.“


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