Sie fragte ihn nach dem Weg, nun geht sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die Polizei Berlin sucht in einer Instagram-Story nach einer Frau, in die sich ein Kollege verguckt haben soll. Das ist übergriffig. Ein Kommentar.
Sie irrt hilflos in der Stadt herum, er, Polizist in Uniform, erklärt ihr den Weg. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick. Auf der Dienststelle kommt er nicht mehr aus dem Schwärmen heraus, sodass seine Kolleg*innen den Entschluss fassen, ihm zu helfen: Über den Instagram-Account starten sie einen Aufruf: „Jetzt sucht er dich – wir helfen.“
Was sich anhört wie ein geschmackloses Remake von Cop-Romanzen aus den 90er-Jahren, hat sich am Dienstag wirklich so zugetragen. Der offizielle Account der Polizei Berlin machte mit einer Instagram-Story auf sich aufmerksam. „Du warst gestern 16:30 Uhr am U-Bhf Hallesches Tor & hast unseren Kollegen nach dem Weg gefragt“, hieß es da. „Wenn das Du warst, melde dich bitte per DM.“ Dazu die Silhouette eines Frauengesichts im Hintergrund, vorne ein Herzchen. Geht’s noch?
Erst vor wenigen Wochen wurde im Netz ein anderer Fall diskutiert: Ein Mann hatte alle Supermarkt-Filialen in einer Stadt nach einer Kassiererin abgesucht, die den Arbeitsplatz gewechselt hatte.
Viele fanden das romantisch, dabei handelte es sich um Stalking, schrieb meine Kollegin Katharina Alexander völlig zutreffend. Es sei besonders perfide, wenn aufdringliches Verhalten und Stalking als romantische Gesten verklärt würden. Und: „Wo gilt, dass die Kundschaft König*in ist, entsteht ein Machtgefälle zwischen Verkäufer*innen und Kund*innen, das nicht selten auch räumlich ersichtlich ist: Die eine Person sitzt an der Kasse und muss zur anderen aufschauen.“
Ich habe das Recht darauf, nicht als potenzielle Partnerin wahrgenommen zu werden, wenn ich Hilfe suche
Dass es ein Machtgefälle zwischen einem*r Polizist*in und einer zivilen Person gibt, in diesem Falle einer Frau, ist mehr als offensichtlich. Genau so einig sollten wir uns darüber sein, dass solch eine groß angelegte Suchaktion nicht romantisch ist. Sie ist übergriffig. Das wäre sie übrigens auch, wenn der Polizist sich auf eigene Faust auf die Suche begeben hätte. Dass eine offizielle Stelle mit solchen Formulierungen seine Reichweite, mit der sie verantwortungsbewusst umgehen sollte, missbraucht, geht gar nicht: „Du gehst unserem Kollegen nicht mehr aus dem Kopf.“ Dann sollte er sich vielleicht ein paar Tage krankmelden. Als Polizist könnte er seinen Kopf nämlich für andere Dinge gebrauchen. „Du hast ihm zum Abschied ein Lächeln geschenkt.“ Ja, was denn sonst? Das ist eine selbstverständliche Geste der Höflichkeit und kein exklusives Geschenk.
Warum es mir an dieser Stelle besonders unangenehm aufstößt: Wenn ich als Frau einen Polizisten anspreche, Hilfe bei ihm suche und mich ihm anvertraue, erwarte ich – oder noch eher: habe ich das Recht darauf –, nicht als potenzielle Partnerin oder Lustobjekt wahrgenommen zu werden, deren Äußeres, Lächeln und Auftreten beurteilt wird. Denn ich bin ihm ausgeliefert.
Wie viel Vertrauen erzeugt das etwa bei Opfern von Stalking? Soll ich nächstes Mal erst die Wimperntusche auftragen, damit ich hübsch mit den Augen klimpern kann, wenn ich 110 wähle? Es könnte ja sein, dass mein sympathisches Aussehen ausschlaggebend für die Behandlung ist, die ich dann erfahre. Müssen Frauen sich in Zukunft Sorgen machen, wenn sie ihre privaten Daten an Polizist*innen weiter geben, weil es ja sein könnte, dass einem Beamten mit verdrehtem Kopf die romantischen Gefühle zu Kopf steigen?
Beamt*innen haben professionell zu bleiben, auch wenn sie lediglich nach dem Weg gefragt werden. Es gelingt ihnen als hoffnungslose Romantiker*innen einfach nicht? Dann sollten sie es für sich behalten. Oder noch besser: sich einen anderen Job suchen.
Der Originaltext von Seyda Kurt ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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