Raul ist 37 Jahre alt und arbeitet als Projektmanager bei einer NGO. Er verdient 1.600 Euro netto – und gibt 700 Euro für ein Zimmer in einer barrierefreien WG aus.
„Aufgrund meiner Behinderung werde ich sicher nicht arbeiten können, bis ich 67 bin”
Raul Krauthausen hat keine Altersvorsorge. Das liegt aber nicht an ihm, sondern an den deutschen Gesetzen. Demnach darf ein behinderter Mensch, der auf Assistenz angewiesen ist, nicht mehr als 25.000 Euro ansparen. Und das ist nicht die einzige gesetzliche Einschränkung, die Raul daran hindern, ein finanziell selbstbestimmtes Leben zu führen. Helen Hahne hat für unserem Partner Zeit Online Arbeit mit ihm über seine monatlichen Ausgaben und die prekäre Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland gesprochen.
Mein Job
Beruf: Ich arbeite 20 Stunden die Woche als Projektmanager bei einer NGO. Außerdem arbeite ich freiberuflich und ehrenamtlich als Moderator, Medienproduzent und Aktivist. Insgesamt komme ich so auf 40 bis 60 Arbeitsstunden.
Ausbildung: Ich habe einen Diplomabschluss in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und einen Abschluss in Design Thinking.
Meine Einnahmen
Bruttoeinkommen: 2.500 Euro
Nettoeinkommen: 1.600 Euro
Der Großteil meines Einkommens kommt von meiner Teilzeitstelle als Projektmanager. Lieber würde ich Vollzeit arbeiten und dementsprechend besser verdienen. Aber es lohnt sich für mich einfach nicht. In Deutschland ist es so, dass Menschen mit Behinderung, die Assistenz in ihrem Alltag benötigen – also zum Beispiel Hilfe beim Aufstehen, Waschen oder Essenzubereiten – mit großen Abzügen rechnen müssen, sobald sie eine bestimmte Einkommensgrenze überschreiten. In meinem Fall liegt sie bei 1.600 Euro. Diese Summe setzt sich zusammen aus doppeltem Hartz-IV-Satz plus 265 Euro Einkommensfreibetrag plus Anrechnungen bei der Miete und Heizkosten. Von dem Geld, das ich darüber hinaus verdiene, zieht mir das Sozialamt 40 Prozent ab. Die Assistenz ist kein Luxus, sondern ermöglicht mir lediglich, ein relativ selbstbestimmtes Leben zu führen. Trotzdem führt mein Assistenzbedarf dazu, dass, wenn ich Vollzeit arbeiten würde, mein Einkommen im Niedriglohnsektor liegen würde.
Meine Ausgaben
Miete: Ich zahle 700 Euro für ein zehn Quadratmeter großes WG-Zimmer. Unsere barrierefreie Wohnung hat eine Größe von insgesamt 120 Quadratmetern, ein großes Badezimmer und einen großen Küchen-Wohn-Bereich. Da ich täglich einen elektrischen Rollstuhl benutzen muss, der einigen Platz beansprucht, benötige ich größere Räume, um rangieren zu können. Große, barrierefreie Wohnungen, die mit dem öffentlichen Personennahverkehr gut erreichbar sind, sind selten. Deshalb ist meine Miete so hoch.
Versicherungen: Ich habe eine Rechtsschutz-, Haftpflicht- und Glasbruchversicherung. Zusammen kosten mich alle drei circa 250 Euro im Jahr.
Steuerberater: 70 Euro pro Monat.
Private Altersvorsorge: Keine. Da ich Assistenzleistungen in Anspruch nehmen muss, darf ich insgesamt nur 25.000 Euro ansparen. In diese Summe fließt alles ein: Bausparvertrag, Lebensversicherung, Altersvorsorge und sogar ein Sparkonto, das man für seine Kinder anlegt.
Handy und Internet: 100 Euro pro Monat.
Sonstige Abos: Gemeinsam mit meiner WG habe ich einen Netflix- und einen Spotify-Account. Zusätzlich habe ich noch eine Amazon-Prime-Mitgliedschaft und ein Softwareabo, das ich beruflich nutze. Alles zusammen kostet mich 100 Euro.
Lebensmittel: Beim Kochen bin ich auf meine Mitbewohner oder meine Assistenz angewiesen. Deshalb esse ich viel außerhalb, entweder in der Kantine bei uns im Büro oder in Restaurants. Dafür gebe ich circa 300 Euro pro Monat aus. Zusätzlich beteilige ich mich noch mit etwa 100 Euro am WG-Einkauf.
Transportmittel: Die NGO, für die ich arbeite, zahlt meine Bahncard 100, da ich viel für sie dienstlich unterwegs bin. Mit meinem Schwerbehindertenausweis kann ich innerhalb von Berlin kostenlos fahren. Ein behindertengerechtes Auto kann ich mir nicht leisten, weil das aufgrund von Spezialumbauten mehr als 25.000 Euro kosten würde. Also mehr, als ich zusammensparen darf.
Kleidung: 50 Euro
Körperpflege: 20 Euro
Reisen: Auch freiberuflich bin ich viel unterwegs und muss auf Reisen die Kosten für ein Hotelzimmer für meine Assistenz einplanen und – je nach Auftrag – selbst zahlen. Damit sind meine Ausgaben automatisch höher. Für Reisen gebe ich 200 bis 300 Euro monatlich aus.
So viel bleibt am Ende übrig
Je nach Monat zwischen 100 und 200 Euro. Die spare ich dann bis zum Ende des Jahres für größere Anschaffungen wie eine neue Spülmaschine. Mit meinen 1.600 Euro kann ich momentan ganz gut leben und habe mehr zur Verfügung als viele andere Menschen mit Behinderung, die es besonders schwer auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt haben – und wenn sie in Behindertenwerkstätten arbeiten, bekommen sie nur sehr wenig Lohn. Allerdings steuere ich auf jeden Fall auf Altersarmut zu. Aufgrund meiner Behinderung werde ich sicher nicht arbeiten können, bis ich 67 bin.
Dieser Text ist zuerst auf ZEIT ONLINE Arbeit erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.
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