Das Leben mit einem Seemann ist an Land wie auf See schwierig. Eine offene Erzählung über Liebe, Angst, Zweifel, Treue und Zusammenhalt.
Beziehungsalltag mal anders: Ich in der Werbeagentur, er auf See
Seit fast vier Jahren liebe ich einen Seemann, er ist dritter Ingenieur auf einem Containerschiff. Seit zweieinhalb Jahren leben wir zusammen. Ich arbeite täglich in einer Werbeagentur und er ist immer vier Monate auf See und zwei Monate zu Hause. So sieht unser Beziehungsalltag aus.
Und nun ist es wieder einmal soweit. Die letzten zwei Monate sind wie im Flug vergangen, wir trafen viele Freunde, erst um das Wiedersehen zu feiern und nach fünf Wochen wieder zum Abschied. Einen Urlaub haben wir auch gemacht und natürlich die Familie besucht. Ein Termin jagte den anderen und die Zeit für uns selbst kam oft zu kurz. Jetzt heißt es wiedermal Abschied nehmen. Diesmal wird es eine lange Reise, vermutlich viereinhalb Monate. Wenn ich daran denke, die nächste Zeit allein zu sein zieht sich mein Magen zusammen. Zum Flughafen bringe ich ihn schon lange nicht mehr. Dort rumstehen und warten, den Abschied hinauszögern, das kann ich nicht mehr. Kurz und schmerzlos ist meine Devise.
Und immer wieder: Heimkommen in eine leere Wohnung
Am Tag seiner Abreise bin ich bei einer Freundin, um mich abzulenken. Ich habe Angst nach Hause zu gehen und in die leere Wohnung zu kommen, weil ich weiß, dass keiner dort sein wird. Sie ist leer und still. Ich gehe ins Bett und wenn ich die Augen im Halbdunkeln schließe bilde ich mir ein, er würde noch neben mir liegen. Am nächsten Morgen beim Frühstücken schaue ich auf den Platz gegenüber, wo wir gestern noch gemeinsam saßen und gelacht haben aber er ist jetzt weg und das wird mir schlagartig klar. Tränen laufen unaufhaltsam über mein Gesicht. An diesem Punkt frage ich mich immer, warum ich mich in der Zeit, in der er da ist, so von ihm abhängig mache. So sehr auf ihn vertraue, wenn er mich dann doch wieder allein lässt.
In der Zeit in der er weg ist passiert etwas mit mir, ich verändere mich. Am Anfang ist es schwer. Ich bin sehr traurig und vermisse ihn dann sehr. Die guten Zeiten, der Urlaub, die tollen Unternehmungen, die wir gemacht haben sind aber noch so frisch und präsent, dass nichts unsere Liebe umstoßen könnte.
Nach einem bis zwei Monaten verändert sich die Stimmung. Dann ist die Kommunikation schlecht. Familienfeiern, Hochzeiten, Geburtstage, Weihnachten oder Silvester müssen allein gemeistert werden. Telefonieren funktioniert meistens nur selten und dann mit schlechter Verbindung. Nach Telefonaten mit blöder Verbindung fühle ich mich noch leerer und einsamer als vorher. Dann beginnt bei mir der Punkt an dem ich überlege, ob es das richtige ist zu warten. Ist er wirklich der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte? Das Zweifeln beginnt. Ich stelle mich selbst, ihn und unsere Beziehung in Frage. Ich bin jetzt 27 Jahre alt. Wer sagt mir denn, dass wenn er in drei bis fünf Jahren einen festen Job an Land bekommt oder zumindest in einem besseren Rhythmus fährt, wir auf Dauer zusammen glücklich werden? Niemand. Und wie finde ich das heraus? Gar nicht. Es zerreißt mich innerlich. Ich bin machtlos gegen dieses Gefühl und jeder Versuch an die guten Zeiten zu denken scheitert. Es gibt keine Garantie.
Wenn mir die Nähe zu sehr fehlt, gehe ich aus und flirte
Wenn ich dann weggehe, tanzen, Alkohol trinke und es begegnen mir junge Männer, flirte ich. Natürlich, es ist ja sonst auch keiner da, der mich begehrt. Es ist die Nähe die mir so sehr fehlt. Das ist der Punkt an dem es so leicht wäre einen Schritt zu weit, einen Fehler zu begehen. Aber wir wollen uns treu sein und das versuche ich.
Zum Glück habe ich viele Freunde, die mich und meine Situation verstehen z.B. andere Seemannsfrauen. Denn Kollegen oder Personen, die mit dieser Art von Beruf bzw. Beziehung nichts zu tun haben, reagieren oft mit diesen Sprüchen „Ich könnte das aber nicht!“, „Er kommt doch wieder.“ oder „Du hast es dir doch so ausgesucht.“
Die letzte Woche bevor er zurück ist, die Aufregung steigt und dann kommt er endlich wieder nach Hause. Die ersten Tage sind etwas komisch. Schließlich hat man sich nun ewig nicht gesehen. Man ist nicht mehr so vertraut, fast ein bisschen unsicher. Ich bin sehr froh, wenn er mich in den Arm nimmt. Er riecht so gut, kein T-Shirt, das er mir vor der Reise dalässt, behält seinen Geruch lange genug.
Jetzt ist er da! Er hat frei, richtig und komplett frei. Ich arbeite und dass meistens viel. Mein Job in einer Werbeagentur stellt schon so manche „normale“ Beziehung auf die Probe. Wenn mein Freund zu Hause ist nerven 50 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche immer besonders aber was soll ich machen? Abende und Wochenenden sind die einzige Zeit in der wir uns sehen und dann steht meistens etwas an. Doch wo bleiben wir? Was ist mit unserer Beziehung? Wenn er zu Hause ist, verändere ich mich. Mein Tag richtet sich nach ihm, meine mühsam aufgebaute Routine geht vor die Hunde und meine Unabhängigkeit auch. Wir finden wieder zueinander, die große Liebe kommt zurück und dann…. kommt der nächste Abschied.
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