Für die einen ist es ein Unwort, für die anderen zukunftsweisend. Aber was ist Sharing Economy eigentlich und wo liegen Vor- und Nachteile?
Von Studenten, Sojaeis und starken Meinungen
Mein erster tieferer Kontakt mit dem Begriff der Sharing Economy ist auf den Tag genau ein Jahr her. Ich saß in einem Bus nach Boston auf dem Weg zu Freunden, die mir mitteilten, dass in ihrem Wohnzimmer am Abend ein Diskussionskreis zum Thema „Sharing Economy” stattfinden würde. Starke Meinungen und ein Beitrag zum veganen Buffet wären erwünscht. Also las ich einen Online-Artikel, kaufte zwei Packungen Vanilleeiscreme auf Sojabasis und wollte früh ins Bett. Stattdessen traf ich auf 20 Masterstudenten, die sich über sozial-kooperativen Konsum, Open Source und Philosophie unterhielten. Die Debatte war unglaublich komplex und nicht das, was ich unter Sharing Economy verstand, denn für mich war hierfür bis dato Airbnb das klassische Beispiel: sharing your flat and making an economic profit. Die ungläubige Reaktion auf diesen Kommentar bleibt mir unvergesslich.
Über was sprechen wir da eigentlich?
Bis heute unterscheiden sich Definitionen zum Begriff: Wikipedia und die Wirtschaftswoche, der Brockhaus und das Wired Magazine, jedes Medium hat seine eigene Interpretation: Meine Vorstellung von „sharing“ gepaart mit einem „economic“ Profit drückte beispielsweise der Economist im März 2013 gut aus. Er bemerkte, dass der Zugriff (auf Güter) deren Besitz aussteche. Das Internet macht es sowohl für Individuen als auch für Unternehmen einfacher, Dinge zu tauschen oder zu teilen.
Ähnlich drückt es auch die Süddeutsche Zeitung im Juni 2014 aus: „Menschen wollen Dinge nicht mehr haben, sondern an ihnen teilhaben. Der Konsument kauft nicht, er leiht – und am liebsten von Menschen, nicht von anonymen Großkonzernen“. Das Wired Magazine geht weiter auf die Rolle von Firmen ein: „Businesses provide marketplaces for individuals to rent out their stuff or labor. Intimate new mechanisms emerge to secure in-person transactions that are broked through digital marketplaces“. Das Ergebnis sei, dass sowohl eine neue Art von Gründern als auch neue Besitz- und Eigentumsverhältnisse entstünden.
Die Generation Y mag die „Experience“
Manche Definitionen stehen auf der Seite von Profit, und andere sind auf der Seite der veganen Elitestudenten, bei denen ich umsonst wohnte. Widersprüchlicherweise lebte gerade ich, die mit ihrem Kommentar Ungläubigkeit auf sich zog, die Definition von Sharing Economy eben jener diskutierender Studenten: Ich reiste durch den Herbst an der amerikanischen Ostküste und wohnte für den Preis von zwei Packungen Eiscreme oder meiner (fragwürdigen) Gesellschaft bei Freunden, Bekannten und der Familie von Bekannten. Denn so fragwürdig das auch für meine Familie aussah („Bist du sicher, dass du nicht einfach ein zu sparsamer Schmarotzer bist?“), es ist der Alltag eines großen Teils der Generation Y. Ich hätte unter Umständen auch ein Hotel bezahlen können – aber „Sharing is about the Experience“. Und das ist grundsätzlich nicht zu kritisieren, wenn beide Seiten mit der Übereinkunft einverstanden sind.
Selbst wenn man diese auf Beziehungen basierenden Praktiken ökonomisch ausweitet und meine Eiscreme durch den lokalen Marktwert eines günstigen Hotelzimmers ersetzt sowie seine Reise über eine Plattform, die sich Airbnb nennt, bucht, dann klingt das für die Generation Y im weitesten Sinne logisch. Und wenn man statt Zimmern Privatautos und die dazugehörigen Fahrer über eine App Namens Uber bucht, dann macht auch das Sinn. Nur weil jemand zufällig keine Freunde oder Bekannten hat, die sich mit Plaudern und veganen Tiefkühlprodukten zufriedengeben, warum sollte man dann auf diese „Experience“ verzichten? Wenn denn genug Nachfrage und das passende Angebot da ist, wieso sollte dann Sharing Economy nicht auch profitbringend sein für an sich unbekannte „Geschäfts“-Partner?
Ein Opfer des Kapitalismus?
Der Begriff der Sharing Economy scheint zurzeit beinahe das Potenzial zum Unwort des Jahres zu haben. Die Wirtschaftswoche betitelte beispielsweise in einem Artikel im September 2014 die Sharing Economy als „jüngstes Opfer“ des Kapitalismus und tönte „Vulgärliberale aller Länder, vereinigt euch!“. Schließlich steckten wohl Profitinteressen „reicher Privatinvestoren und Datenkonzernen“ hinter diesem vermeintlich sozialen Ko-Konsum.
Ich wundere mich über diesen negativen Kommentar. Man könnte argumentieren, dass diese Plattformen einfach Angebot und Nachfrage zusammenbringen. Gewohnte Transaktionspartner waren B2C (Business-to-Consumer), in denen ein Unternehmen seine Leistung an eine Privatperson verkaufte. Mit der „Sharing Economy“ werden nun C2C oder auch peer-to-peer Transaktionen ermöglicht und populär. Dadurch, dass die Zahlung über die Plattform abläuft und nicht von Angesicht zu Angesicht zwischen den beiden (potenziell privaten) Parteien, kann man sagen, dass der peer-to-peer-Charakter auf den ersten Blick durchaus erhalten bleibt.
System mit Transparenz
Ferner ist das System transparent: Es ist klar, dass hinter den Marktplätzen kein Wohlfahrtsverein steckt, sondern natürlich das Interesse, profitabel zu sein. Zusätzlich sollte nicht vergessen werden, dass diese Firmen auch innovativste Ansätze der Problemlösung entwickelt haben: Viele der Geschäftsideen und -modelle ermöglichen flexible Jobs oder Zusatzeinnahmemöglichkeiten für Dienstleister.
Und durch die beidseitige Bewertungsmöglichkeit, sowohl durch den Dienstleister als auch den Kunden, wird ebenso Vertrauen wie auch nachhaltig milder Druck, einen hohen Standard zu halten, geschaffen. Eine Qualitätskontrolle findet dementsprechend beinahe sofort statt, während traditionelle Geschäftsmodelle sehr viel mehr Zeit benötigen. Um einen schlechten Taxifahrer oder Gastwirt bisher ausfindig zu machen, mussten viele Kunden erst schlechte Erfahrungen machen, um Konsequenzen ziehen zu können.
Kritik ist nachvollziehbar
Grundsätzlich ist bestehende Kritik an diesem System nachvollziehbar. Denn ja, der Staat wird weniger Einnahmen haben, wenn man sich der eben dargestellten Idee öffnet, dass außer den bisher üblichen Transaktionspartnern mittlerweile Alternative bestehen. Aber der herrschenden Marktrealität kann man sich nicht mehr verschließen. Ob man so weit gehen will und der New York Times vom September dieses Jahres zustimmt, dass die „Sharing Economy“ in einer digitalisierten Welt „an unstoppable movement” ist, ist offen. Doch man muss zugeben: Die Nachfrage ist tatsächlich herausragend groß.
Entwicklungen rund um den Taxi-Konkurrenten Uber und das temporäre Wohnungsportal Airbnb zeigen, dass Deutschland durchaus Methoden hat, diese Bewegungen zu stoppen: Anfang September 2014 galt zeitweise tatsächlich eine einstweilige Verfügung, von der sich Uber unbeeindruckt zeigte. Ob Deutschland allerdings damit die langfristig richtige Entscheidung trifft, ist fraglich. Denn ist Regulierung im globalen Vergleich wirklich sinnvoll? Sollten Angebot und Nachfrage tatsächlich reguliert werden? Ich denke: nein. Es sollte lediglich eine Frage dessen sein, wie man mit ihr umgeht.
Was geschieht mit den ursprünglichen Teilnehmern des B2C, also öffentliche normierende, Gebühren eintreibende und regulierende Institutionen, aber auch Interessenverbände und Gewerkschaften? Sie alle haben in der Sharing Economy an Bedeutung verloren oder waren von vornherein beinahe bedeutungslos. Wer sein Gästezimmer über eine Webseite ein paar Tage im Monat untervermietet, interessiert sich nicht für eine Hotellobby. Wer als selbstständiger Fahrer mit seinem Privatauto dank einer App Leute durch die Stadt fährt, ist nicht Teil der Interessenvertretung deutscher Taxifahrer. Derselben, die gerade gegen die App Uber ankämpft und Teilerfolge zu verzeichnen hatte.
Unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Gesetze
Dass eben dieser selbstständig arbeitende Fahrer mit seinem Privatauto ein höheres Risiko trägt, ist leicht ersichtlich. Dass er sich jedoch für diesen flexiblen Job entschieden hat und aus unterschiedlichsten Gründen nicht dafür, als regulärer Taxifahrer zu arbeiten, sollte nicht dazu führen, dass dieselben Steuern, Gesetze und Regeln für ihn als Dienstleiter gelten wie für etablierte Unternehmen. Sein Arbeitsalltag sieht anders aus. Seine Bedürfnisse sind andere.
Den Plattformen selbst sind oftmals die Hände gebunden, wenn sie den Dienstleiter unterstützen wollen – zwischen der Selbstständigkeit und dem Angestelltenverhältnis besteht keine dritte Form. Wenn die Plattform beispielsweise steuerrechtliche Fragen beantworten oder Teile der Krankenversicherung übernehmen würde, steht sofort der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit im Raum. Zum Nachteil beider Seiten. Und so steht der Dienstleister oft alleine auf weiter Flur und hat mit Nachteilen eines stark regulierten Marktes zu kämpfen – und das als schwaches Glied in der Kette. Regeln für Unternehmer im Bereich der Sharing Economy sollten individueller sein, um auf die neuartigen Bedürfnisse ihrer Teilnehmer entsprechend eingehen zu können.
Großzügigkeit als Teil des Prinzips
Ich habe nun in Berlin in Voraussicht eine Wohnung mit Gästezimmer gemietet. Nicht um sie unterzuvermieten, das ist nach neuerlicher Entwicklung sowieso nicht mehr ohne Weiteres legal, sondern um meine Freunde und Bekannten und die Familien dieser Bekannten zurück einzuladen. Denn das sozialinnovative Ko-Konsumentenmodel der Sharing Economy meiner amerikanischen Bekannten hat eben doch einen größeren Preis als zwei Packungen Eiscreme – es wird im Gegenzug erwartet, dass man die Großzügigkeit, die man erhalten hat, gleichwertig zurückgibt. Relativ unkomfortabel auf Dauer. Manchmal würde ich auch einfach gerne meine Kreditkarte zücken und Services in Anspruch nehmen, die keine weitere Großzügigkeit von mir erwartet – und Teil der Nachfragenden sein, von denen ich oben gesprochen habe. Und doch individueller ist als ein Standardhotelzimmer oder ein schlechtgelaunter Taxifahrer.
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