Traumberuf oder öder Job? Pauschal kann man das nicht sagen, so der Autor Nicholas Pesch, denn was die eine Person motiviert, langweilt die andere. Er stellt ein Konzept vor, um den passenden Beruf zu finden.
Der Wecker klingelt, die schlechte Laune beginnt. Wieder ein Tag vollgestopft mit sinnentleerter Arbeit. Würdest du deine Zeit nicht viel lieber für Dinge nutzen, die dir Spaß, Erfüllung und Zufriedenheit bringen? Aber von irgendwas muss die Miete ja bezahlt werden und irgendwer muss den Job ja machen, richtig? Ja, aber dieser jemand musst nicht du sein.
Ich gebe zu, der Spruch: „Finde einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag im Leben mehr zu arbeiten“ ist ausgelutscht und auch ein wenig realitätsfern. Natürlich ist auch ein Beruf, den man gerne ausübt, immer noch Arbeit. Der gravierende Unterschied ist aber: Wenn du deine Arbeit liebst, nimmst du sie nicht mehr als notwendiges Übel wahr, sondern kannst viel Energie und Kraft aus deiner Tätigkeit ziehen, statt das Gefühl zu haben, dass der Job dich aussaugt wie eine Stechmücke ihren Wirt. Vielleicht denkst du jetzt: „Klar, leuchtet ein, aber tolle Berufe gibt es nicht wie Sand am Meer. Irgendwer muss auch die blöden Jobs machen.“ Und genau da liegt der Fehler. Blöde Jobs gibt es ebenso wenig wie tolle Jobs. Denn der richtige Beruf ist so individuell wie dein Fingerabdruck. Was für den einen die reinste Tortur ist, bringt dem anderen tiefe Erfüllung. Die Kunst liegt darin, die Passung zwischen Mensch und Arbeit zu finden.
Von Callcentern und Topmanager*innen
Lass mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Die allgemeine Auffassung ist, dass ein Job im Callcenter kein besonders erstrebenswertes Beschäftigungsverhältnis darstellt. Ich war allerdings selbst eine Zeit lang Chef von über 1.000 Callcenter-Agent*innen und kann daher aus Erfahrung sagen: Es gibt Leute, die diesen Job lieben und dementsprechend auch richtig gut darin sind. Über Konzepte wie die zurzeit so hippe Work-Life-Balance haben diese Mitarbeiter nur müde gelächelt. Warum? Sie waren schon in Balance – und zwar in ihrer Freizeit ebenso wie auf der Arbeit.
Auf der anderen Seite kenne ich Topmanager*innen mit dickem Gehaltsscheck und noch dickerem Wagen, die sich jeden Tag überwinden müssen, ihr Büro zu betreten und denen der Gedanke an die nächsten zehn Jahre buchstäblich Magenschmerzen bereitet. Den Unterschied macht also nicht der Job, sondern deine ganz persönlichen Eigenschaften und Vorlieben. Der Traumberuf ist eine Illusion.
Vier Kreise, eine Schnittmenge
Bleibt die Frage: Wie schaffst du es, genau diesen Beruf, der dich erfüllt und nicht erstickt, zu finden? Um diese Frage zu beantworten, greife ich gerne auf ein schönes Bild zurück, dass aus dem Japanischen kommt und „Ikigai“ heißt – frei übersetzt: „Das, wofür es sich zu leben lohnt“. Oder, mit etwas weniger Pathos und mehr Bezug zum Alltag: „Das, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen.“
Auf dem Bild zu sehen sind vier gleich große Kreise, die sich in der Mitte überlappen.
1. Kreis: Das, wofür du brennst
2. Kreis: Das, was du gut kannst
3. Kreis: Das, wofür du Geld verlangen kannst
4. Kreis: Das, was die Welt braucht
Spannender als die Kreise an sich sind aber ihre Schnittmengen. Zwischen Kreis eins und zwei liegt deine Passion, zwischen zwei und drei dein Beruf, zwischen drei und vier deine Berufung und zwischen vier und eins deine Mission.
Ist deine Verwirrung schon komplett? Keine Sorge, es ist eigentlich völlig logisch:
Deine Passion
Zwischen dem, was du liebst und dem, was du gut kannst, liegt deine Leidenschaft. Falls dir jetzt noch nicht sofort bewusst ist, was das für ich bedeutet, stell dir folgende Fragen: Worüber könntest du stundenlang reden? Zu welchen Tätigkeiten kehrst du immer wieder zurück? Aber auch: In welchem Bereich konntest du bereits Erfolge verzeichnen, die dich richtig mit Stolz erfüllt haben. Denn, und das ist wichtig, Leidenschaft ist nicht gleich Liebe: Ich zum Beispiel liebe Fußball, bin aber auf dem Feld leider komplett unbrauchbar. Deswegen würde ich niemals versuchen, als Bundesligaspieler meine Brötchen zu verdienen.
Dein Beruf
Richtig, einen Beruf, der dich glücklich und zufrieden macht, kannst du bereits in der Schnittmenge zwischen Kreis eins und Kreis zwei finden. Das, worin du gut bist und das, wofür du Geld verlangen kannst. Um Klarheit für dich zu gewinnen, frag am besten gute Freund*innen, Bekannte oder Verwandte nach deinen individuellen Stärken. Oft sind wir selbst zu kritisch mit uns und stellen unser Licht unter den Scheffel. Aber ich weiß schon, das reicht nicht immer aus. Vielleicht bist du besonders empathisch und einfühlsam und denkst darüber hinaus hoch analytisch, aber hast trotzdem keine Lust, Psychologie zu studieren. Deshalb geht es weiter.
Deine Berufung
Beruf kann und darf auch Berufung sein. Oft wird in diesem Zusammenhang auf Ärzt*innen und Lehrer*innen verwiesen. Ich bin allerdings der Meinung, dass das viel zu kurz greift. Alles kann Berufung sein. Alles, was die Menschen brauchen und du ihnen geben kannst. Das Spektrum reicht vom Brötchen bis zur abstrakten Kunst. Wenn du etwas findest, dass die Menschen begeistert, werden sie auch bereit sein, dafür zu zahlen.
Deine Mission
Zwischen dem, was du liebst und dem, was die Welt braucht, liegt schließlich deine Mission. Ich zum Beispiel liebe Meditation und Geistestraining und bin zugleich davon überzeugt, dass die Menschheit mehr davon braucht. Deshalb weiß ich genau, was meine Mission ist.
Fazit: Deinen Traumberuf findest du da, wo die größte Überlappung liegt.
Es ist also nicht der Job mit dem besten Gehalt, den meisten Urlaubstagen oder dem prestigeträchtigen Image, der uns glücklich macht, sondern die Tätigkeit, die ganz individuell zu unserem Können, unseren Vorlieben und der Welt um uns herum passt. Ikigai ist kein weltfremdes Konzept. Wenn dein Hobby darin besteht, besonders ausgefallene Postkarten zu sammeln, dann mag dich das privat glücklich machen, aber Geld wirst du damit kaum verdienen können. Vielleicht zeigt dir diese Vorliebe aber, dass du ein besonderes Talent und Interesse an ungewöhnlichen Designs hast und dann sieht die Sache schon anders aus.
Fakt ist also: Wer langfristig berufliche Erfüllung sucht, kann keine Abkürzung nehmen. Wir müssen uns mit uns selbst, unseren Bedürfnissen und Talenten beschäftigen, um genau zu definieren wie wir uns und der Welt damit den größtmöglichen Nutzen bringen.
Titelbild: Depositphotos.com
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