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Tagebuch schreiben macht glücklich – so motivierst du dich dazu

Nach Jahren findet unsere Autorin ihre alten Tagebücher – und entdeckt ihre Lust zum Schreiben wieder. Experten erklären ihr heute, warum Schreiben so gut tut.

Und plötzlich nur noch weiße Seiten

Erst vergangene Woche sind sie mir wieder in die Hände gefallen: fünfzehn fein säuberlich geführte Tagebücher, die ich über Jahre mit Geschichten gefüllt habe. Beim Blättern in den ersten Heftchen lache ich über die kindliche Schrift, die banalen Dinge, die ich aufgeschrieben habe. Meine Pubertät ist gekennzeichnet von peinlichen Geschichten, aber auch ziemlich weisen Worten, die ich meinem 13-Jährigen Ich niemals zugetraut hätte.

Gegen Ende des Stapels kommen auch die Einträge von der 18-jährigen Schreiberin dazu, die Hals über Kopf verliebt ist und sich wenig darum kümmert, ob nun wöchentlich, monatlich oder auch nur einmal im Jahr ein neuer Eintrag ins Tagebuch kommt – bis es irgendwann gar keine Einträge mehr gibt und ich nachdenklich durch die restlichen weißen Seiten des Büchleins blättere.

Seit letzter Woche lässt mich der Gedanke an diese liebevoll geführten Tagebücher nicht mehr los und jeden Tag frage ich mich, warum mir diese vollgekritzelten Seiten aus der Vergangenheit noch immer so viel bedeuten und was das Schreiben meinem 26-Jährigen Ich heute bringen könnte. Im Gespräch mit Autorinnen, Schreibtherapeutinnen, Psychologinnen sowie Schreib- und Business Coaches habe ich wieder Lust aufs Schreiben, um auch die kleinen Erinnerungen gebührend festzuhalten.

Das Besondere am Tagebuchschreiben

Ich kann mich noch daran erinnern, wie gut es früher getan hat, Erlebnisse aufzuschreiben und die Seiten in meinem Tagebuch zu füllen. Aber warum war das so? Aus welchem Grund hat das Schreiben auf so viele Menschen einen positiven Effekt? Was bringt es? Die Psychologin Elisabeth Mardorf hat es mir erklärt: „Das Tagebuchschreiben hilft bei vielen Prozessen, die weiter gehen als das bloße Nachdenken. Schreiben kann dabei helfen, zu entlasten. Wenn man schreibt, gibt man etwas nach außen ab. Zudem kann man damit auch die eigenen Gefühle und Gedanken ordnen und sich über Verwirrendes klar werden.”

In ihrem Buch „Kreativ leben mit dem Tagebuch“ beschreibt sie weitere positive Effekte, die das tägliche Schreiben haben kann: „Wenn man Tagebuch schreibt, kann man sich nur schlecht vormachen, dass man großartig ist. Die eigenen Texte halten einem selbst immer wieder einen Spiegel vor und führen so zur Selbsterkenntnis. Zudem wird man gelassener, weil man beim Lesen frühere Krisen oder Probleme aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten kann.”

Für Autorin und Schreibcoach Susanne Diehm empfiehlt, nicht nur an schlechten Tagen zu schreiben: „Wir beachten das kleine Glück im Alltag oft viel zu wenig. Es ist wichtig, glückliche Momente bewusst zu erleben und festzuhalten, dann können diese Erinnerungen auch helfen, wenn wir uns mal wieder unzufrieden fühlen.” Jutta Michaud, die gemeinsam mit Diehm als Schreibtherapeutin tätig ist und auch Seminare zum Kreativen Schreiben leitet, bestätigt das: „Wer täglich schöne Momente aufschreibt, konzentriert sich leichter auf positive Lebensaspekte. In Wirkstudien wurde vielfach nachgewiesen, dass man auf diesem Weg neuronale Netze im Gehirn neu verbinden und Gefühle auf diese Weise positiv ausrichten kann.”

Mit dem Schreiben anfangen

All diese positiven Effekte kommen mir ziemlich bekannt vor und die kleine Zeitreise mit meinen Tagebüchern in der letzten Woche hat definitiv ihren Teil dazu beigetragen, dass ich mich endlich wieder motiviert fühle, einen Stift in die Hand zu nehmen und etwas Persönliches zu schreiben.

Aber sobald ich mich dem Tagebuch nähere, um loszulegen, stellt sich bei mir eine Blockade ein und meine Motivation löst sich innerhalb von Sekunden in Luft auf. Ich denke an den typischen Einleitungssatz à la „Liebes Tagebuch, …“ und dann fällt mir einfach nichts mehr ein: nur Banales, nichts, das ich unbedingt in Worte fassen müsste, stattdessen einfach nur Leere, die mich daran hindert, auch nur ein Wort zu schreiben.

Wie kann ich diese Hürde nur überwinden, um die erste Seite zu füllen und endlich einen Anfang in meinem Notizbuch zu machen? Zwischen 2008 und heute blicke ich auf leere Tagebuchseiten, es gibt keine witzigen Geschichten, keine Kritzeleien, Fotos, Kinotickets oder Liebesbriefe, die ich liebevoll eingeklebt habe. Studienbeginn, Reisen ins Ausland, meine ersten Berufserfahrungen – alles zwar in meinem Kopf, aber nicht auf Papier festgehalten. Die Erinnerungen sind in der Schwebe, nicht wirklich greifbar und die kleinen Dinge aus dem Alltag verpuffen, ohne, dass ich sie wirklich wertgeschätzt, beschrieben, verewigt habe. Genau das möchte ich aber heute wieder: Schreiben als Ausgleich, Schreiben für die Erinnerung, Schreiben für die persönliche Freude.

Blockaden überwinden

Obwohl ich ein klares Ziel vor Augen habe, stocke ich beim Schreiben und weiß nicht so recht, wo ich beginnen soll, um endlich wieder in einen Schreibfluss zu kommen, der mir dabei hilft, meine Gedanken zu ordnen und einen Ausgleich zum Alltag zu finden.

Die Expertinnen Susanne Diehm und Jutta Michaud kennen dieses Problem aus ihren Schreibkursen und haben einen Tipp: „Wir empfehlen häufig Freewriting, um in einen Schreibfluss zu kommen. Dabei nimmt man einfach spontan einen Stift in die Hand und schreibt acht Minuten lang alles mit, was der Gedankenfluss so diktiert. Wenn es stockt, schreibt man einfach ,Was noch?’ und das so lange, bis es wieder weitergeht mit den Gedanken.” Dabei darf alles aufgeschrieben werden: von den Gedanken zur Einkaufsliste über den Vermerk zum nächsten Tierarztbesuch bis hin zur Liedzeile, die einem einfach nicht mehr aus dem Kopf geht, darf das alles sein. „Denn hundertprozentig wird etwas Bemerkenswertes dabei sein, das zum Weiterschreiben motiviert”, erklärt Diehm.

Diese Anregungen machen mir wieder mehr Lust aufs Schreiben. Ich muss zugeben, dass ich während der ersten Minuten beim Freewriting nur in die Luft gestarrt habe und die Stoppuhr dann noch einmal stellen musste. Nachdem zunächst nur ellenlange Linien aus meinem abgegriffenen Kuli flossen, formten sich nach und nach Wörter, schließlich Sätze. Nachdem ich erst über meinen chaotischen Morgen und die schreckliche Bahnfahrt zwischen Bonn und Köln schrieb, wurde der Eintrag immer persönlicher und reflektierter. Nach acht Minuten hatte ich zwei Seiten in meinem Notizheft vollgekritzelt, die für andere kaum lesbar sind, aber mir ziemlich viel bedeuten, denn sie enthalten persönliche Gedanken, Pläne und Wünsche, die ich seit fast zehn Jahren nicht mehr schriftlich formuliert habe.

Warum Männern funktionales Schreiben hilft

Während ich mir diese Sätze noch einmal durchlese, freue ich mich über den Anfang, den ich gemacht habe und grüble schon darüber, wie ich mein Umfeld, zum Beispiel meine Freundinnen und meine Familie, für das Schreiben erwärmen kann – denn wie die Expertinnen bin ich davon überzeugt, dass es einen positiven Effekt auf das Alltagsleben haben und es für jeden Menschen schön sein kann, nach Jahren die eigenen Tagebucheinträge zu lesen und Erinnerungen Revue passieren zu lassen. Wenn ich dabei aber an meinen Bruder, Vater oder besten Freund denke, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sie in so einen Schreibfluss kommen.

Der Business Coach Andreas Kawallek kennt das aus seiner Praxis, in der er mit Schreibtherapien arbeitet und häufig männliche Klienten betreut: „Viele Männer sind sehr lösungsorientiert. Bei einem Bauvorhaben machen sich Männer gern Skizzen. Sie ordnen auf diese Weise ihr Vorgehen. Ich kenne viele Männer, die ein Buch mit Notizen oder Zeichnungen haben. Sie verwenden es als Mindmap und finden so Lösungen.”

Auch diese Form des Tagebuchschreibens sei möglich und eine Hilfe, die eigenen Gedanken zu ordnen und Erinnerungen festzuhalten, bestätigt mir auch Schreibcoach Birgit Schreiber, die damit auf den für Männer typischen, funktionalen Aspekt des Schreibens hinweist: „Für Männer sind die emotionalen Aspekte des Schreibens weniger relevant. Sie möchten das Schreiben als praktisches Element in ihren Alltag einbauen, es muss Sinn machen und führt auch oft auf ein Ziel hin.”

Freie Texte, Listen und Haikus

Für Birgit Schreiber, die mit ihrem Buch „Schreibe zur Selbsthilfe“ Menschen dabei hilft, die Freude am Schreiben zu entdecken, ist die Form eines Tagebuchs völlig frei und sollte sich auf keinen Fall auf ein klassisches Buch beschränken, das regelmäßig mit Texten gefüllt wird: „Es gibt so viele Formen des Schreibens, die den Alltag bereichern. Kleine Lyrik wie Elfchen oder Haikus, Aphorismen oder gekritzelte Notizen bedeuten vielen Menschen genauso viel wie ein Tagebuch.” Sie selbst hat auch immer ein Schreibbuch in ihrer Handtasche, in dem sie Eindrücke aus dem Alltag, Buchtitel, Ideen oder Inspirationen dokumentiert – auch das kann eine Art Tagebuch sein.

Für Schreiber, die schon Tagebuch führt, seitdem sie Schreiben gelernt hat, ist es vor allem wichtig, dass man sich niemals Druck macht: „Das Schreiben ist ein Freund oder eine Freundin, mit der man gerne Zeit verbringt. Man ist nicht gezwungen zu schreiben, sondern erlaubt es sich, macht es aus Freude – auch, wenn das nur fünf Minuten am Tag sind. Den Beginn kann man auch mit einer Karteikarte und einem Bleistift für alle Fälle machen – dann ist die Hürde, ein ganzes Buch füllen zu müssen, nicht da und die ersten Worte schreiben sich viel leichter.”

Liebes Tagebuch, …

Diesen Satz habe ich jetzt endlich selbst wieder geschrieben. Nach fast zehn Jahren Pause macht es mir wieder Spaß zu schreiben. Ich muss zugeben, es ist mir nicht leicht gefallen – die ersten Seiten sind voller Herzchen und Kritzeleien, einer Welche-Instagram-Katze-ist-die-Schönste-Liste und Notizen zu diesem Artikel hier. Aber inzwischen steht da schon mehr, kleine Momentaufnahmen aus meinem Alltag, die mir erst beim Schreiben so richtig bewusst geworden sind und mir garantiert in ein paar Jahren wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern werden.

Ob ich es schaffe, wie mein 13-jähriges Ich jeden Tag mehrmals zu schreiben, weiß ich nicht. Wenn es mir aber gelingt, regelmäßig Momentaufnahmen aus meinem Leben festzuhalten, bin ich zufrieden. Denn mir ist klar geworden, dass ein Tagebuch nicht nur ein Ausgleich zum Alltag und eine gute Erinnerungsstütze ist, es schenkt mir auch ein Zeitfenster, das ich ganz allein für mich reserviere – genau deshalb bedeutet es mir so viel. Ich nehme mir wieder Zeit für mich selbst, klappe meinen Laptop zu, mache mein Handy aus und konzentriere mich ganz aufs Schreiben – ein Geschenk, das wir uns alle täglich geben können.

Der Originaltext von Janin Istenits ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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