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„Sollte sich ein Weg als Sackgasse entpuppen, schlagen wir eben eine andere Route ein“

Terror, Wirtschaftskrise, Umweltverschmutzung – von der negativen Berichterstattung hatten Eva-Maria Verführt und Sarah Klein genug. Mit „Tea after Twelve“ wollen sie es besser machen: Statt Berichten über die schlechten Dinge dieser Welt gibt es hier: Lösungen.

 

Endlich wieder fundierte Berichterstattung

Kein Gossip, kein Klatsch, kein Tratsch – sondern endlich wieder sorgsam recherchierter und fundierter Journalismus. Mit diesem Vorhaben kündigten Sarah Klein und Eva-Maria Verführt ihren alten Job in der Öffentlichkeitsarbeit einer deutsche Entwicklungshilfeorganisation – dort hatten sie sich kennengelernt – und entwickelten ihr eigenes Online-Magazin: „Tea after Twelve“. Im Jahr 2014 gegründet, zählt das Magazin bereits Ende 2015 eine Facebook-Community mit mehr als 115.000 Fans. Wie das Konzept funktioniert, wer die Artikel schreibt – das feste Redaktionsteam besteht schließlich nur aus drei Personen – und was sie bewirken wollen, erzählen uns die beiden Gründerinnen im Interview.

Wir wollen keine Klischees bedienen, sondern Lösungen zeigen.“

Welches Ereignis war ausschlaggebend dafür, euer eigenes Magazin ins Leben zu rufen? 

„Bei unserem vorigen Job in der Öffentlichkeitsarbeit sind wir bei der Recherche beide auf viele innovative Ideen gestoßen, das war beeindruckend. Und wir haben festgestellt, dass diese Art von Geschichten bei den Lesern ebenfalls sehr gut ankommt – die Leute schienen sich richtig danach zu sehnen. Außerdem waren wir zunehmend genervt über die Berichterstattung der meisten Medien. Statt uns weiter zu ärgern, haben wir dann beschlossen, es selber anders und besser zu machen: Wir haben unsere Jobs gekündigt und ,Tea after Twelve’ gegründet.“

Welchem Trend wollt Ihr mit „Tea after Twelve“ entgegenwirken?

„Egal, ob man die Tageszeitung aufschlägt oder die Nachrichten im Fernsehen einschaltet – die Berichterstattung ist überwiegend negativ konnotiert: Terror-Anschläge, Umweltverschmutzung, Wirtschaftskrise und regnen wird’s außerdem auch die ganze Woche. Und genau da lassen die meisten Medien einen auch stehen – im Regen. Wo bleiben denn Berichte über Initiativen, die etwas verbessern? 

Denn die gibt es natürlich trotz allem. Die reine Tatsache, dass es Missstände in der Welt gibt, heißt ja nicht, dass es keine Lösungen gibt.“ 

Könnt ihr das an einem aktuellen Beispiel festmachen?

„Das merkt man aktuell ganz klar bei der Berichterstattung über Flüchtlinge: Zurzeit schreiben alle deutschen Medien darüber, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann, dass die Unterkünfte und Tafeln überfordert sind, dass die schwarze Null nicht zu halten ist. Aber kaum jemand schreibt, was für eine unglaublich tolle Leistung die Behörden und NGOs schon erbracht haben. Dass wir Hunderttausende von Flüchtlinge untergebracht und versorgt haben. Dass viele Flüchtlingskinder endlich wieder in die Schule gehen. Dass Wohnungen gebaut wurden. Und dass wir genau so natürlich weitermachen können.

„Über frustrierte Bürger muss man sich da nicht mehr wundern“

Zahlen und Fakten werden verdreht oder nicht richtig gedeutet – die Flüchtlinge der vergangenen Jahrzehnte haben eben nicht die Sozialkassen gesprengt, weil sie sich meist sehr gut in die deutsche Arbeitswelt einfügen konnten und darüber hinaus auch nicht überwiegend im Land geblieben sind. Insgesamt werden viel zu oft Klischees bedient – das gilt für internationale Medien ebenso wie für deutsche. Schwarz-weiß-Malerei schürt Angst und Unsicherheit. Über frustrierte Bürger und Pegida-Demos muss man sich da auch nicht mehr wundern.“ 

Inwiefern wollt Ihr euch von anderen Magazinen absetzen? 

„Indem wir eben nicht die gängigen Klischees bedienen, sondern mögliche Lösungen zeigen. Wenn wir über Flucht berichten, dann stellen wir beispielsweise ein Projekt vor, das Flüchtlinge erfolgreich ins Arbeitsleben einbindet, wie das Magdas Hotel in Wien. 

Auch in der Länge der Geschichten unterscheiden wir uns von den meisten Formaten: Wir glauben nicht an den Mythos, dass der Leser im Netz nach 4000 Zeichen überfordert ist. Und wir glauben erst recht nicht daran, dass alles oberflächlich abgehandelt werden muss. Wenn eine Geschichte spannend ist, darf sie auch mal länger sein. 

Anders sein: Das Magazin „Tea after Twelve“.                         Quelle aller Bilder: Tea after Twelve

Auch mit unserem Design wollen wir uns absetzen. Bei manchen Seiten sieht man vor lauter Werbung noch nicht mal mehr, wo der eigentliche Beitrag ist.“ 

„Solution based storytelling“ nennt Ihr euer Konzept. Also: Projekte, die etwas bewegen, und Menschen, die etwas verändern. Wer sind eure Vorbilder?

„Vorbild ist ein großes Wort, solche haben wir im Grunde nicht. Aber es gibt Personen, die uns mit ihrem Lebenslauf beeindrucken – weil sie entgegen aller Bedenken Dinge möglich gemacht haben, für die andere sie für bekloppt erklärt haben. Der Enthusiasmus dieser Menschen treibt auch uns an und inspiriert uns.“ 

Doch kann dabei auch mal etwas schieflaufen. 

„Natürlich gehören Rückschläge und Hindernisse dazu. Jedes noch so erfolgreiche Unternehmen oder Projekt hat damit zu kämpfen. Wenn man sich das bewusst macht, kann man auch mit eigenen Problemen besser umgehen. Und genau das wollen wir ja auch unseren Lesern vermitteln: Lasst Euch nicht entmutigen.“

Euer Konzept heißt „Crowdsourcing“. Wie genau funktioniert das?

„Das bedeutet, dass wir Ideen und Themen sammeln. Die Inhalte von Tea after Twelve sind zusammen mit den Lesern und vielen Autoren entstanden, die ihr Wissen mit uns geteilt haben, für uns geschrieben oder fotografiert haben. Das macht auch das Besondere aus: Wir berichten oft über Initiativen, die von anderen Medien noch gar nicht entdeckt wurden. Was nur möglich ist durch die vielen Tipps und Informationen, die wir von unseren Lesern aus aller Welt bekommen.“

Wer bestimmt, welche eingereichten Themen wirklich umgesetzt werden und vor allem: Welchen Mehrwert sollen sie bieten?

„Das zentrale Kriterium ist: Die Geschichte muss unseren Lesern neue Ideen geben. Es muss kein Masterplan sein, der alle Weltprobleme löst, sollte aber zumindest Inspiration bieten. Es muss also entweder um ein neues Thema gehen – eine Erfindung, eine Forschungserkenntnis, eine neue Art von Projekt –, oder die Geschichte muss neue Einblicke liefern. Außerdem muss das Thema für unsere internationale Leserschaft relevant sein.“

Ihr schreibt, dass man bei einer gemütlichen Tasse Tee über Lösungen nachdenken sollte. Wie bewältigt ihr am besten Probleme? 

„Na, als erstes wird der Tee aufgesetzt – und dann beratschlagt. Entscheidungen aus dem Bauch heraus gibt es bei uns nicht. Wir versuchen, flexibel zu bleiben und immer noch einen Plan B oder C in der Tasche zu haben. Sollte sich ein Weg als Sackgasse entpuppen, schlagen wir eben eine andere Route ein.“ 

Was genau sollten die deutschen Medien anders machen?

„Die Jammerei einstellen! Und wieder ordentliche journalistische Handwerksarbeit leisten. Viele Meldungen, die man liest, sind schlecht recherchiert. Da werden unreflektiert Dinge postuliert, die sich nach ein bisschen Recherche und Faktencheck ganz anders darstellen. Insgesamt wäre mehr Objektivität in der Berichterstattung wünschenswert. Und vor allem: Mal einen Gang runterschalten. Viele Meldungen strotzen nur so von Hysterie. Nachrichten werden unnötig dramatisiert, damit sie Aufmerksamkeit erregen. Informationen werden zu schnell rausgehauen. Wieso nicht etwas weniger, dafür aber besser geschriebene und recherchierte Berichte veröffentlichen?“ 

Wie findet Ihr denn neue Autoren?

„Wir rufen immer wieder dazu auf, dass Leser uns ihre Ideen für neue Themen schicken sollen. Das kann alles sein – von kreativen Projekten bis hin zu neuen Forschungsansätzen. Wenn das Thema spannend ist, schreiben wir die Forscher oder Gründer des Projekts an. Oder aber es melden sich Journalisten oder Blogger bei uns, die Artikel einreichen. Darüber hinaus gehen wir natürlich auch immer selbst auf die Suche nach interessanten Menschen und Projekten. Jeder Beitrag wird dann noch umfangreich redigiert.“

Wie trefft ihr denn Absprachen untereinander, wenn das gesamte Redaktionsteam auf der Welt verstreut ist? 

„Skype ist unser bester Freund, aber auch ganz klassisch per E-Mail. Funktioniert bestens. Da wir viel reisen, ist es uns aber auch möglich, mit dem ein oder anderen direkt zu kommunizieren.“ 

Was wären momentan für euch die aktuellsten „5-vor-12-Themen“?

„Das Thema Flüchtlinge drängt sich natürlich nahezu auf, dazu werden wir in den nächsten Monaten noch einige Beiträge veröffentlichen. Unser nächstes großes Oberthema wird dann ,Money Moneyheißen und sich mit alternativen Wirtschafts- und Arbeitsformen beschäftigen: Internet-Währungen, mit denen es keine Finanzkrisen mehr gäbe. 3D-Drucker für eine Produktion, bei der niemand ausgebeutet wird. Oder kreative Protestformen gegen Finanzspekulation und Ungleichheit.“ 

Was ist eure größte Herausforderung? 

„Zeit und Geld. Auch wenn wir ein sehr erfolgreiches erstes Jahr mit dem Tea hatten, sind wir nichtsdestotrotz ein kleines Startup, das auch mit eben solchen Problemen zu kämpfen hat. Die Einnahmen von Tea after Twelve decken die Unterhaltungskosten des Magazins, aber noch keine Gehälter. Wir gehen beide Bread-&Butter-Jobs nach, um uns finanziell abzusichern, und arbeiten ehrenamtlich an Tea after Twelve. Das schränkt uns auch zeitlich ein – wir würden oft gerne viel mehr machen, als wir können.“

Nach einem Jahr zählt Ihr 100 Autoren aus über 60 Ländern sowie eine Leserschaft in über 180 Ländern und Facebook-Community mit mehr als 115.000 Fans. Wo wollt ihr hin? Was sind eure Pläne für das kommende Jahr?

„Abgesehen von Nordkorea und einigen ganz entlegenen Fleckchen der Erde werden wir rund um den Erdball gelesen. Das ist auf der einen Seite wirklich unglaublich und es macht uns unheimlich stolz, global einen Nerv getroffen zu haben. Auf der anderen Seite bringt das natürlich auch einen gewissen Druck, weiter exzellente Arbeit zu machen. Unser großes Ziel ist es, die Idee von Tea after Twelve weiter auszubauen: Wir möchten zur führenden Plattform werden, die gute Ideen global verbreitet und kreative Köpfe und Querdenker aus aller Welt vernetzt.

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