Der 31. März ist “International Transgender Day of Visibility”, der internationale Tag der Sichtbarkeit von Transgeschlechtlichkeit. Dieser Tag ist seit 2009 dafür da, um trans Personen, ihre Erfolge und Herausforderungen sichtbar zu machen und zu feiern. Doch ist Sichtbarkeit in Zeiten von Trump, Merz und AfD tatsächlich wünschenswert? Ein Kommentar.
Vor mittlerweile drei Jahren ist mein erster Artikel bei EDITION F erschienen. Hier schreibe ich über meine Erfahrungen mit meiner Namensänderung als trans Frau. Ich habe mich ganz bewusst dazu entschieden, über mein trans Sein zu schreiben. Denn sobald dieser Artikel veröffentlicht ist, werde ich meine eigene Transgeschlechtlichkeit nicht mehr verstecken können. Das klingt erstmal paradox, denn der Hintergrund für ein Coming-Out ist in der Regel, dass man sich nicht mehr verstecken möchte und muss. Bei trans Personen ist es oft etwas komplizierter.
Würde ich nicht so offen mit meiner trans Identität umgehen, könnte ich fast unerkannt als cis Frau leben. Diese Form des Umgangs nennt sich „stealth“ leben oder sein. Doch mir war schon früh bewusst, dass stealth leben für mich kein Lebensweg ist, den ich gerne gehen würde. Ich war schon immer im Herzen Feministin und Trans-Aktivistin und ich finde es unglaublich wichtig, sichtbar zu sein und für die gesamte Community einzustehen. Ich wusste leider schon damals, dass meine Sicherheit als offen lebende trans Frau nicht gewährleistet ist – nicht auf persönlicher und institutioneller Ebene.
Aktuell wird es immer unsicherer für mich und andere trans Menschen. Im letzten Jahr habe ich mehr transfeindliche Anfeindungen erlebt als im Jahr nach meinem Coming-Out in 2020 – dabei ist mein Passing seitdem deutlich besser geworden. Das liegt nicht nur daran, dass Transfeindlichkeit verbreiteter ist, sondern auch daran, dass trans Menschen sichtbarer geworden sind.
[Passing] Passing bedeutet, dass eine Person als cisgeschlechtlich und als das Geschlecht wahrgenommen wird, das sie ist, beziehungsweise als das sie gerne wahrgenommen werden würde. Für eine trans Frau bedeutet das, dass sie als cis Frau wahrgenommen wird. Für eine nicht-binäre Person ist Passing im eigentlichen Sinne nicht möglich, doch für manche nicht-binäre Menschen kann Passing auch bedeuten, als entweder cis Mann oder Frau wahrgenommen zu werden statt mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
[cis/trans] Das lateinische Präfix „cis-“ kann mit „diesseits“ übersetzt werden. Es ist das Antonym von „trans-“, das so viel heißt wie „über“. Als trans bezeichnen sich Menschen, deren Geschlechtsidentität – im Gegensatz zu cis Menschen – nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. „Cis“ wird genutzt, um dem Begriff „trans“ etwas gegenüberstellen zu können und damit zu vermeiden, dass heteronormativ lebende, cisgeschlechtliche Menschen als „Normalfall“ konstruiert werden. Sowohl cis als auch trans werden als Adjektiv benutzt, korrekt wäre also: trans Frau und nicht Transfrau.
[agender/ageschlechtlich] Menschen, die agender/ageschlechtlich sind, haben kein Geschlecht oder fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig.
Eine Person, die nicht viel über trans Menschen weiß, wird in der Regel nicht davon ausgehen, dass ich trans bin – solange ihr niemand davon erzählt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Eine Person, die sich transfeindlichen Bullshit im Internet anschaut, achtet ganz genau darauf, wer „nicht Frau genug“ ist. All das lässt sich natürlich auch auf trans Männer und nicht-binäre Menschen übertragen. Allerdings finde ich es wichtig zu betonen, dass vor allem trans Frauen direkten Anfeindungen ausgesetzt sind und als ein Feindbild konstruiert werden.
Bei mir bedeutet „nicht Frau genug“ zu sein vor allem meine tiefere Stimme und meine Größe. Diese Merkmale können übrigens auch cis Frauen haben. Ich könnte theoretisch mehr Zeit in Stimmtraining investieren, um weiblicher zu klingen oder durch Schönheits-OPs mein Passing verbessern, um dann stealth zu leben. Das ist aber ein großes Privileg, das nicht alle trans Menschen haben. Besonders mehrfachmarginalisierte Menschen, also behinderte, ältere, Schwarze, indigene und trans Menschen of Color haben es oft schwerer. Aus meiner Perspektive heraus empfände ich das als eine sehr egoistische Entscheidung.
Dieser Egoismus ist im Kontext und in Relation zu betrachten. Für mich ist es in den 2020ern vergleichsweise einfach, offen trans zu sein. Ich verdiene sogar Geld damit, offen darüber zu sprechen. Noch vor ein paar Jahrzehnten war es vollkommen normal, als trans Person stealth zu leben. Offen trans leben konnte man entweder nur in ausschließlich queeren Communities und Räumen oder als Sexarbeiterin – und auch dann musste man mit extremer Diskriminierung und Gewalt rechnen. Damals war „trans“ nicht mal ein Begriff und alle gängigen Wörter für trans Menschen waren Beleidigungen. Allein aus dieser Geschichte heraus kann ich es keiner trans Person übelnehmen, stealth leben zu wollen. Außerdem ist es für trans Menschen schwierig genug, ihr wirkliches Geschlecht anerkannt zu bekommen. Viele Menschen sehen dein Geschlecht, wenn du trans bist, nicht gleichwertig mit dem von cis Menschen. Das ist einfach so. Allein davon, wie manche Menschen mit mir umgehen oder mit mir sprechen, weiß ich, dass sie mich nicht als “echte Frau” wahrnehmen – so wie eine cis Frau in ihren Augen zu sein hat. Wenn man stealth lebt, kann man das vermeiden.
Ich habe mich dafür entschieden, sichtbar zu sein und zu bleiben, weil trans zu sein etwas Wunderschönes ist und nichts Schambehaftetes sein darf. Trans und nicht-binäre Personen zeigen, wie groß unsere geschlechtliche Vielfalt ist. Dass wir alle viel mehr sind, als es diese begrenzten Kategorien „Mann” und „Frau“ zulassen. Ich glaube daran, dass wir irgendwann an einen Punkt kommen, an dem sich trans Personen nicht mehr für ihren Körper schämen müssen und so akzeptiert werden, wie sie sind. Dafür will ich mich weiter einsetzen.
Sichtbarkeit vs. Sicherheit
Es beeindruckt mich zu sehen, wie viel wir in relativ kurzer Zeit bis heute erreicht haben. Trans Menschen sind sichtbar und in gewissem Maße bietet uns diese Sichtbarkeit sogar Sicherheit. Die brutale Realität war früher, dass sich niemand dafür interessiert hat, wenn eine trans Sexarbeiterin verprügelt, vergewaltigt oder umgebracht wurde. Heute sind wir sichtbar genug, um auf solche Taten aufmerksam zu machen. Das hat eine Wirkungskraft – wenn auch nicht immer so groß wie erwünscht.
Sichtbarkeit kann jedoch unglaublich gefährlich sein. Es gibt einen Spruch aus der trans Community, der das gut erklärt: „Visibility without protection is a trap“ – „Sichtbarkeit ohne Schutz ist eine Falle.“ Trans Personen sind eine sehr kleine Minderheit, offizielle Zahlen gibt es nicht . Wir bewegen uns, wenn überhaupt, weit im unteren einstelligen Prozentbereich. Das bedeutet, dass wir selbst in keinem Szenario unsere eigene Sicherheit gewährleisten können, da wir immer in der starken Unterzahl sind. Wir sind vollkommen von der Solidarität, vom Schutz von cis Menschen abhängig.
Es gibt bereits genug Menschen, die uns hassen, die uns wortwörtlich tot oder hinter Gittern sehen wollen – auch wenn sie es nicht so eindeutig sagen. Dadurch, dass wir so lange für unsere eigene Sichtbarkeit gekämpft haben, haben wir uns für diese Menschen angreifbar gemacht. Vor allem auch auf institutioneller Ebene, wie es in den USA gerade erschreckend zu beobachten ist. Genau aus diesem Grund ist es heute wichtiger als je zuvor, dass die Zivilgesellschaft hinter uns steht und uns Rückendeckung gibt. Transfeindlichkeit darf nicht normalisiert werden, transfeindlichen Mythen wie die der angeblich sexuell gewalttätigen trans Frau oder den indoktrinierten trans Kindern darf keine Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Sobald die Mehrheit der Menschen anfängt, daran zu zweifeln, ob trans Menschen nicht doch „irgendwie zu weit gehen“, wird die Tür zur Gewalt und Ausgrenzung geöffnet. Deshalb wünsche ich mir für diesen Trans Day of Visibility, dass wir nicht nur die Sichtbarkeit von trans Menschen zelebrieren, sondern auch die Verletzlichkeit und Diskriminierung von trans Menschen anerkennen. Dass wir die besondere Schutzbedürftigkeit marginalisierter Menschen endlich wahrnehmen und uns gegen Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung stellen.
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