Foto: George Gvasalia | Unsplash

Vom Konzern in ein Startup – mehr Freiheiten, aber auch ganz neue Herausforderungen

Wer die angestaubten Strukturen eines Konzerns kennt, träumt nicht selten von dem Wechsel in ein Startup – so ging es jedenfalls mir. Aber ist da wirklich alles besser?

 

Ich wollte endlich frei gestalten können  

Ich will hier raus. Ich will die Zügel selbst in die Hand nehmen, mehr Freiheiten und vor allem weniger politisch anmutende Entscheidungsfindungen in meinem Arbeitsumfeld. Das fasst meine Gedanken vor circa einem Jahr ganz gut zusammen. 

Zu der Zeit war ich noch im Vertrieb eines amerikanischen Konzerns beschäftigt (mein erster Job) und fühlte mich in meiner Kreativität eingeschränkt. Während ich klar definierte Abfolgen ausführte und fast die Hälfte der Arbeitszeit damit beschäftigt war, intern zu netzwerken, um die eigenen Projekte voranzubringen, träumte ich mehr und mehr von den Handlungsspielräumen in einem Startup. 

Junge, hippe Kollegen. Einfach mal machen und ausprobieren. Aus Fehlern lernen und umdenken. Und das alles im dreifachen Tempo. So stellte ich es mir vor. Und so wurde es mir auch von den Freundinnen und Freunden suggeriert, die selbst in einem Startup gelandet sind oder sogar eins gegründet haben. Coworking Spaces hier, Investoren Gespräche da. Kurzum: Das Gras wirkte definitiv grüner auf der anderen Seite.

Der Realitätscheck 

Nach ein paar Bewerbungen, sitze ich um sieben Uhr morgens mit meinem neuen Chef in spe in einem Café und führe ein Vorstellungsgespräch. Ganz ohne Personaler*in und ohne Dresscode. Ziemlich unkonventionell. Und dementsprechend genau so, wie ich es mir vorgestellt habe.

Mittlerweile arbeite ich seit knapp einem Jahr in genau diesem Tech-Startup, mit dessen Gründer ich mich Kaffee schlürfend über meinen Lebenslauf unterhalten habe. Meine Bilanz ist etwas ernüchternder als gedacht. Ich habe mir mehr Freiräume gewünscht. Und die habe ich auch definitiv bekommen. Nur, dass die tollen Ideen, die einem kommen, wenn man Freiräume hat, auch von irgendjemand umgesetzt werden müssen. In einem Startup ist das meistens die Person, die die Idee hatte. Eigentlich ziemlich logisch. Und eigentlich auch ziemlich genau das, was Freiraum ausmacht. Das einzige, was einem niemand sagt, bevor man in einem Startup anfängt, ist, dass „die Idee selbst umsetzen” auch bedeutet: „Die Idee von A bis Z selbst umsetzen.”

Vor- und Nachteile des Startups 

Das mag verwirrend klingen, deshalb hier ein Beispiel: Wenn man den Umzug eines Startups organisiert und man sich schon in einer hippen Arbeitsumgebung mit Pflanzen und Hängematten und was auch immer sieht, sollte man dabei nicht vergessen, dass die Pflanzen auch von irgendjemandem gegossen werden müssen. Na, klingelt’s? Genau, für all die kleinen Dinge, die in einem Konzern gefühlt von selbst erledigt werden, muss ich im Startup eigene Lösungen finden. Und das Pflanzen gießen ist da nur ein Beispiel von vielen. 

Also: Startup-Atmosphäre heißt einfach mal machen? Ja, definitiv – aber eben in jeglicher Hinsicht. Würde ich den Schritt wieder gehen? Auf jeden Fall. Ich bin eine Macherin, zu lange warten nervt mich und macht mich ungeduldig. Trotzdem glaube ich, dass die Arbeit im guten alten Konzern in meiner Generation schlechter wegkommt, als sie es verdient hat. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Und manchmal muss man über den Zaun klettern, um zu merken, dass das Gras auf der anderen Seite eben nur ein bisschen grüner aussieht.

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