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Ich arbeite in einem Tech-Startup und habe angefangen, über Feminismus zu sprechen

Die Tech-Szene ist immer noch weitestgehend männerdominiert. Wie gut kann ein Talk über Feminismus in einem Tech-Startup also überhaupt ankommen? Die Reaktionen meiner Kollegen waren überraschend.

 

Ein Feminismus-Vortrag in einem Tech-Startup 

Alles fing damit an, dass unsere HR-Managerin ein neues Weiterbildungsformat vorgeschlagen hat. Ziel sollte sein Themen, die uns interessieren auch wenn sie nicht direkt unsere Arbeit betreffen, in einem kurzen Talk mit dem Team zu teilen und zu diskutieren. Ich finde, lebenslanges Lernen, Horizont erweitern und vor allem Wissen zu teilen, kann mensch nicht wichtig genug nehmen. Deswegen habe ich so ziemlich alles, womit ich mich halbwegs auskenne, in die Tabelle mit Themenvorschlägen eingetragen. Einer meiner Vorschläge war das deutsche Wahlsystem. Ein anderer hieß „Feminismus”.

Damit beschäftigt meine Inbox und meinen Kalender in den Griff zu kriegen, habe ich nicht weiter über die Talks nachgedacht. Bis mich dann beim Sommerfest zwei Kolleginnen, die ich bis dahin nur aus Videokonferenzen kannte, bestürmt haben, dass ich unbedingt diesen Talk zu Feminismus machen müsse.

Die Tech-Branche ist männlich dominiert

In unserem Unternehmen gab es bisher keinerlei Vorfälle von sexistischer Belästigung oder Diskriminierung. Ganz im Gegenteil, so wurde ich z.B. eingestellt, als ich hochschwanger war und alle haben sich für und über mich gefreut. (Was absolut normal sein sollte aber leider immer noch eine totale Ausnahme ist, in Start-Ups und so ziemlich allen anderen Branchen.)

Nichtsdestotrotz, wir sind ein junges Unternehmen in einer männlich dominierten Gesellschaft, in einer besonders männlich dominierten Branche. Wir entwickeln und betreiben die meist-genutzte Browser-Extension, Adblock Plus. Alle unsere Geschäftsführer, unser Investor, fast alle unserer Entwickler sind Männer. Viele von denen sind Gamer. Einer unserer Ex-Mitarbeiter, der zuvor bei einem Gaming-Unternehmen gearbeitet hatte, hat einmal über eine Frau gesagt, dass sie „echt cool ist, obwohl sie eine Feministin ist.”

Gamer Gate habe ich weitestgehend nur als Beobachterin mitverfolgt, aber das hat schon gereicht um bei mir ernste Zweifel und viel Skepsis gegenüber allen Männern, die sich als Gamer identifizieren, zu hinterlassen.

Ich habe mich also auf einiges gefasst gemacht, als ich darüber nachgedacht habe, diesen Talk zu halten. 

Auch Männer beschäftigen sich mit dem Thema

Zum Glück waren nicht nur Frauen daran interessiert, über Feminismus zu reden. Einer unserer langjährigsten und erfahrensten Mitarbeiter (zur Erinnerung: Wir sind ein Startup, das heißt er ist wahrscheinlich gerade mal 26, wenn überhaupt!), aber auch einer der beliebtesten Kollegen kam nach dem Sommerfest auf mich zu. Er meinte, dass er wahnsinnig gerne den Talk hören würde, um mehr über Feminismus zu erfahren. Eine Bekannte hatte ihm kürzlich an den Kopf geworfen, dass „Ladies first!”, sexistisch sei. Anstatt ihr das übel zu nehmen und Feministinnen allesamt als „nervige Frauen” abzustempeln, was leider viel zu oft passiert, wollte er von mir wissen, ob ich eine Erklärung für diesen Kommentar hätte und wie ich das denn sähe. Es hat schon seine Gründe, dass dieser Typ so beliebt ist!

Ich habe mich also bereit erklärt, den Talk zu machen. Allerdings unter einer Bedingung: Er musste dafür sorgen, dass auch andere männliche Kollegen kommen. Halb im Spaß habe ich gesagt, dass ich eine Quote einführe, nur wenn mindestens 50 Prozent Männer kommen findet der Talk statt.

Er hat stattgefunden.

Zehn Folien für den Feminismus 

Und tatsächlich sind ziemlich viele unserer männlichen Kollegen gekommen. Sogar die, die davor offen skeptisch waren. In der Tat war die halbe Firma da, was nicht nur in Anbetracht des Themas echt bemerkenswert ist. Unser Team arbeitet nämlich über die ganze Welt verstreut, von Jekaterinburg bis San Francisco. Und der Talk fand nach Feierabend statt. (Zumindest in der Zeitzone unseres Haupt-Büros.)

Als ich die Präsentation für die Session erstellt habe, habe ich krampfhaft versucht, sie so hilfreich und verständlich für ein, wie ich annahm weitgehend ahnungsloses Publikum zu machen, ohne wichtige Themen zu sehr zu vereinfachen oder weichzuspülen.

Für den Talk hatte ich dann zehn Folien zu Feminismus, anhand derer ich einen Bogen gespannt habe, von der historischen Entwicklung über die größten Errungenschaften bis zu den aktuellen Herausforderungen. Ich habe Abtreibung erwähnt, equal pay, unbewusste Vorurteile und geschlechtergerechte Sprache. Ich habe es sogar geschafft, mein liebstes feministisch-wissenschaftliches Schlagwort einzubauen: „Homosoziale Reproduktion”

Eine respektvolle Diskussion für alle 

Ich musste feststellen, dass ich an manchen Stellen fast ein bisschen zu verteidigend und entschuldigend wurde. Immerhin stand ich vor meinen Kolleg*innen, so wichtig mir Feminismus ist, ich hatte auch ein bisschen Sorge funktionierende Arbeitsbeziehungen zu belasten.

Ich habe trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb ausführlich erklärt, warum Feminismus wichtig ist und warum jede und jeder feministische Anliegen unterstützen sollte. Nach einer Viertelstunde war ich mit meiner Präsentation fertig und die Diskussion eröffnet. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Am Ende war ich mehr als überrascht.

Fragen, Fragen, Fragen 

Wir haben eine wirklich unfassbar rücksichtsvolle Diskussion geführt, wahrscheinlich noch höflicher und respektvoller gegenüber denjenigen, die Fragen gestellt haben, als in unseren alltäglichen Arbeits-Meetings. Es wurden ganz viele und ganz unterschiedliche Fragen gestellt:

„Sollte ein Mann nicht auch mitreden können, wenn eine Frau sein Kind abtreiben will?” (1)

„Ist ,Ladies first’ wirklich sexistisch?” (2)

„Sind Frauenquoten nicht Diskriminierung von Männern?” (3)

„Warum ist das generische Maskulinum ein Problem, wenn doch alle gemeint sind?” (4)

„Ist es nicht wichtiger, z.B. in Afghanistan für die Rechte von Mädchen und Frauen zu kämpfen, anstatt die Freiheiten und Privilegien von Frauen in der ,westlichen Welt’ zu vergrößern?” (5)

Antworten 

Nein. Je nach Situation könnte es gut sein, diese Entscheidung mit dem Mann zu besprechen. Aber niemand außer eine Frau selbst sollte jemals über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können.

Historisch betrachtet haben dieses und ähnliche Rituale tatsächlich einen ziemlich sexistischen Hintergrund. Sie stammen aus Zeiten in denen Männer Frauen erlaubt / ermöglicht haben etwas zu tun, durch eine Tür zu gehen, sich zu setzen … Außerdem wollen sich viele Frauen nicht unbedingt „ladylike” benehmen, sondern einfach normal. Heutzutage ist es in der Regel einfach nur höflich gemeint. Mein Vorschlag wäre, einfach zu allen Menschen höflich zu sein! Wenn möglich, fragt nach, warum jemensch etwas sexistisch findet. Wahrscheinlich haben sie einen guten Grund dafür.

Erstmal gibt es überhaupt keine gesetzliche Frauenquote. Es gibt Geschlechterquoten, die für alle gelten. Solche Regelungen sorgen dafür, dass bei zu besetzenden Machtpositionen nicht nur Männer als Option gesehen werden. Das mag die existierenden Vorteile, die Männern genießen, ein bisschen schmälern, aber das ist keine Diskriminierung.

In der deutschen Sprache gibt es kein Neutrum. Der männliche Plural wurde lange Zeit als „für alle” gesehen. Aber das ist er nicht. Studien zeigen, dass diese männliche Sprache einen starken Einfluss auf unser Denken und Leben hat. Wenn die Rede von Anwälten, Ärzten, Entwicklern ist, denken eben doch die meisten Menschen (nur) an Männer. Frauen in diesen Berufen werden sprachlich unsichtbar gemacht. Was es z.B. für Mädchen schwieriger macht, sich selbst in so einem Beruf zu sehen. Darüber hinaus ist bewiesen, dass Schreibweisen, wie „Entwickler*innen” keineswegs komplizierter zu lesen sind. Sprache verändert sich ständig und das ist auch gut so. Wie sonst wäre „googeln” ein Wort geworden?

Wenn mensch die Welt ein bisschen besser machen will, ist es nicht sonderlich hilfreich, das Projekt zu finden, das am aller, allerwichtigsten ist. Natürlich haben Frauen in Afghanistan viel krassere Probleme als Frauen in Deutschland. Wer ein bisschen Geld übrig hat sollte das deshalb an Projekte spenden, die Mädchen und Frauen in solchen Regionen helfen. Aber das heißt nicht, dass der Einsatz für Chancengleichheit im eigenen Land nicht wichtig ist. Ganz besonders dann, wenn es ja relativ einfach ist, bei sich selbst, den eigenen Stereotypen und der eigenen Sprache anzufangen.

Vorurteile? Habe ich wohl auch …

Zu meiner größten Begeisterung musste ich lange nicht alle Fragen selbst beantworten. Immer mehr haben angefangen, gute Antworten und Erklärungen zu geben. Kolleginnen, aber vor allem Kollegen. Mit einigen wenigen hatte ich schon früher über großartige Politikerinnen gesprochen und wusste daher, wie sie zu Feminismus stehen. Bei manchen bin ich mehr oder weniger davon ausgegangen, basierend was sie in sozialen Netzwerken gepostet haben, was sie in ihrer Freizeit, wie sie eben „so sind”. Bei anderen bin ich, mit dem gleichen oberflächlichen Wissen davon ausgegangen, dass von ihnen wahrscheinlich ein paar nicht sonderlich feministische Kommentare kommen würden. Einige davon sind Gamer, ein paar würden perfekt in (eine Folge) Silicon Valley passen.

Was dann wirklich passiert ist, war dass kein einziger von diesen Kollegen auch nur einen einzigen dummen Spruch oder einen auch nur ansatzweise sexistischen Kommentar gemacht hat. Im Gegenteil, es wurde deutlich, dass einige von denen sich schon am intensivsten mit Feminismus beschäftigt hatten, besonders mit dem Thema Frauen in Tech.

Die Diskussion über Feminismus wurde auf IRC und im Intranet weitergeführt. Auf einmal bekam ich eine Notification, dass einer unserer Gründer dazu gepostet hatte. Ein Typ, dem Privatsphäre so wichtig ist, dass er mehr ein Geist in der Matrix als eine lebendige Person zu sein scheint. Der Super-Nerd unserer Firma. Ich war total überrascht und habe sofort den Thread aufgemacht. Und war schwer beeindruckt. Da stand ein seitenlanger, mitreißender Post dazu warum jede*n von uns daran arbeiten sollte, Stereotype zu ändern. Mit dem was wir tun und mit dem was (und wie) wir sprechen.

Gemeinsam gegen Stereotypen 

Nachdem ich ja gerade noch über Vorurteile gesprochen hatte, fühlte ich mich auf einmal ertappt. Und ein bisschen beschämt. Nach Jahren als bekennende Feministin haben schlechte Erfahrungen offensichtlich dazu geführt, dass ich Menschen mit bestimmten Eigenschaften verdächtige, mehr oder weniger frauenfeindlich zu sein. Diese Erfahrungen waren teilweise der pure Horror, öffentliche Beschimpfungen, Vergewaltigungsdrohungen, Veröffentlichung von privaten Informationen … Dahinter steckten tatsächlich immer Männer, sehr weniger Männer, verglichen mit der Gesamtzahl von Männern (oder Gamern, oder Programmierern). Eine Gruppe von Menschen auf Basis des Verhaltens einiger weniger zu beurteilen ist exakt die Definition von Diskriminierung. Während ich mir selber Vorhaltungen gemacht habe, war ich gleichzeitig ziemlich happy über die Situation.

Ich war froh darüber, auf meine eigenen Stereotype und unbewussten Vorurteile hingewiesen zu werden. Und ich war absolut glücklich darüber in so einem großartigen Team zu arbeiten. Sexismus und Diskriminierung sind in der Tech- und Start-Up-Szene fast allgegenwärtig und das ist ein echtes Problem. Im Silicon Valley, in Berlin, überall.

Wie phantastisch ist es, nicht nur zu glauben sondern selbst zu erleben, dass es auch ganz anders geht! Ein großes, feministisches Dankeschön an das ganze Team! Danke, dass ihr der lebende Beweis seid, dass Tech-Unternehmen Diversity nicht nur erklären, sondern auch leben können. Danke, dass ihr mit ein paar meiner Klischees aufgeräumt habt. Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt über Feminismus zu diskutieren. Danke, dass ihr so toll seid! 

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