Foto: See-ming Lee | Flickr | CC by 2.0

Was ich aus Online-Spielen gelernt habe – ein Erfahrungsbericht

Lange habe ich mehr oder weniger aktiv ein Echtzeit-Browserspiel gespielt. Ohne mich jemals als „Gamer“ bezeichnen zu wollen, habe ich die öffentlich dikskutierten Chancen und Gefahren dieser virtuellen Welten selbst erlebt. Was hat es mir als Individuum gebracht, jetzt wo es vorbei ist? Ein persönlicher Rückblick von Nadine Behncke.

 

Von der Gelegenheitsspielerin zum “Gamer”

Vor einiger Zeit begann ich ein echtzeitbasiertes Strategie Browser Game zu
spielen. Als Gelegenheitsspieler beschränkte sich meine
Spielerfahrung bislang auf die Spielreihe Civilization. Ein Computerspiel, in dem ich Imperien und Wirtschaften aufbauen konnte. Nun erfuhr ich, dass
man solche Spieler auch online am Browser spielen kann…

Die erste Zeit war ich auch hier eine Gelegenheitsspielerin. Gut, ich sollte
eine Stadt ausbauen und mein Imperium erweitern. Kein Unterschied zu Spielen ohne Internetverbindung… doch irgendwann hörte die Onlinewelt des Spiels auf, mich zu ignorieren. Soll heißen: Wenn man nicht
online ist, haben die Aktivitäten der Mitspieler trotzdem Auswirkungen
auf den eigenen Spielstand. Ein großes Faszinations- und damit auch
Suchtpotenzial.

Die Spielinhalte selber haben mich nicht gefesselt – abgesehen von einer erheblichen Prise Ehrgeiz, die immer wieder
durchkam, wenn etwas nicht funktionierte. Begeistert haben mich an
diesem Spiel dagegen die ausgeprägten Möglichkeiten zur sozialen
Interaktion und die über das Spiel hinausgehenden Kommunikationsmedien.
Die virtuellen Beziehungen, die hier entstanden, sorgten dafür, dass ich
sehr aktiv spielte und vor allem immer weiter spielte.

Neben den in
der Öffentlichkeit diskutierten negativen Auswirkungen von
Online-Spielen (Stichwort: „Spielsucht“ sowie Vermischung von virtueller Welt
und Realität), werden in der Wissenschaft auch eine Reihe positiver
Auswirkungen bzw. Lernerfahrungen genannt, wobei hier die empirische
Evidenz noch sehr dünn ist. Einige dieser (positiven) Erfahrungen konnte
ich infolge von Selbstreflektion bei mir und meiner (Spiel-)Umgebung
selber beobachten.

Ich wurde Opfer des „Flow-Effektes“

Dank dem Artikel von Sanela Vranjes
ist mir klar geworden, dass „meine“ Spielgründe ein weitverbreitetes
Phänomen sind. Ich war unbemerkt „Opfer“ des „Flow-Effektes“ geworden.

„Es
handelt sich für den Spieler um mehr als nur ein Spiel. Loyalität,
Kontakte, Beziehungen, Fertigkeiten und Fähigkeiten werden vom Spieler
auf einer phantasievollen, virtuellen Ebene ausgebaut und
weiterentwickelt.“

Der „Flow-Effekt“ beinhaltet einen
häufig genannten Grund für die Faszination von Online-Spielen: Der
Wunsch nach Kontrolle und damit auch nach Erfolgserlebnissen. Dieser
Wunsch kann einerseits daher rühren, dass man online die Bestätigung sucht, die im
realen Leben ausbleibt oder weil man das Ganze als Experimentierfeld für die eigenen
Fähigkeiten sieht.

Hat der Spieler ein Erfolgserlebnis in diesem
Spiel, ob durch Interaktion, oder spieltechnisch gesehen, will er diesen
Zustand und dieses Gefühl so lange wie möglich anhalten lassen. Hierzu
muss er sich aber verstärkt in das Spiel einbringen. Indem er das Spiel
kontrolliert, kontrolliert er sich selber.

Der „Flow-Effekt“
beschreibt die mit positiven Spielerlebnissen verbundene Kontrolle für
einen Spieler, die das Spiel so anziehend macht. Der zweite Effekt, der
die bindende Wirkung aus negativen Spielerlebnissen beschreibt, ist die
„Frustrations-Spirale“. Hier führen Niederlagen dazu, dass ein Spieler
sich vermehrt einbringt. Stichwort: Ehrgeiz! Wenn das Ziel irgendwann
erreicht ist, befindet sich der Spieler wieder im Flow.

Beide
Spiralen befinden sich in gegenseitger Abhängigkeit und können erklären,
warum Spieler so lange hängen geblieben sind: Es
werden grundlegende Bedürfnisse des Menschen angesprochen, und in der
virtuellen Welt „relativ“ leicht befriedigt: Ehrgeiz und Kontrolle!

Community: Kommunikation als Verbindung von Spiel und Realität

Die Organisation von Spielern in
Spielegemeinschaften fördert die Entwicklung von sozialem Verhalten. Man
ist Mitglied einer Gruppe und unterliegt damit den sozialen Normen und
impliziten Regeln.

„Die
freundschaftlichen Beziehungen binden den Spieler umso mehr an die
virtuelle Welt, in der er seinen Freunden trotz einer möglicherweise
großen geografischen Entfernung täglich begegnen kann. Die virtuelle
Welt tritt in diesem Aspekt über in die reale Welt des Spielers, was
zuvor bei keinem anderen Computerspiel ohne Onlinemodus denkbar gewesen
wäre.“

(aus: Spielen im Netz. Online-Spiele als Kommunikation)

Je nach Persönlichkeitgestaltung und dem was man
(unbewußt) ggf. in dem Spiel sucht, kann man sich hierdurch ausprobieren
und weiterentwickeln: Sei es, indem man sich in der Führung und der
Ausgestaltung dieser Gruppen einbringt oder ausprobiert, wie welches
(soziale) Verhalten wirkt und welche Konsequenzen es hat.
Meine
eigene Erfahrung bestätigt, dass man sich testen und seine Erfahrungen
erweitern kann, und das die soziale Interaktion auch zu persönlichen
Beziehungen führt, die über das Spiel hinausgeht.

Beruflich verbringe ich sehr viel Zeit am Computer und
bewege mich in einem bestimmten Milieu. Eine meiner besten Erfahrungen
in der Online-Spiel-Welt war, dass ich Menschen „kennenlernen“ konnte,
denen ich sonst wahrscheinlich so nie begegnet wäre. Neben der
spiel-internen Kommunikation haben wir auch externe
Kommunikationsplattformen verwendet. In der Regel sind schriftliche
Chats via skype o.ä. das Medium gewesen. Obgleich mit den meisten
Mitspielern die Komunikation oberflächlich und spielrelevant blieb, hat
sich der Austausch mit einigen Spielen intensiviert und auch das reale
Leben gestreift – OK, ab und an war auch das reale Leben das Hauptthema.

Die Anonymität macht frei

Aufgrund
der Anonymität (nur Text und leichte „Exit-Option”) fällt es den
meisten Leuten leicht, virtuell mehr von sich Preis zu geben, als sie es
in der Realität tun würden. Die Hemmschwelle ist deutlich niedriger.

Ich
habe so durch dieses Spiel von vielfältigen Biografien und ihren
eigenen Problemen erfahren, (italienische) Studierende, Schichtarbeiter, Krankenschwestern, Selbständige, Lehrer, Ärzte,
Wissenschaftler, Menschen mit Behinderung, alleinerziehende Mütter und
Väter… und noch viele mehr.

Diese Gespräche haben zu einer
Selbstreflektion geführt. Ich habe die Gemeinsamkeiten und Unterschiede meines realen
und virtuellen Verhaltens beobachtet und die damit verbundenen
Einschätzungen meiner Person durch Dritte. Da ich nicht behaupten kann,
mich virtuell bewußt anders präsentiert zu haben als in der Realität
Unterschiede in der Außenwahrnehmung aber dennoch vorhanden sind- ist es
mein Ziel, die Facetten dieser Persönlichkeit überall sichtbar zu
machen. Zudem habe ich durch diese Bekanntschaften alte Hobbys
wiederentdeckt und neue Interessen gewonnen, denen ich im echten Leben
nachgehe.

Die Online-Kommunikation birgt aber auch Gefahren

Das virtuelle Leben hatte damit in der Tat einen
(positiven) Einfluss auf das wirkliche Leben. Die verstärkte
Online-Kommunikation und die Bildung von Beziehungen hat aber nicht nur
positive Einflüsse gehabt. Denn durch die bereits angesprochene
Anonymität und leichte Exit-Option birgt sie neben den positiven
Eigenschaften auch Gefahren: Es ist eine körperlose Kommunikation und man weiß vom Gegenüber nur, was der Text hergibt.

Das
ist einer der größten Nachteile dieser Kommunikationsform, denn es
öffnet die Tür zu ungewollten Missverständnissen, Fehleinschätzungen und
damit auch großen Enttäuschungen. Es liegt in der Natur des Menschen,
dass man versucht sich über den Text ein Bild von dem Absender zu machen
und bildet damit Erwartungen an seine Persönlichkeit und sein Tun und
Handeln.

Durch die in der Anonymität herabgesetzte Hemmschwelle
erzeugen solche Beziehungen oftmals ein Bild einer Person und einer Nähe
zueinander, die in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert. Sollte sich
die virtuelle Beziehung außerdem einmal auf die Realität ausweiten, kann
dies zu Verwunderung führen, da die (konstruierte) virtuelle Identität
nur wenig mit dem realen Menschen gemeinsam hat.

Mein persönliches Fazit

Mit
einigen wenigen Spielbekanntschaften habe ich mich tatsächlich einmal
im realen Leben getroffen. Und ich kann die Erkenntnisse zur
Online-Kommunikation nur bestätigen. Die Diskrepanz zwischen Online- und echter Identität war vorhanden und man hatte jedes mal einen kleinen Kulturschock.

Zudem
hat das Treffen im Real Life nicht zu einer dauerhaften Freundschaft
geführt. Nachdem die Gemeinsamkeit -das Online-Spiel- weg war, traten
die geographische Entfernung und die unterschiedlichen
Lebensgestaltungen in den Vordergrund. „Aus den Augen, aus den Sinn“. In
dieser Beziehung unterscheiden sich Beziehungen in Onlinespielen und im
echten Leben nicht voneinander.

Ob Online- oder analoge
Kommunikation: Die Emotionen, positiv wie negativ, sind in beiden
Bereichen vorhanden und stark ausgeprägt. Wenn das konstruierte Bild von
virtuellen Freundschaften durch deren Taten zusammenfällt, ist die
damit verbundene negative Erfahrung ählich stark ausgeprägt wie im
echten Leben. Auch dies musste ich feststellen.

Was bleibt damit aus diesen Erfahrungen für mich und das echte Leben?

Zumindest
eine bessere Kenntnis meiner Person und Fähigkeiten. Ein
differenzierteres Bild auf andere Menschen und ihre Lebensentwürfe.
Und viele (zeitlich begrenzte) Bekanntschaften, die mein Leben bereichert haben.

Dieses Zitat
fasst meine Erfahrung mit der Online-Kommunikation und daraus
entstandenen sozialen Interaktion in einem Online-Spiel sehr gut
zusammen:

Gelungene Online-Kommunikation ist wie ein
Ball-Spiel (z. B. Tennis) zwischen geübten Spielern. So wie es
Bewegungsfreude gibt, gibt es auch Kommunikationsfreude. Statt Bällen
fliegen die Gedanken. Am Schluss schüttelt man sich virtuell die Hand,
bedankt sich und schaut zurück auf ein schönes gemeinsames Erlebnis.

Anmerkung: Dieser Artikel wurde in leicht abgewandelter Form auf der Internetseite thinkaboutgeny.com veröffentlicht. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

Artikelbild: See-ming Lee | Flickr | CC by 2.0

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