Unsere Community-Autorin Meike hatte große Angst vor dem Schmerz, den die Trauer in ihr auslösen würde, wenn zum ersten Mal ein geliebter Mensch stirbt. Hier schreibt sie, was ihr geholfen hat, als es so weit war.
Wie kann man über den Tod schreiben?
Mein Opa wurde 89 Jahre alt. Sein größter Wunsch war es, mit uns seinen 90. Geburtstag feiern zu dürfen. Gemeinsam kämpften wir – kämpfte er – für diesen letzten Wunsch. Doch die Krankheit war stärker als der Geist, der Körper schwächer als sein unbedingter Wille, diesen Tag noch zu erleben.
Mein Opa starb sechs Monate vor seinem 90. Geburtstag.
Es ist kaum möglich, über den Tod zu schreiben, aber ich möchte es trotzdem probieren. Es war der erste Todesfall in meinem nahen Umfeld– wir haben viel Glück mit einer starken, zähen Familie, ich hatte Glück, bisher keinen meiner Freunde durch Unfall oder Krankheit verloren zu haben.
Ich fragte mich daher manchmal, wie es sich wohl anfühlen würde, das Trauern. Die unbekannte Traurigkeit. Der unbekannte emotionale Schmerz.
Ich gehöre nicht zu den emotional stärksten Menschen und kann gut eine Mauer um mich herum aufbauen. Ich hatte unglaubliche Angst vor dem Schmerz-Gefühl.
Ich hatte aber auch Angst vor dem Nicht-Gefühl: Was, wenn ich nicht in der Lage wäre, zu trauern? Was, wenn keine Träne aus mir herauskommen würde? Was, wenn ich einfach nichts fühlen würde?
Dazu kam in den letzten Monaten eine innere Zerrissenheit in meinen Gedanken: Es ging um das Festhalten und Loslassen: War es falsch zu denken, wir müssten ihn auch gehen sehen wollen? Gehen lassen können? Ihn von seinen Leiden erlöst zu sehen? War es falsch, meiner Mutter, die meinen Opa nun jahrelang gepflegt und medizinisch betreut hatte, zu wünschen, dass auch sie nun endlich Abschied nehmen könnte? Ich schämte mich für diese Gedanken.
Letztlich ging er, ohne seinen letzten Kampf gewonnen zu haben, aber trotzdem in bester Opa-Manier. Genau wie während all der Jahre des gemeinsamen Familienlebens hinweg, schaffte er es auch jetzt, uns vereint um sich zu scharen. Wir waren alle da, um Abschied zu nehmen.
Es ist unglaublich, wie sehr wir alle den starken Halt, das Netz unserer Familie, in diesem Moment gespürt haben. Was für ein großes Glück, nicht alleine, sondern im Kreis von sechs Enkelkindern, zwei Kindern und den Schwiegerkindern Abschied zu nehmen. So war es bei meinem Opa.
Ich habe in den folgenden Tagen mehr Tränen vergossen als in den vergangenen zehn Jahren. Ich war noch nie von einer solchen Tränenflut und Trauer beherrscht. Ich konnte trauern und alles rauslassen. Wir blieben den ganzen Tag und das ganz Wochenende zusammen. Wir aßen abends in der großen Zwölfer-Runde, schauten Fotos an, erzählten uns Erinnerungen. Wir konnten uns selbst und vor allem meine Mutter halten; sie auffangen. Für sie war es am Schlimmsten.
Was wollte ich mit diesen Zeilen sagen? Ich weiß es schon nicht mehr. Vielleicht ein paar Gedanken über das Trauern loswerden – sie in Worte fassen. Auch das hilft. Und hiermit noch einmal zum Ausdruck zu bringen, wie wichtig Familie ist. Leider merkt man es oft nur am deutlichsten in solch schweren Momenten.
Mehr bei EDITION F
„Wir setzen uns nicht mit dem Tod auseinander. Und dann fällt uns die Trauer an, wie ein wildes Tier“. Weiterlesen
Meine Arbeit als Sterbeamme – von der Kunst, den Tod als einen Freund zu betrachten. Weiterlesen
Wir können alles, nur nicht trauen. Weiterlesen