Foto: Sara Shakeel

Vocatio spiritualis

Die Forderung unser Schicksal in die Hand zu nehmen

 

Im Mittelalter wurde der Beruf unter zwei Teilaspekten betrachtet, dem „inneren“ Beruf (vocatio spiritualis oder vocatio interna) und dem „äusseren“ Beruf (vocatio externa). Dabei betraf die innere Berufung, die Berufung durch Gott, während die äussere Berufung dem Weltlichen zugewandt war.

Im Grunde genommen ist es heute nicht anders. Die Berufung durch Gott spielt zwar, so definiert, in den meisten Fällen in unserer Gesellschaft eine untergeordnete Rolle, doch assoziieren wir automatisch das Wort Berufung (hier: vocatio spiritualis) mit etwas „Höherem“, etwas „Innerem“, etwas „Ganzheitlicherem“ und das im Gegensatz zum Beruf (hier: vocatio externa), der bis vor kurzem noch eher als Tätigkeit gesehen wurde, um den Lebensunterhalt sicherzustellen.

Im besten Falle gibt es eine Übereinstimmung zwischen dem gewählten Beruf und den persönlichen Interessen, Fähigkeiten, Lebensvorstellungen und Zielen, auch wenn der Beruf nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, unbedingt unsere Lebensaufgabe darstellt. Nicht immer deckt sich der erlernte Beruf mit dem ausgeübten; der erlernte Beruf wird aufgegeben um einem inneren Ruf zu folgen.

Wo wir uns früher als Mensch noch zumeist über den Beruf identifiziert haben („Ich bin Anwältin“), wird die Frage „Wer bin ich?“ inzwischen immer lauter und die Suche nach dem „Ich“, geht nicht selten einher mit einem Wechsel der Tätigkeit.
Ein Blick auf die Profile in den sozialen Medien macht deutlich, dass eine Berufsangabe allein, nicht mehr ausreicht um uns selbst zu definieren: Bloggerin, Mutter, Foodie, Fashion-Addict, World-Traveler, Veganerin, Cat-Lover, Life-Coach, Yogi. Die Begriffe werden aneinandergereiht und beschreiben sowohl Fertigkeiten und Fähigkeiten als auch Neigungen, Interessen, Werte und letztendlich dadurch auch Verdienstmöglichkeiten.

Doch diese neue Welt mit ihren neuen Möglichkeiten fordert uns auch an so mancher Stelle:
Es bedarf immer mehr Bewusstmachung um zu erkennen wer ich bin, was ich beitragen möchte, was ich beitragen kann.
Es bedarf immer mehr Ehrlichkeit um zu erkennen wer ich nicht bin, was ich nicht möchte, was ich nicht kann.
Es bedarf immer mehr Aufrichtigkeit, um mich selbst so zu akzeptieren wie ich bin.
Es bedarf immer mehr Konsequenz, um meine Erkenntnisse in Handlungen umzusetzen.
Es bedarf immer mehr Authentizität in dieser offeneren aber doch auch komplexeren Welt…

Nietzsche sagte:
„Ein Beruf macht gedankenlos; darin liegt sein größter Segen. Denn er ist eine Schutzwehr, hinter welche man sich, wenn Bedenken und Sorgen allgemeiner Art einen anfallen, erlaubtermaßen zurückziehen kann.“

Diese Möglichkeit ist uns abhanden gekommen. Diese Trennung von „Bedenken und Sorgen allgemeiner Art“ und einem Beruf als „Schutzwehr“ davor, bleibt uns versagt. Beruf, Freunde, Familie, Hobbys – es gibt keine klaren Trennungen mehr, nichts mehr hinter dem wir uns vor drängenden Fragen und drängenden Entscheidungen zurückziehen können. Wir sind auf allen Ebenen und zu allen Zeiten gefordert. Gefordert unser Schicksal in die Hand zu nehmen, nicht mehr Opfer irgendwelche Umstände zu sein.

Ist es jeden Tag einfach seine Ängste und Zweifel zu enttarnen, den Perfektionismus zu besiegen, Kritik gelassen entgegen zu sehen, Chaos und Unordnung zu akzeptieren, mit Unsicherheit Frieden zu schließen, mit temporären Niederschlägen zurecht zu kommen, zu verstehen, dass man immer noch etwas zu lernen hat? Nein. Das ist es nicht. Und doch ist diese Reise so chancenreich, so genussreich, so wertvoll und so freudvoll – und vielleicht der einzige Weg nach Hause, zu uns selbst.

„Lernen und Genießen sind das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Lernen ohne Genießen verhärmt, Genießen ohne Lernen verblödet.“ – Richard David Precht

Nina Schmid, Juni 2017

Nach dem Studium der Architektur in Paris und Graz, habe ich, nach einigen Jahren in einem Architekturbüro in Bozen, in  einem renommierten Architekturbüro in Hamburg internationale Projekte geleitet. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter, haben mein damaliger Mann und ich ein eigenes Architekturbüro gegründet und mit Erfolg geführt. 
Ein Schicksalsschlag hat mich gezwungen innezuhalten und alles, auch den Sinn des Lebens, in Frage zu stellen. Darüber habe ich anschließend ein Buch geschrieben. 
Immer noch in Hamburg lebend, bin ich inzwischen alleinerziehend (2 Kinder, 1 Hund) und leite gemeinsam mit meiner Mutter, die wiederum in München wohnt, ein Lifestyle-Unternehmen mit unterschiedlichen Brands (Street Philosophy, Pretty Wise, The Magic Dog). 
Zusätzlich biete ich mit meiner Freundin Andrea Tap Raum- und Landschaftsheilung an (Transformation und Heilung von Störungen der Energiefelder) und schließe gerade meine Ausbildung als spirituelle Lehrerin und Heilerin ab.

Jeder einzelne Tag verläuft anders als geplant  und doch gehe ich jede Nacht unendlich dankbar ins Bett.

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