Auszeit, Sabbatical, Weltreise – der großte Trend und warum es nicht immer so schön ist, sondern auch eine harte Prüfung sein kann.
Sabbatical als Trend
Seit einigen Jahren wird es immer populärer, seinen Job aufzugeben, um zu reisen oder den Sinn des eigenen Lebens zu finden – jedenfalls ist die Anzahl der Artikel, die man in Blogs und Magazinen darüber lesen kann, stark gestiegen. Auch ich habe lange darüber philosophiert und mich im Frühling 2015 aus dem Staub gemacht. Ich nahm mir vor, ein Jahr lang aus dem Arbeitsalltag zu entfliehen und auf die Suche nach dem großen Ganzen zu gehen. Ich würde im Nachhinein sagen, dass ich stark von dem medialen Hype rund um dieses Thema und meinem Umfeld beeinflusst wurde, aber auch von dem Gedanken, die finanzielle Sicherheit mal aufzugeben und etwas völlig Neues zu erleben. Ich habe mich nicht wirklich darauf vorbereitet und mir keine Gedanken zu meiner Rückkehr in den Arbeitsalltag gemacht.
Die erste große Frage, die sich viele stellen, ist: Wie lebe ich ein Jahr ohne Einkommen? Durch meinen guten Verdienst bin ich mit einer beträchtlichen Summe in mein Jahr gestartet. Sehr lange zuvor war der Gedanke an eine Auszeit schon präsent gewesen und ich habe innerlich auf den passenden Moment gewartet. Alle Faktoren zum Zeitpunkt meines Ausstieges waren so unfassbar günstig, dass ich darin die Bestätigung sah, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dieses Gefühl sollte sich allerdings noch ändern.
Das erste halbe Jahr beschäftigte ich mich ausschließlich mit Dingen, die ich unbedingt machen wollte. Das war das Erkunden der Stadt, das Einrichten meiner Wohnung inklusive der Restaurierung alter Möbel. Ich ließ es mir gutgehen, es hätte ewig so weitergehen können. Am Anfang gab es so viel zu erleben, dass es mir nichts ausmachte, dass alle meine Freunde arbeiteten und tagsüber so gut wie niemand Zeit hatte.
Alleine reisen? Nichts für mich.
Natürlich kam auch das Reisen ins Spiel. Ich war sehr viel unterwegs mit Freunden, denn ich habe für mich herausgefunden, dass ich einfach nicht der Allein-Reise-Typ bin, auch wenn alle immer predigen, wie bereichernd es sei, auf sich gestellt zu sein. Eine Weile dachte ich, es allen beweisen zu müssen. Ich wollte unbedingt auch allein unterwegs sein, innerlich fühlte ich mich jedoch nicht gut damit. So lernte ich meine erste Lektion:
Allein reisen ist nicht mein Ding. Ich möchte meine Erlebnisse mit meinen Freunden teilen.
Vom Reisen erträumte ich mir viele Erkenntnisse und Erlebnisse, denn ich suchte innerlich etwas, das sich nicht in Worte fassen ließ. Ich fühlte mich seit Jahren rastlos und konnte dieses Gefühl nie loswerden. Wohin gehst du also, wenn du nicht weißt, was du suchst? Auf Reisen! Ich hoffte inständig auf die nötigen Antworten. In meinem Kopf war das Bild von einer Frau, die zu sich selbst findet, ganz nach dem Motto „Eat Pray Love“. In meiner Vorstellung sah das wie folgt aus: Am Strand sitzen, schreiben, entspannen und erleuchtet werden. Halleluja!
Reisen reicht zur Selbstfindung nicht. (Bild: Jacob Ufkes | unsplash)
Wenn das Sabbatical nicht reicht
Das funktionierte natürlich nicht! Was für eine Überraschung! Ich trieb ohne Ziel vor mich hin, bis ich in Indonesien landete und dort tiefer in die Spiritualität eintauchte. Ich traf einen Schamanen und er las mir aus der Hand. Er erkannte meine Rastlosigkeit und riet mir, mich der Meditation zuzuwenden, denn das wäre ein Weg, meine Balance zu finden. Zurück in Berlin besuchte ich einen Meditationskurs und tatsächlich gab mir das mehr Ruhe. Jedoch blieb dieses Gefühl der Rastlosigkeit bestehen, auf eine andere Art und Weise. Ich trieb weiter umher in einem Meer voller Möglichkeiten und konnte mich nirgends zuordnen.
Meine Auszeit näherte sich darüber hinaus dem Ende und ich wusste nicht, was ich beruflich machen wollte, was meine Bestimmung war und wie ich überhaupt wieder Struktur in mein Leben bekommen sollte. Also entschied ich mich, meine Tage wieder zu planen, jeden Tag um neun Uhr aufzustehen, zu schreiben, zu spazieren, Stellenanzeigen zu lesen und zu meditieren.
Was genau habe ich davon gemacht? Ich bin ab und zu früh aufgestanden, um mich mittags einem kleinen Mittagsschlaf zu widmen. Ich habe keine einzige neue Zeile in dem Jahr verfasst. Ich war spazieren und in Ausstellungen, aber allein machte es mir irgendwann keinen Spaß mehr. Ich habe Stellenanzeigen gelesen und empfand dabei innerlich so eine Abwehr, dass ich das Thema einfach wegschob. Das Reisen erfüllte mich nicht mehr. Der hundertste Strand, Dschungel und Bootstrip, all das gab mir nichts mehr. Auf meiner letzten Reise nach Thailand wünschte ich mir nichts sehnlicher, als wieder nach Berlin zurück zu kommen, die kurzen Hosen endlich auszuziehen und keine Strände und Palmen mehr sehen zu müssen. Bis dato konnte ich mir im Leben nicht vorstellen, dass ich jemals an diesen Punkt kommen würde. Ich lernte die zweite wichtige Lektion:
Reise nicht, wenn Reisen eigentlich nur ein Weglaufen ist!
Ich hatte wirklich unfassbar schöne Momente an allen Orten, an denen ich war, ich habe keine Reise bereut, aber im Nachhinein war es eine Flucht. Eine Flucht, sich wirklich mit mir und meinem Leben auseinanderzusetzen. Am Ende kam ich mit einem Koffer voller Entspannung zurück und war gleichzeitig so angespannt und unter Druck wie nie zuvor. In meinem Kopf machte sich die Angst breit: Nur noch drei Monate bis zum Ende meines Sabbaticals, bis zum ungefähren Ende meiner Ersparnisse und bis zum Punkt, wo ich meine Auszeit noch gut vor neuen Arbeitgebern rechtfertigen konnte. Ich bewarb mich schleppend auf
klassische Assistenzstellen. Eben das, was ich Jahre zuvor gemacht hatte, obwohl ich mich eigentlich beruflich weiterentwickeln wollte.
Die Orientierung wieder finden
Ich spürte, dass ich einfach noch nicht soweit war, denn ich wusste im Prinzip nicht, was ich wollte. Jeden Tag hatte ich neue Ideen und verwarf diese wieder. Ich bewarb mich, hatte Gespräche und es scheiterte meistens an den Gehaltsvorstellungen meinerseits. Ich bereute zum ersten Mal, meine tolle Position aufgegeben zu haben und verabschiedete mich davon, nur annähernd wieder dasselbe zu verdienen. Es bot sich also zu all dem Stress noch ein weiteres Problem: Kein einziges Unternehmen konnte auch nur annähernd meinem Gehaltswunsch nachkommen. Ich hatte mich verkalkuliert. Ich fühlte mich gefangen in einem Strudel.
Der Druck vom Umfeld und der Familie wurde größer: „Wie machst du das nur? Welcher Arbeitgeber stellt dich denn jetzt noch ein, wenn du solange nicht gearbeitet hast? Wovon zahlst du deine Miete? Du musst doch was machen!“ Ich konnte nicht mehr schlafen, stand nur noch unter Strom und fühlte mich körperlich und seelisch schlecht. Zwei Monate ging das so, dann erhielt ich eine Jobzusage im Bereich Kommunikation bei einem sehr bekannten Verlag. Jackpot!
Das Universum hatte aber andere Pläne mit mir. Ich weiß nicht, warum die Dinge manchmal so kommen, wie sie kommen, aber ich habe gelernt, dass alles einen Sinn hat. Und so begab es sich, dass dieser Job mir einen Tag nach der Zusage wieder „weggenommen“ wurde mit der Begründung, man hätte die Stelle jetzt doch intern besetzt und der Betriebsrat würde meiner Einstellung nicht zustimmen. Es war so ziemlich der schlimmste Tag in meiner Auszeit und wurde gleichzeitig zu der Erlösung schlechthin.
Dann macht es „klick“
Ab diesem Moment fiel alles von mir ab. Der Druck, die Ängste und das Gefühl, überhaupt wieder einen gut bezahlten Job machen zu müssen. Es gibt Momente im Leben, da macht es sprichwörtlich Klick. Das Paradoxe an meinem Klick-Moment ist, dass ich letztendlich keinen Job hatte, mein Geld aufgebraucht war und ich noch immer nicht wusste, was ich überhaupt machen soll und will.
Aber eines hatte ich gelernt, etwas sehr, sehr Wichtiges: Wenn du versuchst, die Dinge zu erzwingen, werden sie nicht passieren. Wenn du suchst und suchst und suchst, findest du meistens nichts. Lektion Nummer drei:
Akzeptiere, dass es Phasen im Leben gibt, in denen einfach nichts passiert. Lass die Stagnation zu!
Mit dieser Erkenntnis ließ ich es einfach so sein. Ich hörte auf, die Stellenanzeigen zu durchforsten und akzeptierte, dass es momentan so ist, wie es ist. Das ist leicht gesagt, wenn man Geldnot hat. Ich überlegte mir, wie ich aus meiner Situation das Beste machen konnte. Ich kam zu Lektion Nummer vier:
Schäme dich nicht für, sondern sprich über deine Situation!
Ich fing an, mit Freunden ausführlich meine Lage zu diskutieren ohne die Dinge zu verschönern. Ich bat alle, Augen und Ohren offen zu halten bezüglich einer kleinen Beschäftigung. Ich entschied mich, mein freies Zimmer in meiner Wohnung wieder zu vermieten und somit meine Kosten zu reduzieren. Ich rechnete mir aus, was ich im Monat überhaupt zum Leben benötige, schraubte meine laufenden Kosten auf das Minimum zurück. Aus der Not machte ich eine Tugend.
Schnell stellte ich fest, dass ich eigentlich alles besaß, was ich zum Leben brauchte. Sich vom finanziellen Gedanken zu befreien ist schwer, wenn man sich vorher alles leisten konnte und nicht so sehr auf die Ausgaben achten musste. Mit wenig auszukommen macht Spaß, weil du immer mehr realisierst, dass es nicht das Geld ist, was dich am Ende glücklich macht. Lektion Nummer fünf:
Ich bin kein Fan von Floskeln, aber diese bekam in meiner Not eine große Bedeutung: Money can’t buy you happiness!
Wie haben sich die Dinge nun bis zum heutigen Tag entwickelt? Ich überlebe mittlerweile zwei Jahre ohne „richtigen“ Job. Ich habe mich entschlossen, eine Zeit lang verschiedene Tätigkeiten auszuprobieren und aufgehört, mir Deadlines zu setzen. In Kooperation mit meinem Ex-Partner entstand eine Idee, die mich dem Thema Selbstständigkeit so nah wie nie zuvor gebracht hat. Wir haben ein kleines Modelabel, mit dem Namen „On Vacation“ gegründet, welches meinen Lifestyle am besten beschreibt. Mein Leben hat sich zu einem „permanenten Urlaub“ gewandelt. Wir möchten den „Vacation-Vibe“ ins alltägliche Leben transportieren.
Für mich bedeutet das Label viel mehr als nur Kleidung. Es geht um die positive Grundausrichtung zum Leben, dieses in vollen Zügen zu genießen und sich nicht mehr von den starren Strukturen dieser Gesellschaft leiten zu lassen. Ich kann keine großen Sprünge machen, aber ich bin glücklich, weil ich momentan dem nachgehe, was mir ein gutes Gefühl gibt. Ich weiß besser denn je, was ich nicht möchte. Und für diese Erkenntnis hat sich die Strapaze Auszeit schon gelohnt. So fügt sich doch alles auf kuriose Weise immer wie ein Puzzle zusammen. Meines ist noch längst nicht fertig.
Was ich anders gemacht hätte
Wenn ich heute zurückblicke und mich jemand fragt: „Bereust du, dass du deinen Job damals aufgegeben hast?“, sage ich dennoch: Ja und nein! Ich hätte mir zumindest einen kleinen Plan machen und Meilensteine setzen können. Ich war etwas zu blauäugig. Alles hat immer seine Vor- und Nachteile, das wird wohl auch bei jeder Entscheidung im Leben so bleiben. Jedes Erlebnis ist eine Lektion, die es zu lernen gilt.
Doch das für mich Wichtigste an der ganzen Geschichte ist, auf seinen Bauch zu hören und sich nicht von anderen beirren zu lassen. Der eigene Körper und die innere Stimme sagen einem sehr genau, in welche Richtung man gehen soll, auch wenn man des Öfteren scheinbar in Richtung Abgrund geführt wird. Meinen Optimismus habe ich zu keiner Zeit verloren. Ich habe daran geglaubt, dass sich alles zum Guten wendet. Und das ist meine bisher letzte und sechste gelernte Lektion:
Richte deine Gedanken darauf aus, was du willst, und nicht auf die Dinge, die gerade nicht da sind!
Mir hat mal jemand auf den Spiegel geschrieben: Wenn du deine Situation ändern willst, musst du deine Perspektive ändern! Wer auch immer das war, diese Worte sind drei Jahre später für mich so wichtig wie nie zuvor.
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