Außenpolitik und Diplomatie sind auch im Jahr 2018 noch weitgehend Männerdomänen, muss unsere Community-Autorin während eines Praktikums feststellen. Obwohl eigentlich kein Unterschied mehr zwischen Frauen und Männern bestehen sollte, gelten alte Rollenbilder oft weiter. Ändert sich das langsam?
Die Außenpolitik steht Frauen offen – theoretisch
Friedensvereinbarungen sind laut wissenschaftlichen Studien nachhaltiger, wenn eine gewisse Anzahl Frauen an den Verhandlungen beteiligt war. Und doch sitzen nur vereinzelt Frauen am Verhandlungstisch, wenn es um Welthandel, Krieg und Frieden geht. Woran liegt das? Am fehlenden Interesse der Frauen offensichtlich nicht. Das zeigt schon die hohe Anzahl an Studienanfängerinnen bei Fächern wie Internationale Politik oder Völkerrecht. Auch haben Frauen in vielen westeuropäischen Ländern inzwischen gleichberechtigt Zugang zum diplomatischen Dienst. Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis die Jungdiplomatinnen ihren Weg an die Spitze der Außenministerien und internationalen Vertretungen finden?
Tatsächlich lässt mich das Umfeld meines Praktikums im Auswärtigen Dienst hoffen. Meine weiblichen Vorgesetzten sind nicht nur Vorbilder, sondern zeigen mir auch, dass Außenpolitik ein flexibles Arbeitsumfeld bieten kann, in dem verschiedene Lebensentwürfe möglich sind. Umso erschreckender erscheint es mir, dass ich außerhalb der Arbeit mit meinem Wunsch, Diplomatin zu werden, auf Vorbehalte stoße. Die Reaktionen meiner Umwelt machen deutlich, dass strukturelle Anpassungen an Grenzen stoßen, solange traditionelle Rollenbilder gesellschaftlich verankert bleiben.
„Also möchtest du keine Kinder?!”
Was, wenn mein zukünftiger Beruf von mir verlangt, öfter im Ausland zu sein oder sogar alle paar Jahre als Diplomatin in ein anderes Land zu ziehen? „Dann hast du dich also gegen eine Familiengründung entschieden?!“, stellte eine Bekannte kürzlich fest. Da ich diese Aussage bereits aus früheren Unterhaltungen kannte, war ich nicht völlig vor den Kopf gestossen und erzählte von meiner Chefin, die ihr Leben als Diplomatin mit zwei kleinen Kindern gerade sehr gut auf die Reihe bekommt. Ich erklärte auch, dass Diplomat*innen vom Staat normalerweise nicht zwangsversetzt werden, sondern sich je nach Herkunftsland alle zwei bis fünf Jahre auf freie Stellen bewerben und ihre familiäre Situation dabei berücksichtigt wird. Doch das Urteil meiner Bekannten stand fest: Die Diplomatie sei sicherlich ein spannendes Umfeld, aber gerade als Frau in der Außenpolitik sei es doch unmöglich, neben all den Herausforderungen eines Diplomatinnenlebens auch noch eine „gute Mutter“ zu sein.
Im Verlauf solcher Gespräche stellt sich jeweils schnell heraus, dass das „Anstößige“ nicht die fehlende Heimat wäre, die meinen zukünftigen Kindern drohen könnte. Vielmehr scheint für mein Gegenüber die Möglichkeit, dass eine Familie funktionieren könnte, in der sich Mann und Kinder in gewisser Weise dem Beruf der Mutter anpassen müssten, nicht zu existieren. Zu diesem Eindruck passt auch, dass mein männlicher Mitpraktikant in Gesprächen um seine berufliche Zukunft nicht automatisch auf seine Familienpläne angesprochen wird.
Ein Diplomat*innenleben ist unstetig – egal ob Mann oder Frau
Selbstverständlich stellt ein Leben im häufig wechselnden Ländern für die Betroffenen eine große Herausforderung dar. Lebensumstände und Beziehung müssen alle paar Jahre neu diskutiert und definiert, Präferenzen und Jobaussichten des*der Partner*in mit einbezogen werden. Auch Kinder sollen natürlich in die Entscheidungen involviert werden und, wenn sie alt genug sind, ein Mitspracherecht haben. Aber warum wird die Fähigkeit einer Familie, solche Hürden zu überstehen, vor allem dann angezweifelt, wenn die Frau den Rhythmus der Neuverhandlungen vorgibt? So als wäre es selbstverständlich, dass eine sich nach dem Beruf des Mannes ausrichtende Familie trotzdem funktionieren kann.
Muttersein gehört wohl zu einer der grössten Herausforderungen, denen sich eine Frau im Leben stellen kann. Diese ist auch riesig, wenn die Frau keine Diplomatin ist. Aber ist die Herausforderung, der sich ein werdender Vater stellt, nicht genau so gewaltig?
Wie will ich leben?
Ich bin 26 Jahre alt und wie viele Gleichaltrige zweifle ich momentan an so ziemlich jedem meiner Zukunftspläne. Ich bin unsicher, ob die Internationale Politik tatsächlich das richtige Arbeitsumfeld für mich bietet oder ob ich nicht in meine gemütliche Heimatstadt Zürich zurückkehren möchte. Ich vermisse meinen zurückgelassenen Freund*innenkreis und meine Familie sehr und die Aussicht, Freundschaften wegen beruflichen Ambitionen womöglich aufs Spiel zu setzen, beschäftigt mich täglich. Und manchmal möchte ich alles hinschmeißen, um meinem langjährigen Traum, Schauspielerin oder Tänzerin zu werden, doch noch eine Chance zu geben.
Bei allen Unsicherheiten steht für mich eines fest: Kinder kriegen ist im Moment kein Thema. Dass ich durch meine Mitmenschen trotzdem andauernd auf eine zukünftige Familiengründung angesprochen werde, kann ich deshalb nur schwer nachvollziehen. Für meine momentane Entwicklung wären Gespräche darüber, was mich an der Internationalen Politik fasziniert oder abschreckt, was mir Freude und was mir Angst bereitet, viel hilfreicher. Ich würde mir wünschen, dass mich mein Umfeld als Individuum mit Sorgen und Wünschen und nicht einfach als potentielle Mutter wahrnehmen würde.
Sich vom traditionellen Familienbild lösen
Die Gründe, warum es in der Außenpolitik nur wenige Frauen gibt, sind vielfältig und Staaten und Internationale Organisationen könnten noch so einiges in Sachen Gleichberechtigung unternehmen. Diese Meinung teilt die Mehrheit meines beruflichen Umfelds, die sich offen für eine Diversifizierung diplomatischer und außenpolitischer Kreise ausspricht. Mir als junger Frau wird die Fähigkeit, mich politisch zu engagieren, keineswegs abgesprochen. Im Gegenteil, ich werde von allen Seiten dazu ermutigt, meine Talente anzuerkennen und einzusetzen.
Und doch scheitert bei vielen die Vorstellung einer in der Außenpolitik tätigen Frau am Widerspruch zum traditionellen Familienbild, das in der Mutterschaft gewissermaßen die Vollendung der Weiblichkeit sieht und dem Vater eine weit weniger wichtige Rolle in der Kindererziehung zugesteht. Diese traditionelle Rollenaufteilung, die Frauen auch bei anderen beruflichen Laufbahnen im Weg steht, ist in der Außenpolitik besonders hartnäckig, weil dort die „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf für eine Mutter unmöglich erscheint. Um Frauen nicht schon ganz zu Beginn von ihrer außenpolitischen Laufbahn abzuhalten, muss sich unsere Gesellschaft also endlich vom traditionellen Familienbild lösen. Konkret hieße das beispielsweise, zu akzeptieren, wenn Diskussionen um Familienplanung und Mutterschaft nicht bei jeder jungen Frau gerade an erster Stelle stehen.
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