Foto: DCM Films

Alba August: „Schon die junge Astrid Lindgren kämpfte gegen die Erwartungen an, wie eine Frau zu sein hat”

Am 6. Dezember kommt „Astrid”, ein Film über die jungen Jahre der berühmtesten Kinderbuchautorin der Welt, Astrid Lindgren, in die Kinos. Ein Interview mit der Schauspielerin Alba August, die in dem Film Astrid verkörpert.

 

Astrid Lindgren auf dem Weg zur Schriftstellerin

Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter und Jonathan Löwenherz – nur drei der zahlreichen Figuren Astrid Lindgrens. Während bisher vor allem ihre Jahre als berühmteste Kinderbuchautorin der Welt und ihre Zeit im Zweiten Weltkrieg nacherzählt wurden, legt ein neuer Film den Fokus auf eine Zeit in Lindgrens Leben, die bisher fast unbekannt war: die Zeit, als sie als 18-Jährige ungewollt von dem verheirateten Journalisten Reinhold Blomberg schwanger wurde, ihr Kind heimlich in Kopenhagen bekommen und es danach erst einmal in Dänemark bei einer Pflegemutter zurücklassen musste.

Mit „Astrid” ist der Regisseurin Pernille Fischer Christensen ein ergreifender Film über das Leben der jungen Astrid Lindgren gelungen. Einer jungen Frau, die nicht bereit war, ihre ihr zugedachte Rolle einzunehmen und die ihren eigenen Weg ging. Eine junge Frau, die das Schicksal einer heimlichen Schwangerschaft mit vielen anderen Frauen zu dieser Zeit teilte. Die Geschichte der jungen Astrid Lindgren steht exemplarisch für das Schicksal vieler anderer junger Frauen zu dieser Zeit. Auch wenn sie doch einen anderen Weg ging als die meisten von ihnen. Von diesem schwierigen und mutigen Weg erzählt „Astrid”. Gespielt wird Astrid Lindgren in diesen Jahren von dem schwedischen Nachwuchsstar Alba August, die all das, was mit diesem Weg zusammenhängt, spürbar macht: das Leid, den Kampf, aber auch die Befreiung. Wir haben mit Alba August über ihre Rolle, Astrid Lindgrens vergessene Geschichte und feministische Kämpfe vor 90 Jahren und heute gesprochen. 

„Astrid” kommt am 6. Dezember in die deutschen Kinos.

In einem Interview hast du gesagt: „Je schwerer die Rolle, desto besser“ – wie schwer war es, die junge Astrid Lindgren zu spielen? 

„Um ehrlich zu sein, war es sehr, sehr schwer. Nicht so sehr der Teil, dass ich die berühmteste Schriftstellerin Skandinaviens spiele. Dieses Gewicht wird mir erst jetzt, wo der Film draußen ist, mehr und mehr bewusst. Aber es war schwer, diesen Charakter zu spielen, weil sie so viel durchmachen musste in dieser Zeit, so viele verschiedene emotionale Zustände, die ich spielen musste. Mir fiel es schwer, die Motivation und Energie konstant aufrechtzuerhalten. Wenn du in jeder einzelnen Szene zu sehen bist, wirst du sehr müde. Es gibt nicht wenige Tage, an denen du nicht spielen willst. Es macht keinen Sinn, aber du liebst es trotzdem. Und du vermisst es, sobald du es nicht mehr tust. An vielen Tagen kämpfst du gegen das an, was du gerade eigentlich tun willst. Auch auf den Körper bezogen. Du gibst jeden Tag so viel von dir selbst. Das ist nicht bei allen Rollen so, aber bei Astrid war es so.”

Isolierst du dich für diese Zeit komplett von der Außenwelt?

„Ja, weil meine Gedanken so sehr in der Arbeit hängen. Es ist nicht so, dass du die Rolle nicht verlassen kannst, aber du denkst eben konstant über die Szenen nach. Und du bist die ganze Zeit müde. Deshalb ist es sehr schwer, Pläne zu machen.”

Aber wofür macht man es dann? Für das Endprodukt? Für einen bestimmten Moment während des Drehs?

„Die Hälfte der Zeit liebe ich es, und es macht verdammt viel Spaß – Spielen als Arbeit. Du bist komplett im Spiel, in der Rolle. Wenn du zu diesen wahrhaften Momenten kommst, macht es unglaublich viel Spaß. Und dann gibt es noch die Tage, an denen du immer wieder an einer Szene arbeitest –  bis sie dann irgendwann sitzt. Das ist dann wie, wenn man einem Hund ein Leckerli gibt. Ich glaube, es kostet mich persönlich auch so viel Energie, weil ich noch am Anfang stehe. Je mehr man gespielt hat, desto leichter wird es. Das merke ich jetzt schon. Ich bin nicht mehr so nervös wie am Anfang. Es wird immer mehr zum Job, es geht weniger um mich als Person.”

Denkst du, dass dieser Abstand vielleicht sogar gesund ist?

„Ja.”

Warum ist die Geschichte von Astrid Lindgren in ihren jungen Jahren eine Geschichte, die erzählt werden soll?

„Für mich hat schon das Lesen von Astrids Geschichte geholfen, Frauen aus dieser Zeit besser zu verstehen. Ich wusste vorher nicht viel über die vielen Frauen, die Anfang des 20 Jahrhunderts ihre Kinder abgeben mussten. Ich habe realisiert, dass diese Frauen viel stärker sein mussten, als man aus heutiger Sicht gedacht hätte. Als wir den Film die ersten Male gezeigt haben, kamen danach immer wieder Leute auf mich zu, die mir von ihren Müttern oder Großmüttern erzählt haben, die Ähnliches durchgemacht haben. Wirklich schlimme Geschichten. Diese Schicksale haben mich tief berührt; und es ist wichtig, dass wir heute daran erinnern.”

Ist es aus deiner Sicht ein feministischer Film?

„Ich weiß nicht, was ein feministischer Film ist. Aber in meinen Augen war Astrid Lindgren eine Feministin. Und ich bin auch eine Feministin. In dem Film lehnt sie sich gegen die Erwartungen der Gesellschaft auf. Die Gesellschaft will sie dazu zwingen sich zu schämen und das bringt sie dazu, dagegen anzukämpfen. In diesem Sinne ist es ein feministischer Film: Ich glaube, 99 Prozent der Frauen hätten sich in die Abhängigkeit von Blomberg, dem Vater ihres Kindes, begeben. Aber sie wollte das nicht. Sie kämpft gegen die Erwartungen, wie eine Frau zu sein hat, an. Sehr bildlich wird das in der Szene, in der sie sich das Haar abschneidet. Ja, es ist ein feministischer Film – was eine gute Sache ist.”

Was macht den Film so berührend?

„Ich glaube, jede*r * kann sich entweder darin hineinversetzen, ein Kind zu haben oder ein Kind zu sein. Und in das Gefühl, was es bedeuten muss, wenn man das eigene Kind weggeben muss. Nach dem Film hat jede*r etwas über die eigene Beziehung zu den Eltern zu sagen.”

Und wie war es, mit Pernille Fischer Christensen als Regisseurin zu arbeiten?

„Das war das Beste an dem Projekt. Wenn man jemanden wie Astrid Lindgren spielt, ist es wichtig, denke ich, eine*n Regisseur*in zu haben, der*die wirklich weiß, welche Geschichte er*sie erzählen will und wie. Bei Pernille war das so. Und außerdem hatte ich das Gefühl, dass sie wirklich an mich glaubt und mir vertraut. Das hat mir viel Sicherheit gegeben. Ich habe gefühlt, dass sie gefühlt hat, dass ich die richtige Astrid bin. Zwischen uns gab es von einem ziemlich frühen Stadium an eine besondere Chemie. Außerdem sind wir beide sehr unerschrockene Frauen. Wenn wir einen Raum betreten haben, um zu arbeiten, herrschte eine sehr offene Stimmung, in der ich sagen konnte: ‚Okay, mach was du willst mit mir.’ Wir vertrauten uns gegenseitig zu 100 Prozent. Und das war sehr wichtig für diese Art von Film.”

Wie viel Freiheit hattest du beim Spielen einer Person, von der so viele Menschen ein konkretes Bild im Kopf haben?

„Es ist schön, sie in einer Zeit ihres Lebens, ihren jungen Jahren, zu spielen, von der die meisten Leute nur wenig wissen. In Schweden kennen viele Leute Astrid Lindgren vor allem ab der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Aber es ist auch eine gute Sache, jemanden zu spielen, den die Leute bereits gut kennen. Dann haben sie ab der ersten Szene eine Beziehung zu der Rolle und empfinden Empathie.”

Welche Rolle hat Astrid Lindgren in deiner eigenen Kindheit gespielt?

„Es ist schwer zu sagen, inwiefern mich ihre Geschichten geprägt haben, weil sie einfach immer da waren. Meine Mutter könnte die Frage wahrscheinlich besser beantworten. Alle ihre Bücher waren Teil meiner Kindheit. Meine Schwester und ich haben ‚Madita und Elisabet’ gespielt, und es gab keine anderen weiblichen Figuren wie Pippi Langstrumpf in meiner Kindheit. Keine war so verrückt und wild und hat einfach gemacht, was sie will, wie Pippi.”

Zwischen dir und Astrid Lindgren liegen knapp 90 Jahre. Du spielst sie in ihren frühen 20ern. Gibt es irgendwelche Kämpfe, die sie damals ausgefochten hat und die du heute in deinem eigenen Leben als junge Frau wiederfindest?

„Irgendwie alles. Aber vor allem dieses Gefühl, dass jede*r mir sagt, was ich tun soll, ich aber meiner eigenen Intuition folgen muss. Es ist ziemlich schwer, immer deinem Herzen zu folgen. Aber zu sehen, wie es jemand anderes tut, ist für mich Inspiration, das Gleiche zu tun. Und genauso die Frage, wie man sich gegen das stellt, was die Gesellschaft von einem erwartet. Auch das ist schwer. Astrid hat über Dinge gesprochen, über die sonst fast niemand gesprochen hat. Sie hat Sachen ausgesprochen, die sich sonst niemand getraut hat, auszusprechen. Ich will diese Dinge tun, aber ich will auch geliebt werden. Damit kämpfe ich auch.”

Während es sicherlich nicht leicht war, in den 1920er Jahren eine schreibende Frau zu sein, sagen viele Leute, dass jetzt die perfekte Zeit ist, um eine junge weibliche Schauspielerin aus Skandinavien zu sein. Ist es wirklich so einfach?

„Es ist sicherlich kein schlechter Ort, von dem man kommen kann. Aber hier werden eben auch wahnsinnig viele Schauspieler*innen ausgebildet. Die Konkurrenz ist sehr hart. Ich habe diese Erfahrung schon in der siebten Klasse gemacht, als ich anfing in die Theaterklasse zu gehen. Vor allem unter Mädchen war die Konkurrenz sehr hart. Jede wollte Schauspielerin werden. Ich habe früh gelernt, dass ich sehr hart kämpfen und konstant die Beste sein musste, wenn ich weit kommen wollte – die ganze Zeit. Außerdem habe ich das auch bei meiner Mutter sehen können. Als sie anfing war es eigentlich unmöglich, Schauspielerin zu werden, weil die Konkurrenz so hart war. Und das ist, glaube ich, heute immer noch so. Ich fühle mich gestresst. Und es sind immer gemischte Gefühle dabei: Auf der einen Seite verstehe ich mich als Feministin, die immer auch andere Frauen unterstützen will. Und dann sehen alle so großartig aus, und du fühlst dich hässlich und nicht dünn genug. Es ist ein komisches Klima. Auf der einen Seite ‚Female Empowerment’ und auf der anderen Seite musst du so verdammt perfekt sein.”

Hast du das Gefühl, dass es einen Weg aus diesem ständigen Druck herausgibt?

„Definitiv. Ich finde Filme, die Geschichten von realistischen Frauen erzählen, super inspirierend. Die Filmszene sollte ein Ort werden, an dem nicht alle gleich aussehen. Außerdem braucht es mehr weibliche Regisseurinnen und Produzentinnen. Mehr Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen. Das kann helfen, zumindest ist das meine Erfahrung. So dass man lernt, dass man Macht hat mit etwas anderem als seinem hübschen Gesicht.”

Wie divers ist die skandinavische Filmszene?

„Sie ist schon divers, aber sie könnte noch viel diverser sein. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns.”

Schweden ist international immer wieder ein Aushängeschild für Geschlechtergleichheit. Wie sehr spiegelt sich das in deiner täglichen Arbeit wieder?

„Als ich woanders gedreht habe, habe ich gemerkt, dass Arbeiten in Schweden bezogen darauf ein Privileg ist. Angefangen bei grundsätzlichen Dingen: An einem Filmset in Schweden gibt es weibliche Kamerafrauen, weibliche Technikerinnen, weibliche Beleuchterinnen. Ich glaube, auf eine bestimmte Art beeinflusst einen das.”

Gibt es eine Traumrolle, die du unbedingt spielen wollen würdest?

„Ich war ein ‚Tribute-von-Panem’-Freak als Jugendliche und wollte unbedingt so eine Rolle spielen, mit all der körperlichen Stärke. Und ungefähr so eine Rolle spiele ich jetzt ja auch in ‚The Rain’, einer dänischen Netflix-Produktion. Und, ja, ich würde gerne einen verrückten Charakter wie den Joker spielen. Viele meiner männlichen Kollegen werden zu Castings zu solchen Rollen eingeladen. Das würde ich auch gerne machen.”

Und woran arbeitest du gerade?

„An der zweiten Staffel ‚The Rain’ und an einem schwedischen Film über Thomas Quick, einen in den 1990er-Jahren verurteilten Serienkiller, der später wieder freigesprochen wurde.”

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