Die meisten von uns zweifeln immer wieder an sich selbst, ihren Entscheidungen und ihrem Können. Wenn wir diese Selbstzweifel überwinden wollen, müssen wir endlich offen darüber reden.
Selbstzweifel: Wir müssen reden
Ich kenne kaum einen Menschen, den keine Selbstzweifel quälen. Leider kenne ich aber nur sehr wenige, die diese Zweifel offen kommunizieren. Ich finde das schade und denke mir immer wieder aufs Neue, dass Instagram, Facebook und Co. mit ihrer augenscheinlich perfekten Selbstinszenierung einen großen Teil dazu beitragen, dass Selbstzweifel doch immer noch ein Tabuthema zu sein scheinen. Auch wenn sich gerade erfreulicherweise eine (längst überfällige) Gegenbewegung entwickelt.
Dabei hat sie jeder dann und wann. Gerade wir jungen Menschen stellen alles in Frage: Uns selbst, unseren bisherigen Lebensweg, unsere Entscheidungen. Oft haben wir das Gefühl, plötzlich gar nichts mehr zu wissen oder erst wenig bis gar nichts erreicht zu haben, obwohl wir laut unseren Träumen schon viel mehr hätten erreicht haben sollen. Bei mir zeigt sich das oft in totalen Kleinigkeiten.
Als Teenager dachte ich, mit 23 habe ich bestimmt endlich keine Pickel mehr und aufgehört, an den Fingernägeln zu kauen. Das sind Dinge, die vollkommen belanglos erscheinen, für mich aber in meiner Teeniezeit und auch jetzt, im heranwachsenden Alter, ab und zu stark auf mein Wohlbefinden schlagen. Richtig schwierig wurde es, als ich auszog. Schnell wurde mir alles einfach zu viel. Ganz auf sich gestellt zu sein, alles für sich selbst neu bewerten zu müssen – damit kam ich nicht zurecht. Mittlerweile wohne ich aus anderen Gründen wieder bei meiner Mutter. Aber das Gefühl, dass ich absolut keine Ahnung habe, wer ich bin und was ich will, ist geblieben.
Du bist nicht allein
Ich zweifele nicht nur an mir selbst und an meinem Äußeren, sondern an meinem ganzen bisherigen Leben. Ich zeige mir immer wieder die Fehler der Vergangenheit auf. Ich habe ständig die Was-wäre-wenn-Frage im Kopf. Was gewesen wäre, wenn ich in bestimmten Situationen anders reagiert hätte, als ich es damals getan habe. Oder was geschehen wäre, hätte ich doch nur mehr Selbstsicherheit ausgestrahlt. Wenn ich dann mit Freunden darüber spreche höre ich oft den Satz: „Ah jaja, das habe ich aber auch!” und denke: „Ach echt? Ich hätte nicht gedacht, dass es ausgerechneter dieser Person genauso geht.”
Menschen, bei denen ich diese Art von Selbstzweifeln nie erwartet hätte, erzählen mir von ihren Unsicherheiten und Sorgen. Und ich merke, dass ich mit meinen Gedanken nicht allein bin. Dieses Gefühl tut gut. Denn zu wissen, dass du nicht der Einzige auf dieser gottverdammten Welt bist, der sich zwischendurch zum Kotzen findet und am liebsten sein ganzes Leben umkrempeln möchte, während er ziellos umher irrt, relativiert die eigenen Zweifel.
Ich war immer „die Starke”
Bis vor einiger Zeit habe ich mich kaum getraut, meine starken Selbstzweifel nach außen zu tragen. „Ich bin stark, ich bin tough und nichts bringt mich aus der Ruhe, kann mich geschweige denn erschüttern!”, lautete mein Credo. Ich zeigte ein Bild von mir, dass signalisierte, dass ich mich pudelwohl fühlte. Dass das schlichtweg nicht der Wahrheit entsprach, versuchte ich so gut es geht zu verstecken. Denn das Bild, was andere von uns haben, wollen wir doch mit allen Mitteln aufrecht erhalten, oder? Dabei raubt uns das Aufrechterhalten dieser Scheinwelt mehr Energie als das echte Leben.
Ich denke, bis zu einem gewissen Grad brauchen wir diese Welt, um uns vor der manchmal rauen Realität zu schützen. Um irgendwo hin zu flüchten und uns schöne Gedanken zu machen, damit wir in der Wirklichkeit weiterhin so funktionieren wie bisher. Solange diese Scheinwelt keine zu großen Ausmaße annimmt, ist sie für mich ein praktischer Helfer des Alltags und hilft mir an manchen Tagen sogar, meine Selbstzweifel für einige Stunden zu vergessen oder mich daran zu erinnern, dass ich diese Zweifel nicht zu haben brauche. Und zu wissen, dass jeder eine kleine (oder große) Scheinwelt mit sich herumträgt, macht alles nur noch halb so schlimm.
Lasst uns ehrlich miteinander reden!
Lange habe ich geglaubt, dass meine Selbstzweifel irgendwann einfach verschwinden. Und auch jetzt bin ich davon überzeugt, dass ich heute gewisse Zweifel habe, die in einem, drei oder vielleicht fünf Jahren verschwunden sein werden. Dafür kommen vielleicht andere hinzu, die ich heute noch nicht besitze. Selbstzweifel bringt aber nicht der Storch, sie fallen nicht einfach so vom Himmel. An uns selbst zu zweifeln ist ein wichtiger Mechanismus unserer Denke, um uns selbst und unsere Umwelt immer wieder zu hinterfragen und uns neu zu justieren. Unsere Lebenslage verändert sich zwangsläufig. Wir waren früher andere Menschen als heute und werden morgen wieder anders sein.
Umso wichtiger ist es, dass wir über diese Zweifel sprechen, denn manchmal bringt erst das Gespräch darüber den langersehnten Geistesblitz oder die Einsicht, dass wir uns endlicht etwas trauen sollten, was wir bisher nicht für möglich gehalten haben. Ein Gesprächspartner, der unseren Selbstzweifeln widerspricht, kann uns dazu bringen ein Mantra für unsere Selbstgespräche zu formulieren. Bis wir vielleicht soweit sind, unseren Selbstzweifeln direkt zu widersprechen. Aber eins ist sicher: Reden hilft.
Dieser Text ist zuerst auf Lisas Blog hirngelaber.com erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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