Foto: pixabay

Was die französischen Präsidentschaftswahlen bedeuten

Die Wahlergebnisse sind keine Überraschung, und dennoch ein Schock. Eine erste Analyse.

 

Seit Monaten sitzt Europa auf heißen Kohlen: was wird das Resultat der Präsidentschaftswahlen in Frankreich sein? Die erste Runde fand am letzten Sonntag statt und die Spannung hat nicht abgenommen: Emmanuel Macron, aktueller Favorit, ein unerfahrener, charismatischer und pro-europäischer Politiker, tritt in der Stichwahl am 7. Mai gegen Marine Le Pen aus dem Front National an.

In dem wunderschönen südfranzösischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat Marine Le Pen knapp 30% der Stimmen erhalten.

Ich bin nicht überrascht: das Departement Aude ist das zweitärmste in Frankreich, und bekanntermaßen werden weniger privilegierte Gesellschaftsgruppen gern gegeneinander ausgespielt. Schon als ich zur Schule ging gab es Debatten darüber, wie eigentlich mit diesen jungen “arabes” umzugehen sei, die vor der Schule rumlungern und manchmal Steine auf Leute schmeißen. Mir scheint, die Sarkozy-Zeit war für sie keineLösung.

Aber ich bin schockiert: noch vor wenigen Tagen war ich dort, trank Rotwein und stellte fest, wie paradiesisch es ist. Es gibt Rassismus im Paradies

In den größeren Städten wurde weit weniger rechts gewählt.  Auch hier keine Überraschung: seit Jahren wird erzählt, die Leuten seien “abgehängt” durch Globalisierung, Digitalisierung usw. In Wahrheit aber wurden sie alleine gelassen. Sie fühlen sich von der Politik nicht gesehen, und vorwerfen kann ihnen das keiner. Wer bedenkt, dass François Fillon Hunderttausende Euro veruntreut hat – einfach weil er konnte – wundert sich nicht mehr, dass die Wähler, für die eine solche Summe unvorstellbar ist, sich nicht repräsentiert fühlen.

Dennoch ist es ein Schock: Ist denn die Lösung für die von der Globalisierung ausgelösten Probleme tatsächlich nationaler Protektionismus? 

Die meisten Kandidaten, die nicht in die Stichwahl kamen, haben zur Macron-Wahl aufgerufen, um den Front National zu blockieren. Keine Überraschung, bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002 ging es ähnlich zu. Alles außer Le Pen!

Schockierend: einige ehemaligen Kandidaten beziehen hier keine klare Position. Der linke Kandidaten Mélenchon wollte erst seine Wählerschaft konsultieren, Poutou glaubt an “die Straße”, die den Front National blockieren kann. Ein politischer Jüngling, der “das Beste aus Links und Rechts” ziehen will, ist nun genau so gut oder schlecht wie eine populistische, rassistische, antisemitische Kandidatin, dessen Partei ein Familienclan ist. Die Grenzen verschwimmen, der Front National als das allerschlimmste aller Übel ist wie es scheint mit Jean-Marie Le Pen, dem Gründer, verschwunden.

Um die 40% der Wähler haben auch gegen die EU gewählt. Das ist für niemanden eine Überraschung: spätestens seit dem Referendum über das Europäische Grundgesetz in 2005, das abgelehnt und dann durch eine Hintertür doch eingeführt wurde, ist der EU-Skeptizismus in Frankreich groß. Dass die EU sich über demokratische Prinzipien hinwegsetzt, ist Gemeinplatz. Hinzu kommen der Ärger über die deutsche Geld- und Sparpolitik und die Angst, das nächste Griechenland zu sein.

Und doch tun alle schockiert: Die EU wurde lange als eine nicht rückgängig machbare Entwicklung der Geschichte begriffen; als Fortschritt der Menschheit in seinem märchenhaften Sinne: eine lineare Steigerung, an dessen Ende irgendwann das gute Leben kommt. Die EU ist aber optional geworden. War der Grexit noch nicht gangbar, hat der Brexit nun einen Fluchtweg eröffnet. Niemand scheint zu wissen, was hinter der Tür steckt, aber neugierig geworden ist man durchaus.

Letztendlich ist dieses Paar für die Stichwahl noch das Beste. Dass Mme Le Pen in die zweite Runde kommen würde, war schon lang Tatsache. Die Frage war: wer würde ihr entgegen stehen? Der katholische, korrupte François Fillon? Der linksradikale, aber mit Rechts flirtende Jean-Luc Mélenchon? Ersterer hätte enttäuschte Wähler zum Front National getrieben, letzterer hätte durch seine eigene Radikalität Wähler der Mitte von den Wahllokalen ferngehalten. Mit Macron können wir nur hoffen, dass sich viele hinter ihm einigen.

Beruhigend ist eben auch die Vorhersehbarkeit des Ergebnis. Die Umfragen haben in etwa das angekündigt, was geschah. Und anders als in den USA hat das französische Wahlsystem noch ein zweites Auffangnetz, eine Reaktionsmöglichkeit, oder hier: eine Notbremse.

Was nun?

Was diese Wahl aus deutscher Perspektive bedeutet ist vor allem, dass die eigene finanzielle Machtposition dringend hinterfragt werden muss. Welchen Sinn hat der Euro, wenn nur ein Land Vorteile herauszieht? Welchen Sinn hat ein europäischer Binnenmarkt, wenn sich dadurch der Großteil der Länder politisch radikalisiert?

In Wahrheit verhält sich Deutschland in Europa wie das Kind auf der Geburtstagsfeier, das mit allen Spielzeugen gleichzeitig spielen muss, damit bloß niemand anders etwas davon hat. So betrachtet ist es wenig überraschend, dass alle anderen gehen wollen. Es ist aber schockierend, dass nichts weiter unternommen wird.

Anzeige