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Wir Frauen sind am stärksten von Altersarmut bedroht – Wie uns das bedingungslose Grundeinkommen davor schützen könnte.

Was würdest du arbeiten, wenn du nicht mehr arbeiten müsstest? Wenn du bedingungslos jeden Monat ein Grundeinkommen erhältst und dich frei entscheiden kannst? Viele Menschen glauben, dass dadurch die Welt gerechter wäre und wir alle, Aktivitäten nachgehen könnten, die die Umwelt schonen. Gerade für Frauen, die meistens noch immer lieber in Berufen arbeiten, in denen sie für andere Menschen da sind und damit leider auch in der Regel schlechter bezahlt sind, könnte das BGE eine Erleichterung sein. Vielleicht sogar die Lösung, um Altersarmut unter Frauen zu verhindern. Stimmt das wirklich?

 

Als ich im August auf dem

Female Future Force Day

in Berlin war, habe ich das Team von

Mein Grundeinkommen e.V.

kennengelernt. Ich hatte von dem Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) bereits vorher gelesen und auch die Experimente in Finnland zum Beispiel interessiert verfolgt, aber trotzdem war es mir bis dahin nicht so bewusst, dass es tatsächlich auch in Deutschland schon so viele Diskussionen und Unterstützer gibt. Durch die Auseinandersetzung mit den Fragen, wie eine Gesellschaft nachhaltig leben kann und wie in einer Wirtschaftsform, die nicht auf endlosem Wachstum basiert, trotzdem noch Geld zum Leben verdient werden kann, tauchte öfter das BGE als eine mögliche Lösung auf.

Was ist das bedingungslose Grundeinkommen? 

Das Konzept sieht es vor, jedem Bürger ein Einkommen zur Existenzsicherung zu zahlen, ohne Bedingung, ohne Gegenleistung oder Bedarfsprüfung. Das heißt, dass alle Sozialleistungen, wie Wohngeld, Arbeitslosengeld oder andere Unterstützungen durch die Zahlung des BGEs ersetzt werden. Der Vorteil wäre, eine Abschaffung all der verschiedenen Ämter und bürokratischen Strukturen, wodurch ja auch Kosten eingespart werden. Befürworter sehen darin eine echte Alternative zu unserem bisherigen Sozialstaat mit seiner unübersichtlichen Unterstützungslandschaft. Kritiker befürchten jedoch mit der Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens den Zusammenbruch unseres Sozialstaates und ein Weg in den Billiglohn.

Wieso diskutieren wir das BGE und wie kann es eine gerechte und nachhaltige Zukunft unterstützen

Wenn man über Nachhaltigkeit und die Zukunft diskutiert, kommt das Gespräch meistens auch ganz schnell auf die Arbeitsplätze und die Sicherung der Existenzen, der Menschen, deren Jobs in Zukunft durch Digitalisierung oder durch die Verstärkung des Umweltschutzes wegfallen. Wie kann verhindert werden, dass es zu einer Schieflage der Sozialsysteme kommt und wo gibt es Alternativen zur Beschäftigung? Wie sollen wir dann Geld verdienen und wie kann es ausgeglichen werden, dass weniger Menschen einer Arbeit im heutigen Sinne nachgehen und somit auch im Alter massiv von Armut bedroht sind, die durch existierende Systeme kaum abgemildert wird? 
Das Konzept der Next-Economie, sieht vor, dass Wachstum der Volkswirtschaften nur im Rahmen der erneuerbaren Ressourcen passiert. Es wird also sichergestellt, dass die endlichen Ressourcen unseres Planeten nicht dem unendlichen Wirtschaftswachstum und Profitstreben der Unternehmen zum Opfer fällt. Jedoch werden in einer Wirtschaft, die gedrosselt und kontrolliert wächst, ganz klar weniger Menschen zum Beispiel in der Produktion benötigt. Die sogenannte Lohnerwerbsarbeit wird in Zukunft immer weniger Bedeutung haben.  Die gewonnene Zeit kann dann in nachhaltige Tätigkeiten investiert werden. Es würde wieder Möglichkeiten geben, sich angemessen um andere Menschen zu kümmern. Egal ob in der Kinderbetreuung, der Alten- und Krankenpflege oder auch in  gemeinnützigen Vereinen oder der Kunst. An dieser Stelle gibt es ganz klar eine Schnittstelle zwischen den ökonomischen und den humanistischen Ansätzen, unter den Befürwortern des BGE. Einer der bekanntesten Befürworter des Grundeinkommens ist der Gründer der DM Drogeriemarktkette, Götz W. Werner. Er sieht das Grundeinkommen als „grundsätzlich andere Art, die Gesellschaft zu betrachten und sich in ihr zu bewegen.“ Das heißt, wenn wir nicht zur Erwerbsarbeit gezwungen sind durch die Bereitstellung des BGE, haben wir die Möglichkeit umweltschädliche Arbeiten abzulehnen und wir können uns stattdessen um die Verbesserung der Welt kümmern. Prominente Befürworter der Idee eines BGE sind u.a. Facebook-Gründer Marc Zuckerberg, Tesla-Chef Elon Musk, Siemens Vorstand Joe Kaeser, Telekom-Chef Timotheus Höttges und SAP-Vorstand Bernd Leukert.
Der Ansatz der Next-Economie mit der Aussicht für alle, einer Beschäftigung nachzugehen, die es uns ermöglicht nachhaltige zu handeln und Wohlstand neu zu definieren, hätte gerade für Frauen einige enorme Vorteile. Frauen sind es, die überwiegend noch Zuhause bleiben, um die Kinder zu betreuen. Wir Frauen sind auch die, die ehr Werte wie Mitgefühl, Fürsorge, Gleichberechtigung in unsere Lebensentscheidungen einbeziehen und damit oft in einer Männerdominierten Wirtschaft nicht zum Zuge kommen. Die Zeiten, in denen Frauen sich um andere Menschen kümmern, ihren Männern den Rücken freihalten oder eben die Kinder groß ziehen, egal ob alleine oder mit Partner, haben oft große Nachteile auf die Altersvorsorge. Welche Frau kann es sich schon leisten mit einem geringen Verdienst, auch noch für’s Alter eine große Summe Geld anzusparen?

Wofür steht Mein Grundeinkommen e.V.

Mein Grundeinkommen e.V. ist ein gemeinnütziges Start-Up und junge NGO, die mittels Crowdfunding Spenden sammelt, die dann als ein Jahres-Grundeinkommen verlost werden. Mitmachen kann jeder, der sich auf der Webseite www.mein-grundeinkommen.de registriert. 
Gegründet wurde Mein Grundeinkommen e.V. 2014 von Michael Bohmeyer, der mit der Frage startete, ob Menschen bereit sind, jemanden anderem eine Existenzgrundlage zu finanzieren – ohne Bedingungen. Seit dem werden regelmäßig Grundeinkommen in Höhe von 12.000 EUR verlost und in 12 Monatsraten an die Gewinner ausgezahlt.
Die junge NGO sieht sich selbst als Zukunftslabor und erforscht das Bedingungslose Grundeinkommen. Gleichzeitig testet das Team neue Formen von Arbeit und Selbstorganisation in ihren eigenen Reihen. 
Für diesen Artikel wollte ich es ganz genau wissen und habe bei Mein Grundeinkommen e.V. mal direkt nachgefragt.

Im Sinne des Konzeptes der Next-Economie und eines Ausstieges aus dem Wachstumsdilemma unserer heutigen Wirtschaft, wird ja auch ganz oft von einer neuen Definition von Wohlstand gesprochen. Was bedeutet für euch als gemeinnütziges Start-Up und junge NGO Wohlstand?

Die Digitalisierung ist die größte gesellschaftliche Umwälzung seit der Industrialisierung. Sie kann das Sprungbrett für eine zufriedenere Gesellschaft sein, wenn das aktuelle Wohlfahrtsmodell um den entscheidenden Faktor eines bedingungslosen Grundeinkommens ergänzt wird und somit jedem Einzelnen eine bedingungslose Existenzsicherheit garantiert wird. 
Die größte Sozialleistung in Zukunft wird es sein, den Menschen Selbstbestimmung zu ermöglichen – und das funktioniert nur durch solidarische Bedingungslosigkeit. Der Staat wird den Menschen nicht mehr bevormundend verwalten, sondern dessen Leben und Schaffenskraft ermöglichen und unterstützend begleiten. Die Ära der Leistung-durch-Druck-Pädagogik hat ausgedient. Die digitalisierte Gesellschaft und ihre Innovationen werden aus dem Wollen entstehen, nicht aus dem Müssen. 

Die Idee eines sozialen Sicherungsnetzes, das dafür sorgt, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen erfüllt sind und sie deshalb nicht mehr klimaschädlicher Arbeit nachgehen müssen, wird ja auch ganz oft kritisiert. Ein Einwand, den ich auch selber in Gesprächen mit Kollegen und Freunden höre, ist dass es dann einige weniger Menschen gibt, die arbeiten und die anderen leben auf deren Kosten. Was würdet ihr auf solche Aussagen antworten? Stimmt diese Aussage?

Wir haben es ausprobiert und herausgefunden: Die Menschen wollen arbeiten, sich betätigen, etwas Schaffen – gerade wenn sie existenziell abgesichert sind. Diese Sicherheit ermöglicht es ihnen bewusst zu wählen. Von 200 Gewinner*innen des Bedingungslosen Grundeinkommens haben nur 5 ihren Job gekündigt – und sich einen für sie besser geeigneten gesucht. Die Arbeitsmotivation sinkt nicht, wenn Menschen Grundeinkommen erhalten. Im Gegenteil: Viele unserer Teilnehmer berichten, dass sie noch nie sie so viel gearbeitet hätten und gleichzeitig so wenig gestresst gewesen wären. Andere Grundeinkommens-Experimente, z.B. aus den USA und Kanada, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Wie muss sich unsere Gesellschaft ändern, um den Erfolg des BGE zu gewährleisten? 

Mein Grundeinkommen e.V. hat 2016 das Markt- und Meinungsforschungsinstitut You Gov GmbH Deutschland damit beauftragt, herauszufinden, wie die Deutschen zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen stehen.
In dieser repräsentativen Umfrage gaben 73% der Deutschen an, die Idee grundsätzlich zu befürworten. Jedoch schätzen es auch die Hälfte der Befragten, dass mit der Einführung des BGEs die anderen Menschen nicht mehr arbeiten würden. Interessant ist dabei, dass 82% der Befragten aber sagen, dass sie selbst trotz BGE weiter arbeiten würden. Die ganze Studie gibt es hier: Pressekonferenz »Deutschland will Grundeinkommen« 7. Juni 2016
Für mich zeigen die Ergebnisse, dass die meisten Menschen erst einmal vom schlechtesten Fall ausgehen und den anderen nicht so viel zu trauen, wie sich selbst. Dabei scheint es tatsächlich so, dass die Mehrheit der Leute gerne arbeiten geht und eine Beschäftigung, die sozialen Kontakte und das Gefühl des Gebrauchtwerdens zu schätzen wissen. 
Niemand faulenzt gerne als Lebensinhalt. Jedoch stellt sich die Frage, wie Faulenzen bzw. Arbeit verstanden werden? Heute wird zum Beispiel oft der Elternteil, der sich entscheidet zu Hause die Kinder zu betreuen, während der andere Elternteil der Erwerbsarbeit nach geht, mit geringerer Rente und großen finanziellen Nachteilen in Fall einer Scheidung bestraft. Anders ausgedrückt, die Kinderbetreuung oder auch die Pflege eines kranken Familienmitglieds hat nicht den gleichen Stellenwert wie die Erwerbsarbeit. Oft wird sie noch nicht mal als „richtige“ Arbeit angesehen. 
Mithilfe eines Grundeinkommens hätten viel mehr Menschen die Möglichkeit sich frei zu entwickeln und in eigener Sache tätig zu werden. Sie könnten mehr im Garten arbeiten, einem Handwerk nachgehen, Slow Food Lebensmittel herstellen oder sich um andere Menschen in sozialen Bereichen kümmern. Es klingt wie Utopia, aber alles was es dafür braucht, ist eine veränderte Definition von Wohlstand und Arbeit, mit einer Rückkehr zu den Werten der Humanisten. Der gesellschaftliche Wandel kann nur aus der Gesellschaft selber kommen. Wenn man die Politiker anschaut, dann reagieren die Meisten von ihnen wie Seismografen auf die „Wünsche“ ihrer Wähler wodurch die Forderungen Richtung Politik aufgebaut werden könnten. Vielleicht gibt es in der Beschäftigung mit dem Konzept und der öffentlichen Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen auch den entscheidenden Impuls zur Reformation der Rentensysteme und der ohnehin maroden Sozialkassen. Jedoch ist sehr viel Geld involviert. Du ahnst, welche Frage jetzt kommt.

Wer soll das alles bezahlen? Ist das BGE überhaupt finanzierbar? 

Um diese Frage zu beantworten, habe ich meinen Freund Andreas Hillebrand vom Blog Generation Finanzen gefragt. Er hat vor ein paar Wochen einen sehr ausführlichen Artikel über das Bedingungslose Grundeinkommen veröffentlicht. Er sagt dazu: In jeder Debatte rund um das BGE landet man sehr schnell bei der Frage nach der Finanzierbarkeit des Konzeptes. Ideen hierfür gibt es genug, die meisten liegen im steuerlichen Bereich: Maschinensteuer (auch als Wertschöpfungs- oder Robotersteuer bezeichnet), negative Einkommensteuer, Konsumsteuer, eine Besteuerung von Umweltbelastungen (Pigou-Steuer) oder die Finanztransaktionssteuer sind meiner Wahrnehmung nach die am häufigsten diskutierten steuerlichen Ansätze.
Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass durch die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens der heutige Sozialstaat – in letzter Konsequenz – weitgehend abgeschafft werden kann.  Damit verbunden wären signifikante Einsparungen im Bereich der heutigen Sozialbürokratie, die wiederum anteilig zur Finanzierung des Grundeinkommens verwendet werden könnten.
Soweit die Theorie. Ob das ganze auch praktisch umsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Bislang ist nicht belegt, dass diese Ideen auch funktionieren. Für eine praktische Umsetzung sehe ich u.a. folgende Hürden: Der politische Wille und die politische Durchsetzbarkeit für den notwendigen umfassenden Umbau des Sozialstaats erscheinen mir fraglich. Ich sehe aktuell nicht die visionäre, politische Gestaltungskraft, ein dermaßen umfassendes Konzept umzusetzen. Zudem ist meiner Meinung nach mit deutlichem Widerstand einflussreicher Lobbygruppen (Gewerkschaften, Sozialbürokratie; Finanzbranche bzgl. einer Finanztransaktionssteuer) zu rechnen. Und für eine funktionierende Finanzierung über eine Finanztransaktionssteuer – um dieses Beispiel mal herauszugreifen – müsste diese von möglichst vielen Staaten parallel eingeführt werden um Ausweichbewegungen zur Umgehung der Steuer zu verhindern. Hier hat die mächtige Finanzlobby bislang ganze Arbeit geleistet, um eine solche Steuer zu verhindern.
Aber letztendlich geht es ja vielen Befürwortern auch erstmal darum, überhaupt einen Denkprozess in Gang zu setzen. Der Grundgedanke, Arbeit und Einkommen in Teilen voneinander zu trennen, ist für viele Menschen – aufgrund tief verankerter Überzeugungen – eben auch zunächst gewöhnungsbedürftig. Die spannende Frage ist daher aus meiner Sicht: Wann ist die Zeit reif? Wann ist eine Gesellschaft bereit für dieses spannende Konzept?

Mein Fazit und Ausblick

Das bedingungslose Grundeinkommen, klingt vielleicht im ersten Moment wie Utopie und Geldgeschenken an alle, aber ich persönlich denke, dass das Konzept diskutiert werden sollte. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte auch eine Verbesserung der Harzt IV Leistungen sein, die ja ein Grundeinkommen sind, nur eben nicht bedingungslos. Obwohl diese Unterstützung bereits das absolute Minimum darstellt, werden durch Sanktionen immer wieder Kürzungen vorgenommen, die die Menschen dann in echte Not bringen. Vereine wie zum Beispiel Sanktionsfrei e.V. fordern schon länger die Abschaffung dieser Bestrafungen und unterstützen Betroffene.
Ich stimme jedoch zu, dass leider sehr viele Lobbygruppen gegen das BGE arbeiten würden, da es oft nur um kurzfristiges Denken und sich Sicherung der eigenen Vorzüge geht. Das passiert ja leider in vielen Bereichen unseres Lebens und bestimmt zu einem Großteil die Politik. Egal ob es um soziale Projekte, Umweltschutz oder Infrastruktur geht. Doch genau hier müsste sich die Politik stärker von der Industrie und den Lobbyisten abgrenzen. Um wirklich zügig mit den dringend notwendigen Veränderungen voranzukommen, um die Klimaerwärmung aufzuhalten, reicht es nicht aus, die Privathaushalte in einem nachhaltigen Leben zu unterstützen. Es müssten vielmehr Vorgaben an die Industrie gemacht werden, die diese auch einzuhalten haben. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Baustein aber kein Allheilmittel. Aber vielleicht ist es der Baustein, der es mehr Menschen ermöglicht sich zu engagieren, nachzudenken, zu erschaffen und damit eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten.

Dieser Beitrag ist zuerst bei Martha’s erschienen.

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