Unsere Community-Autorin hatte nie Verständnis für Frauen, die trotz körperlicher Gewalt in einer Beziehung bei ihrem Partner bleiben. Als sie sich selbst in einer solchen Situation wiederfand, verdrehte ihr feministisches Denken die Schuldfrage.
Ich war immer überzeugt, mir würde sowas nicht passieren
Ich wurde Opfer häuslicher Gewalt. Und ich erzähle es niemandem. Bisher wissen nur zwei Menschen davon. Warum ich nicht darüber spreche? Das frage ich mich oft. Während meiner damaligen Beziehung wäre ich niemals auf die Idee gekommen, auch nur irgendjemandem von dieser Tatsache zu berichten. Ich schämte mich, dass ich eine Beziehung führe, die Gewalt zulässt. Dass ich so etwas zulasse. Ich wollte nicht, dass die Menschen schlecht über meinen Partner denken.
Ich war immer überzeugt, ich sei eine Frau, der so etwas nicht passiert. Die einen Mann verlässt, sobald er die Hand gegen sie erhebt. Die mit gleicher Härte zurückschlägt und sich nichts gefallen lässt. Ich bin emanzipiert, ich bin doch schließlich Feministin! Und genau da zum Teil das Problem.
Noch Tage danach waren die Blutergüsse an meinem Hals sichtbar
Ich erinnere mich noch genau an den Abend, an dem es das erste Mal zu körperlicher Gewalt zwischen uns kam. Bis zu diesem Punkt hatte mein Partner mich bereits bei jedem Streit immer extremer mit Worten gedemütigt. Und ich hatte mitgemacht – ich wollte mir ja nichts gefallen lassen. Wie sinnlos und indiskutabel diese Einstellung war, hatte ich zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht begriffen.
Wir hatten uns schon eine Zeit lang gestritten, als er mir befahl, seine Wohnung zu verlassen. Ich wusste genau, in meinem Zustand – verheult und aufgelöst – konnte ich auf keinen Fall Auto fahren. Außerdem wollte ich mir nichts von ihm befehlen lassen. Trotzig verweigerte ich, was wollte er schon machen. Mit seinem Ego, das so etwas nicht hinnehmen konnte, hatte ich nicht gerechnet. Nach einigem Hin und Her und viel Provokation meinerseits – „Was willst du machen? Mich zwingen?“ – zwang er mich tatsächlich. Er packte mich und schleifte mich durch die Wohnung. Ich war außer mir! Was fiel ihm ein, seine körperliche Überlegenheit auszuspielen? Ich legte meine ganze Wut in meinen Faustschlag auf seinen Kopf. Er sollte spüren, mit wem er sich angelegt hatte. Keine Ahnung, was dann genau passierte, ich wurde auf einmal mit voller Wucht von ihm aufs Sofa geknallt, seine Hände drückten meine Kehle zu. Wir waren beide entsetzt über uns selbst.
„Raus.“ Ganz ruhig. Das war das Erste, was er nach der Szene zu mir sagte. „Das glaub ich jetzt nicht! Wer bin ich eigentlich für dich? So eine Beziehung führe ich nicht! Mit jemandem, der so mit mir umgeht, bin ich nicht zusammen.“ Alles seine Worte.
Ich war schuld
Den Tag danach hatten wir ein klärendes Gespräch. An den genauen Ablauf erinnere ich mich nicht mehr, ich weiß nur noch, was bei mir hängen blieb:
Ich war schuld. Ich hatte ihn so lange provoziert, bis er keine andere Wahl mehr hatte, so seine Argumentation. Ich hatte als Erste zugeschlagen. Die Gewalt war durch mich ins Spiel gekommen. Ich war schuld. Die fehlgeleitete Feministin in mir wollte Stärke zeigen und war übers Ziel hinausgeschossen.
Und so sehr ich wusste und weiß, dass seine Worte zwar der Realität entsprachen, diese aber krankhaft verdrehten, er ließ nicht von seiner Meinung ab und überzeugte mich von ihr. Die Worte sprach er so nie aus, doch seine Nachricht war klar. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm bewusst war, wie sehr er mich manipulierte. Aber er schuf eine Realität, in der ich eine wahnsinnig große Mitschuld an seiner Gewalt gegen mich trug. Wir schworen uns, dass uns das nie wieder passieren würde. Dass wir stark sind, dass wir uns beherrschen können. Ich glaubte so sehr an ihn, an mich, an die Liebe, die uns verband. Es sollte eines vieler solcher Gespräche werden. Noch Tage danach waren die Blutergüsse an meinem Hals sichtbar.
Hinzu kam, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Weile unter einer mittelschweren Depression litt. Sie war der ideale Nährboden für die verdrehte Realität, in der ich für die Gewalt in unserer Beziehung verantwortlich gemacht werden konnte. Ich war generell sehr aggressiv im Umgang mit Menschen, die mir emotional nahe standen. Verbale Auseinandersetzungen mit meiner Familie gerieten regelmäßig außer Kontrolle und ich wusste, dass Provokation meine bevorzugte Streittaktik war. Es gab viele ähnliche Szenen und weitere gewaltlose und teilweise öffentliche Demütigungen.
„Ich könnte dich für das anzeigen, was du tust.“
Als ich mit einer Gesprächstherapie begonnen hatte und mein mentaler Zustand sich langsam besserte, wurde es mir klar. Auch als Feministin, als durchtrainierte, starke Frau hatte ich keine Chance gegen einen Menschen, der fast 30 Kilo mehr wog als ich, das meiste davon Muskeln. Ich sprach es aus. Vor ihm.
„Dir ist klar, dass das, was du mit mir machst, häusliche Gewalt ist oder?“
„Aber du machst doch mit“, war seine Erwiderung.
„Egal wie sehr ich mich wehre, ich werde nie gegen dich ankommen. Das wissen wir beide.“
Vermutlich nicht, nein. Aber ich würde provozieren, ich müsse damit aufhören!
„Ich könnte dich für das anzeigen, was du tust.“ „Hm. Ja.“
Ich wollte meinen Partner vor der Meinung der anderen schützen
Dieses Gespräch. Ein Zugeständnis von ihm! Winzig klein, aber mehr als alles, was ich je bekommen hatte. Ich war in dieser Zeit ganz allein mit meinen Gedanken und ihm. Vertraute mich niemandem an. Bewegte mich nur in einer Welt, in der ich schuld war. Selbst meinem Therapeuten gegenüber hatte ich die Situationen so geschildert, dass tatsächlich ich die Schuldige war. Auf keinen Fall sollte er denken, ich wäre mit einem schlechten Menschen zusammen. Ich wollte meinen Partner vor der Meinung der anderen schützen. Und ein Teil von mir will das auch immer noch. Doch ich muss mich selbst mehr wertschätzen als ihn. Ich muss darüber reden, meine Geschichte erzählen, mich endlich davon befreien. Und darum schreibe ich es auf.
Ich habe mich gewehrt. Ich hatte keine Chance
Ab einem gewissen Punkt hatte mir selbst geschworen, keine Gewalt mehr in unsere Beziehung zu bringen. Ich wollte nicht länger schuld sein, ich wollte mich von diesem Gefühl befreien. Und ich hielt mich daran. Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, wie oft es danach noch zu Gewalt kam. Eine Situation werde ich aber wohl nie vergessen.
Als er bei einem Streit alkoholisiert war, sank seine Hemmschwelle so tief, dass er mich ohne eine Provokation meinerseits mehrfach mit der Faust hart ins Gesicht schlug. Ich konnte nichts dagegen tun. Und verließ ihn trotzdem nicht. Zu stark war mein Glaube an unsere Liebe, an die Vision des gemeinsamen Lebens, das wir uns aufbauen wollten.
Ich wurde von meinem Partner geschlagen. Ich habe mich körperlich gewehrt. Ich hatte keine Chance. Das Gefühl der absoluten Hilflosigkeit ist für mich auch heute noch am schlimmsten. Zu spüren, dass man wirklich nichts gegen seinen Angreifer ausrichten kann, dass man ihm gegen den eigenen Willen ausgeliefert ist. Ich hatte immer die Vorstellung, dass man sich schon irgendwie wehren kann, wenn es sein muss. Seitdem weiß ich: Nein, kann man nicht.
Ich will mich endlich nicht mehr schuldig fühlen
Ich habe nicht nur in dieser Beziehung einige Traumata erlebt und nie offen darüber gesprochen. Das ändert sich jetzt. Ich weiß, dass ich nicht die Schuld dafür trage, dass mir all das passiert ist. Und ich will es endlich auch fühlen! Ich will meinen Erinnerungen Worte geben, ich will dass die Menschen, die mir am Herzen liegen, wissen was mir passiert ist. Und ich will allen, die in einer ähnlichen Situation sind oder waren sagen, dass sie nicht allein sind. Es ist befreiend, sich zu öffnen und es hilft dabei, zu erkennen, dass man nicht die Schuld für das trägt, was einem widerfahren ist.
Lange dachte ich, es reicht, wenn ich weiß, dass ich nicht schuld bin und irgendwann werden meine Gefühle meinem Verstand folgen. Doch das tun sie nur sehr langsam. Immer noch versuche ich aus unerfindlichen Gründen meinen damaligen Partner zu schützen oder bin der Meinung, dass ich doch selbst verantwortlich sein könnte. In manchen Momenten bin ich mir wirklich unsicher, ob es nicht doch zu einem gewissen Teil verständlich oder nachvollziehbar ist, wie er gehandelt hat.
Mein ganzer Verstand schreit: „Nein, ist es nicht.“ Aber dann ist da die kleine Stimme aus der dunkelsten Ecke meines Bewusstseins, die mir leise ins Ohr flüstert „Aber was ist, wenn doch?“ Doch sie wird immer leise und ich hoffe, dass ich sie irgendwann zum Verstummen bringen kann.
Hinweis der Redaktion: Wenn du selbst, Angehörige oder Freund_innen von häuslicher Gewalt betroffen sind, kannst du dich beim Hilfetelefon rund um die Uhr und an jedem Tag beraten lassen. Die Fachleute bieten Beratung anonym und kostenlos und in 17 Sprachen, Gebärdensprache und leichter Sprache an – am Telefon, per E-Mail und Chat.
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