Unsere Community-Autorin Katja hat mit – oder trotz – Kleinkind gekündigt und sich selbstständig gemacht. Eine Bauchentscheidung, aber eine bewusste – mit Konsequenzen für Familie, Partnerschaft und bestenfalls das Rollenverständnis ihrer Tochter.
Wie schockt man seine Mutter?
Es gab in meinem Erwachsenenleben drei Situationen, in denen ich meine Mutter ernsthaft schockiert habe. Das erste Mal, als ich nach meinem Volontariat in einer Berliner PR-Agentur das Angebot einer Festanstellung abgelehnt habe, um kurzerhand für eineinhalb Jahre durch Australien und Neuseeland zu reisen. Das zweite Mal, als ich mir eine Tätowierung stechen ließ. Und das dritte Mal, als ich mich entschloss, nach der Elternzeit nicht in meinen Job zurückzukehren, stattdessen einen Kredit aufzunehmen und mich mit einem Coworking-Space mit Kinderbetreuung – dem juggleHUB – selbstständig zu machen.
Nicht wohlüberlegt, aber alternativlos
Was alle Entscheidungen eint, ist, dass ich sie aus dem Bauch heraus getroffen habe. Australien? Spontan am Küchentisch. Die Tätowierung? Das Ergebnis aus Neugierde, spätem Abnabelungsbedürfnis und ästhetischer Vorliebe. Die Entscheidung gegen den Job und für die Selbstständigkeit? Hat vergleichsweise lang gedauert, auch wenn sie im Prinzip schon im Raum statt, als ich nach Australien aufgebrochen bin.
Es brauchte dennoch fast zehn Jahre, um den letzten Schritt zu gehen. War die Entscheidung deshalb wohlüberlegt? Nein, das glaube ich nicht. Ich behaupte, dass es nahezu unmöglich ist, sich ohne viel Geld auf dem Konto wohlüberlegt selbstständig zu machen. Noch dazu mit einem nicht mal zweijährigen Kind. Und erst recht nicht, wenn die andere Option darin besteht, einfach an seinen angestammten Büroplatz im Unternehmen zurückzukehren und jeden Monat genug Geld für den Bausparvertrag, mindestens zwei Urlaubsreisen im Jahr, den wöchentlichen Einkauf bei der Bio-Company und die Risikolebensversicherung auf dem Konto zu haben. Bezahlte Krankentage inklusive. Und die freien Wochenenden mit der Familie erst!
Ich habe diese Argumente zig Mal gehört und auch jetzt, da der juggleHUB seit eineinhalb Monaten geöffnet ist, geistern sie regelmäßig in meinem Kopf herum. Bevorzugt als Kopfkino vor dem Einschlafen.
War die Entscheidung deshalb falsch? Oder unvernünftig? Nein, auch das nicht. Sie war vor allem alternativlos. Denn der Gedanke, irgendwann auf mein Leben zurückzublicken und es nicht probiert zu haben, hat mir schon immer mehr Angst gemacht als der daran, dass etwas schiefgehen könnte.
Mein Kind als Argument der anderen
Das Hauptargument der Menschen in meinem Umfeld, wenn es um meine berufliche Zukunft geht, war und ist immer mein Kind. Und das sowohl bei denen, die sich positiv äußern, als auch bei denjenigen, die meiner neuen Selbstständigkeit und dem vermeintlich unsicheren Weg, den ich da eingeschlagen habe, skeptisch gegenüberstehen. In beiden Fällen finde ich das befremdlich. „Gründen mit Kind – boah wie mutig!“, „Dass du dich das traust!“, „Wie schaffst du das bloß alles mit Kind?“
Stopp!
Wie vielen Väter wird diese Frage eigentlich gestellt? Richtig, keinem. Weil die meisten offensichtlich immer noch selbstverständlich davon ausgehen, dass Kinderbetreuung und Kindeswohl vor allem Frauensache sind – und damit mein Hauptverantwortungsbereich. Diese Annahme schwingt sowohl bei der Bewunderung meiner Entscheidung mit, als auch bei der Kritik an selbiger. Interessanterweise (oder traurigerweise?) kommen Bewunderung und Kritik gleichermaßen vor allem von Frauen. Männer fragen mich: „Ja cool, wie ist die Umsatzentwicklung?“, „Habt ihr Investoren?“, „Skaliert das Modell?“, „Habt ihr freie Plätze für mein Meetup?“ Frauen, und vor allem Mütter, dagegen loben den Mut und die Kraft, das alles trotz Kind zu schaffen. Wenig überraschend, wenn sie neben ihrer Erwerbsarbeit auch den Großteil der Familienarbeit übernehmen. Oder sie fragen besorgt nach, wie meine Tochter das denn verkraften würde, dass ich so wenig Zeit hätte. Weil das Kind rund um die Uhr die Mutter braucht? Ich wünschte, wir wären weiter bei der Rollenverteilung.
Gründen mit Kind heißt Gründen mit Partner
Es gibt diesen Satz, den ich vor einiger Zeit gelesen habe und immer wieder gern zitiere, wenn ich über das Gründen mit – oder „trotz Kind“ – spreche. Sinngemäß lautet er, dass die Karrierechancen einer Frau sich mit der Wahl ihres Mannes entscheiden. Meine Erfahrungen in den vergangenen eineinhalb Jahren haben gezeigt, dass es stimmt. Ohne meinen Partner, der mir gerade jetzt, in der arbeitsintensivsten Phase seit Gründung, den Rücken frei hält, mit dem kranken Kind ohne zu murren zu Hause bleibt, unsere Tochter von der Kita abholt, der kocht, putzt, repariert und an den Wochenenden noch Erledigungen für den juggleHUB macht, würde es nicht gehen.
Es ist eine Zeit, die uns mehr als je zuvor als Team fordert. Als Team, das funktionieren muss, das eingespielt ist. Ganz unromantisch. Das erste Jahr mit dem ersten Baby war, was das angeht, eine gute Schule. Die Selbstständigkeit ist nun quasi die Prüfung. Und wie bei jeder Prüfung lohnt es sich, sich gut darauf vorzubereiten. Für mich und meinen Partner hieß das vor allem: offen reden. Sich frühzeitig bewusst machen, was gerade das erste Jahr der Selbstständigkeit von beiden fordert. Dazu gehört nicht nur zeitlicher, sondern auch ein erheblicher materieller Verzicht. Ich kann nur empfehlen, ehrlich mit sich selbst und dem anderen zu sein und klare Vereinbarungen zu treffen, was beide bereit sind zu übernehmen und auf welche Dinge beide, trotz des gestiegenen Arbeitspensums, nicht verzichten wollen oder können.
Wer steckt zurück?
Vor einigen Monaten habe ich zusammen mit meiner Mitbloggerin Lea eine sehr aufschlussreiche Diskussion mit der Journalistin Katrin Wilkens im Nachgang zu ihrem umstrittenen Artikel bei Spiegel Online zum Thema: „Mütter und Karrierechancen“ geführt. Darin fragte sie sinngemäß, was eigentlich passieren würde, wenn Männer in der Elternzeit plötzlich auch ihrer „wahren Passion“ nachgehen und fortan zum Beispiel Baumhäuser bauen wollten. Was in der überspitzten Formulierung mitschwingt, ist ein ganz praktisches Problem, vor dem viele Paare – uns eingeschlossen – stehen, wenn mindestens einer der Partner sich selbstständig machen möchte.
Selbstverwirklichung und Sinnstiftung sind ja längst keine reinen Frauenthemen mehr. Auch immer mehr Männer wollen Stunden reduzieren, nicht mehr zwangsläufig der Hauptverdiener sein, sondern Dinge ausprobieren, handwerklich oder künstlerisch tätig sein, oder schlicht raus aus ihrem Nine-to-Five-Job und die Idee weiterentwickeln, die ihnen seit Jahren durch den Kopf geht.
Und dann?
Muss einer zwangsläufig zuerst zurückstecken! Hier lohnt es sich, klare Vereinbarungen zu treffen. Für sich selbst und die Familie quasi den Exit mitzudenken: Bis Zeitpunkt X ist meine Zeit, in der ich meine Idee ausprobieren kann. Danach bist du dran. Das klammert den sogenannten „schlimmsten Fall“ allerdings bewusst aus: Bloß nicht scheitern! Oder?
Der schlimmste Fall: Scheitern. Insolvenz. Schulden. Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht. Machen sie mir Angst? Nein. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht irgendwie „undeutsch“. Denn in der Beschäftigung mit dem Thema Existenzgründung habe ich gelernt, dass es hierzulande offenbar keine Kultur des Scheiterns gibt. Hinzufallen und etwas nicht geschafft zu haben, ist so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann. Wer mit einer Idee scheitert, gar ein insolventes Unternehmen hat, gilt nicht etwa als jemand, der sich etwas getraut hat, der Dinge angepackt und auf seinem Weg vermutlich viele wertvolle Erfahrungen gemacht hat. Nein, wer mit einem Vorhaben scheitert, ist einfach ein Loser. Punkt. Da überrascht es dann auch nicht, dass Gründerinnen als besonders mutig gelten.
Und auch ich frage mich, was ein Scheitern mit mir machen würde. Finanziell, aber auch ganz persönlich. Wie würde ich das verkraften? Aufstehen und weitermachen, wie ich es momentan vermute? Vielleicht ist das naiv, vielleicht muss es das aber auch sein. Das Szenario erscheint mir so unwirklich, dass es mir schwerfällt, es zu Ende zu denken. Wahrscheinlich, weil ich bis in die Haarspitzen an das Projekt glaube. Vielleicht aber auch, weil ich bislang noch nie tief gefallen bin. Und weil ich reale Vorbilder um mich herum habe, die mir zeigen, dass es immer weiter geht – und meistens ziemlich gut. Letztendlich ist es wie schon so oft in meinem Leben: Wo der Kopf nicht weiterkommt, gibt der Bauch erneut die Richtung vor.
Endlich gekündigt
Vergangene Woche war es dann soweit. Nach fast zwei Jahren Elternzeit saß ich meinem Chef gegenüber, um ihm mitzuteilen, dass ich nicht ins Unternehmen zurückkehren werde.
„Steht Ihre Entscheidung fest, Frau Thiede?“
„Ja.“
Kein Zurück mehr, nun auch ganz offiziell. Aufstehen und gehen, weil ich es so will – ein wunderbares Gefühl. Im Bauch wie im Kopf.
Vorbild sein für mein Kind
Meine Tochter merkt natürlich, dass sich etwas verändert hat. Dass Mama weniger Zeit hat, seltener da ist, dass Papa sie von der Kita abholt und Abendbrot macht. Sie klebt förmlich an mir, kaum dass ich in der Wohnung stehe. Und an manchen Tagen plagt mich das schlechte Gewissen – Emanzipation hin oder her. Ich glaube aber auch, dass es eher mein Problem ist als das meiner Tochter. Dass es gut für sie ist, zu erleben, dass Mama nicht nur arbeiten geht, sondern etwas tut, das ihr am Herzen liegt, für das sie brennt und das sie glücklich macht.
Und letztendlich liegt es doch in unserer Hand als Eltern, unseren Kindern die Rollenverteilung, die wir permanent einfordern, vorzuleben. Schließlich sind sie es, die unsere zaghaft angestoßenen Veränderungen im Umgang miteinander, privat wie beruflich, gesellschaftlich weiter verankern können. Spätestens an dem Punkt macht die Entscheidung für die Selbstständigkeit auch im Kopf Sinn und verlieren die eingangs genannten Gegenargumente schnell an Gewicht.
Was ich mir wünsche?
Ganz allgemein gesprochen, dass Mütter aufhören zu grübeln und zu bewundern und stattdessen anfangen, sich freizuschwimmen und ihre Ideen umzusetzen, wenn ihre Situation es grundsätzlich hergibt.
Und persönlich? Dass der juggleHUB durch die Decke geht – klar. Und mindestens genauso wichtig: dass meine Tochter später ganz selbstverständlich das tut, wofür sie brennt und sich in einer durchrationalisierten und durchoptimierten Welt traut, auf ihren Bauch zu hören. Auch, weil ihre Eltern es ihr so vorgelebt haben. Und dass sie sich, wenn es ihr Weg erfordert, nicht scheut, ihre Mutter zu schocken. Ihre Mutter, die ja scheinbar selbst mal ganz cool drauf war früher. Damals, 2009, als sie spontan nach Australien aufgebrochen ist. Sich spontan tätowieren ließ. Und einige Jahre später trotz Gegenwind ihr Herzensprojekt umgesetzt hat.
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