Rankings, Awards und Auszeichnungen sind besonders für marginalisierte Menschen häufig nicht zugänglich. Unsere Autorin erklärt, warum das so ist und wie Rankings fairer werden können.
Stolz mit dem Pokal auf dem Sieger*innentreppchen stehen, alle jubeln und gratulieren. Wer träumt nicht zumindest ab und zu mal davon? Die große Sportskanone sind die wenigsten – ich jedenfalls nicht. Meine beste Freundin in der Grundschule dagegen schon. Sie war immer die schnellste Läuferin der Klasse und hat später bei nationalen und internationalen Wettkämpfen teilgenommen, trotzdem bekamen damals die meisten Jungen in der Klasse bessere Sportnoten als sie. Willkommen im Patriarchat, würde ich sagen. Nicht umsonst werden Sportwettkämpfe für Frauen und Männer ausgetragen, um Unterschiede auszugleichen.
Als junge Frau mit Behinderung und erste Akademikerin in meiner Familie kann ich über die Ungerechtigkeit von Preisverleihungen mehrere Lieder singen. Bevor ich überhaupt daran denken konnte, in irgendeinem Ranking für meine Arbeit ausgezeichnet zu werden, musste ich mich als eines der wenigen Kinder mit Behinderungen in Deutschland durch das Regelschulsystem kämpfen, um Abitur zu machen.
Die meisten Schulen sind nicht barrierefrei ausgestattet oder geben behinderten Schüler*innen direkt oder unterschwellig das Gefühl, nicht erwünscht zu sein. Auch ich musste deshalb in der 10. Klasse auf ein Gymnasium in der Nachbarstadt wechseln und, als das tägliche Pendeln zu mühsam wurde, mit 18 Jahren ohne meine Eltern in diese Stadt ziehen.
Meine Passion ist das Schreiben. Praktika zu machen, ist für mich wegen fehlender Barrierefreiheit auf dem Weg zur Redaktion oder in den Räumlichkeiten, und wegen der Schwierigkeit, eine geeignete Bleibe zu finden, ungleich schwieriger. Mein Traum ist es, Auslandskorrespondentin in Italien zu werden, und ich bin auf einem guten Weg, es in den Auslandsjournalismus zu schaffen. Wie viel mehr ich dafür leisten muss, wird nicht wahrgenommen. Die Preise bekommen andere.
Wer Preise bekommt, wird eher gehört
Awards und Auszeichnungen machen alle bekannter, die sie bekommen. Das verbessert Berufschancen – und festigt Marginalisierungen jener, die sie nicht bekommen. Nicht umsonst gibt es Kampagnen wie #Oscarsaresowhite oder Kritik, warum der Nobelpreis seltener an Frauen vergeben wird. Preise wie diese bestimmen, wer eine öffentliche Stimme hat, wem man zuhört und wer damit gesellschaftsrelevant ist.
Nach einem Oscar winken weitere Aufträge in Hollywood, der Nobelpreis festigt die eigene Position. Gleichzeitig sind viele Awards Geldpreise, die zusätzliche Möglichkeiten schaffen, sich beruflich zu entfalten und anderen Menschen fehlen. Bei meinem Abiturball wurde der Preis des Elternbeirats nicht nach Bedürftigkeit oder besonderem Engagement für die Schulgemeinschaft vergeben, sondern entscheidend war, wer die besten Verbindungen hatte.
Rankings zeigen Machtverhältnisse einer Gesellschaft auf
Wer Privilegien und Macht in der Schule hat, war mir aber schon viel früher klar. In der vierten Klasse entschieden nur wenige Prüfungen, wer aufs Gymnasium gehen darf und wem damit alle beruflichen Wege offen stehen – und wem nicht. Die meisten Prüfungen wurden aus einem Buch übernommen. Nicht alle Eltern bekamen den Tipp. Meine Mutter war sehr engagiert für die Schulgemeinschaft, daher bekam sie den Tipp von anderen Eltern. Ich war eines der wenigen Kinder aus einer Nichtakademiker*innenfamilie, das den Übertritt schaffte. Ähnliches gilt für Jurys, die Rankings aufstellen und Preise vergeben – oft entscheidet das Netzwerk, ob jemand gesehen wird oder nicht.
Einige Fragen sollten sich deshalb alle stellen: Wer sponsert Preise und Rankings? Wer sitzt in der Jury? Wer entscheidet, wer in der Jury sitzt? Nach welchen Kriterien wird nominiert? – Statistische Auswertungen habe ich nicht gefunden. Dafür habe ich eigene Erfahrungswerte. Während meiner Schulzeit musste ich auf sehr schmerzliche Weise lernen, wie sich in Rankings Privilegien und Machtverhältnisse einer Gesellschaft zeigen. Beim Vorlesewettbewerb am Gymnasium wurde ich von meinen Klassenkamerad*innen nicht in die engere Auswahl gewählt, um mich auszugrenzen und mich gezielt zu verletzen. Den Schulwettbewerb hat dann eine andere Schülerin gewonnen.
Nicht jedes Ranking, nicht jeder Preis zielt darauf ab, andere Menschen gezielt auszugrenzen, wie es mir als Kind passierte. In Jurys sind marginalisierte Menschen oftmals unterrepräsentiert, was dazu führt, dass unter den Nominierten ebenso wenig marginalisierte Menschen vorkommen, da Jurymitglieder in der Regel die Auswahl nach ihrer eigenen Lebenswelt treffen.
Wer entscheidet, wie Lebensleistungen zustande kommen, wenn der Zugang zu Bildung für marginalisierte Menschen statistisch erwiesen deutlich schwieriger ist? Das zeigte sich schon während meiner Grundschulzeit beim Übertritt aufs Gymnasium und verstärkt sich, wenn spätere berufliche Positionen durch Bildungsabschlüsse bestimmt werden.
Die Rolle von Jurymitgliedern bei der gerechten Vergabe von Preisen
Um Rankings gerechter zu machen, müssen Jurymitglieder vielfältige Hintergründe haben und dort insbesondere marginalisierte Menschen vertreten sein. Alle Jurymitglieder müssen sich ihrer Privilegien bewusst sein und überlegen: Warum nominiere ich genau diese Person und nicht eine andere? Warum ist mir diese Persönlichkeit bekannt und eine andere nicht?
„Um Rankings gerechter zu machen, müssen Jurymitglieder vielfältige Hintergründe haben und insbesondere marginalisierte Menschen vertreten sein.“
Auch innerhalb der Communitys von marginalisierten Menschen gibt es Privilegien und Machtstrukturen, die beachtet werden müssen. Das zeigten sieben nominierte Frauen des „25 Frauen Award“ dieses Jahr, indem sie ihre Nominierung zurückzogen, um als Schwarze Frauen auf Colorism aufmerksam zu machen. „Wir wissen, dass es unsere Nähe zum Weiß-Sein ist, die es für weiße Menschen bequemer macht, uns einen bestimmten Raum im Diskurs um Rassismus zuzugestehen“, benannten die Frauen ihr eigenes Privileg und zeigten auf, warum gerade sie nominiert wurden.
Ein Problem für Jurymitglieder bleibt, die Leistungen von marginalisierten Menschen und nichtmarginalisierten Menschen vergleichbar zu machen, da die Komplexität von Leistungen in Bezug auf Rahmenbedingungen und Hintergründe innerhalb der kurzen Zeit schwer einzuschätzen ist. Daher müssen marginalisierte Jurymitglieder bereit sein, auch Privilegien in ihrer eigener Community bewusst zu überdenken und Persönlichkeiten, die noch nicht so prominent sind, sichtbar machen. Und es muss mehr Möglichkeiten geben, sich selbst für Preise zu bewerben und Auswahlkriterien niederschwelliger aufzustellen.
Wie Rankings auch schaden
Während meiner Grundschulzeit bekam nur ein Schüler immer eine Eins für seinen Aufsatz. Die Lehrerin hängte seine Aufsätze im Klassenzimmer auf und lobte ihn als Vorbild für die ganze Klasse. Damit erklärte sie ihn zum Klassenprimus und zog den Neid der ganzen Schulklasse auf ihn. Mobbing war die Folge. Mein Klassenkamerad wollte die Aufmerksamkeit gar nicht, er hat einfach nur gerne Geschichten geschrieben. Gerade im Bildungswesen müssen individuelle Erfolge und Leistungen hervorgehoben und gewürdigt werden. Eine Vier in Deutsch kann für andere schon ein großer Erfolg sein.
Besonders für marginalisierte Menschen ist eine Vertrauensbasis bei der Nominierung für Preise enorm wichtig. Eine Freundin von mir arbeitet als Schriftstellerin unter Pseudonym. Bei der Nominierung für einen Preis wurde aber ihr Klarname veröffentlicht, den sie in der Öffentlichkeit bewusst nicht nutzte, um sich vor Anfeindungen zu schützen. Solche Bedenken sind durchaus begründet: Marginalisierte Menschen sind in ihrem Alltag durch ihre Arbeit oft genug Anfeindungen ausgesetzt und müssen um ihre Sicherheit fürchten.
Was zu der Vertrauensbasis meiner Meinung nach auch dazugehört: dass man nicht die einzige marginalisierte Person unter den Nominierten ist. Sonst stellt sich schnell der Eindruck ein, dass man gerade benutzt wird, um eine „Diversity-Quote“ zu erfüllen. Meine Freundin trat damals von ihrer Nominierung zurück – beide Kriterien für eine Vertrauensbasis waren nicht gegeben.
Wie kann man Rankings gerechter machen?
Über die Themenwahl von Preisen und Rankings muss ebenfalls nachgedacht werden. Marginalisierte Menschen interessieren sich nicht nur den ganzen Tag dafür, in welcher Situation des Lebens sie diskriminiert werden könnten, und für Empowerment. Echte Vielfalt bei Preisträger*innen besteht nur, wenn beispielsweise marginalisierte Schriftsteller*innen oder Künstler*innen für ihre berufliche Arbeit anerkannt werden.
All das löscht allerdings noch nicht den Leistungsgedanken von Preisen und Rankings aus. Vielmehr braucht es Rankings, die motivieren, inspirieren und neues Potential zeigen. Warum nicht ein Ranking über Menschen aufstellen, die es unbedingt schaffen sollten, aber zu wenig Unterstützung bekommen? Das würde Menschen anspornen, an sich selbst zu glauben, und Sponsor*innen aufmerksam machen. So könnten Nachwuchstalente, die benachteiligt werden und trotzdem Großes schaffen wollen, die Unterstützung bekommen, die sie brauchen – und unsere Gesellschaft könnte mehr Chancengleichheit fördern.