Photo by Allec Gomes on Unsplash

25 Frauen Award: Wir machen Platz

Offener Brief von sieben Nominierten des diesjährigen 25 Frauen Awards. Unsere ersten Gedanken dazu findet ihr unter diesem offenen Brief.

Ein Brief von Alice Hasters, Aminata Belli, Ciani-Sophia Hoeder, Fabienne Sand, Hadnet Tesfai, Josephine Apraku und Noah Sow (Reihenfolge alphabetisch nach Vornamen) in voller Länge. Wir veröffentlichen diesen offenen Brief mit der Zustimmung der Autorinnen:

Wir haben uns entschlossen, uns aus der Auswahl für den 25 Frauen Award zurückzuziehen. Obwohl wir uns über unsere Nominierung und die anderer Frauen, deren Arbeit Rassismus thematisiert, gefreut haben, nehmen wir auch wahr, wie wenig divers die Auswahl der Schwarzen Frauen ist. Zugegeben, machen wir aus einer intersektionalen Perspektive, einer, die verschiedene Formen von Diskriminierung zusammen denkt, mehrere Leerstellen aus.

Wir möchten uns – insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Debatte um strukturellen Rassismus der vergangenen Wochen – auf einen bedeutsamen Punkt fokussieren: Colorism.

Die mediale Aufmerksamkeit der letzten Wochen, die sich auch in der diesjährigen Auswahl Schwarzer Frauen widerspiegelt, ist ein eindrucksvolles Beispiel für das, was mit den Worten von Chimamanda Ngozi Adichie mit “The Danger of a Single Story” beschrieben werden kann: In den vergangenen Wochen waren es vor allem Schwarze Menschen mit vergleichsweise hellerer Haut, die als Sprecher*innen unserer diversen Communities dargestellt und vereinnahmt wurden. Die Realitäten Schwarzer Communities und auch unsere Erfahrungen mit Rassismus sind vielfach komplexer und können auf diese Weise kaum repräsentiert werden. Aspekte wie soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Be_hinderung und eben auch unser Hautton wirken sich auf unsere Rassismuserfahrungen aus.

Colorism, die strukturelle Diskriminierung von BIPoC zum Beispiel mit dunklerem Hautton, wirkt wie Säure – ätzend – in Schwarze Communities hinein und schafft einen vergleichsweise schlechteren Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen für Schwarze Menschen mit beispielsweise dunklerer Haut. Damit meint Colorism die Hierarchisierung innerhalb Schwarzer Communities. Rassismus und Colorism bedienen sich unterschiedlicher Ressourcen wie Konstruktionen zu Afrikanisch-Sein, Gesichtszüge oder auch Haarstruktur. Colorism dient der Sicherung weißer Privilegien: Wenn wir in unseren diversen Schwarzen Communities gegeneinander darum kämpfen müssen, wer im Mainstream sprechen darf, dann ist das so, weil weiße Menschen unseren vielfältigen Perspektiven und unserer unterschiedlichen Betroffenheit von Rassismus und Colorism, zu wenig Platz einräumen.

Wir wissen, dass es unsere Nähe zum Weiß-Sein ist, die es für weiße Menschen bequemer macht, uns einen bestimmten Raum im Diskurs um Rassismus zuzugestehen. Ein Privileg, das von uns einen verantwortungsvollen Umgang für unsere Rassismuskritik erfordert: Wenn wir uns als Schwarze Frauen, die im Hinblick auf Colorism privilegiert sind, gegen Rassismus einsetzten wollen, dann ist es notwendig, dass wir das thematisieren und Platz für unsere Geschwister machen.

Die Entscheidung unsere Plätze freizumachen, ist uns nicht leicht gefallen, weil wir als Schwarze Menschen insgesamt zu wenig repräsentiert sind. Das Aufzeigen dieser Leerstellen sollte nicht allein auf uns lasten. Deshalb möchten wir andere auffordern, sich mit uns und unseren Geschwistern zu solidarisieren und ein gemeinsames Zeichen gegen Rassismus – mit all seinen komplexen Ausprägungen – zu setzen und diese Last mit uns zu teilen:

  • Wir möchten insbesondere weiße intersektionale Feministinnen dazu aufrufen, sich solidarisch zu zeigen und ihre Nominierungen ebenfalls zurückziehen, um Platz für Geschichten und Perspektiven zu machen, die verstärkt Marginalisierung erfahren.
  • Wir möchten, dass an unseren Stellen Leerstellen bleiben, die nicht gefüllt werden.
  • Wir wollen, dass entsprechend der Anzahl derer, die ihre Nominierung zurückziehen, die Zahl der Gewinnerinnen gekürzt wird. Andernfalls bekommen einmal mehr diejenigen einen erleichterten Zugang, die bereits einen vergleichsweise einfacheren Zugang haben.
  • Wir wollen, dass während der Preisverleihung Raum für ein Statement zur komplexen Wirkweise von Rassismus – insbesondere mit Blick auf Colorism – von Schwarzen Menschen geschaffen wird.
  • Wir möchten Edition F dazu aufrufen, alle Plattformen an Schwarze Feminist*innen und deren Geschichten und Perspektiven abzugeben: Wir möchten diesen Raum nutzen, um uns einander unsere Geschichten erzählen und unseren unterschiedlichen Identitäten Raum geben zu können, um auch diejenigen von uns erreichen, die beides für ihr Empowerment brauchen.
  • Wir möchten Plattformen wie Edition F dazu aufrufen, unseren Perspektiven Raum
    zuzugestehen, um die komplexen Diskurse um Rassismus seinen Verwobenheiten zu
    schärfen.

Alice Hasters
Aminata Belli
Ciani-Sophia Hoeder
Fabienne Sand
Hadnet Tesfai
Josephine Apraku
Noah Sow

Wir veröffentlichen diesen offenen Brief mit der Zustimmung der Autorinnen.

Liebe Alice Hasters, liebe Aminata Belli, Ciani-Sophia Hoeder, liebe Fabienne Sand, liebe Hadnet Tesfai, liebe Josephine Apraku, liebe Noah Sow,

vielen Dank dafür, dass Ihr unseren Blick für die Debatte um Rassismus und Colorism schärft und dafür sensibilisiert.

Liebe Autorinnen, liebe Community,

2020 ist das Jahr des Bewusstwerdens. Viele gesellschaftliche Themen und Herausforderungen werden sichtbar. Viele eigene Gedanken und Perspektiven, Verhaltensweisen und Gegebenheiten müssen neu sortiert und hinterfragt werden.
Gerade die letzten Wochen haben uns persönlich und uns als Gesellschaft für das Thema Rassismus noch einmal viel stärker sensibilisiert. 

Heute sind sieben nominierte Schwarze Frauen – Alice Hasters, Aminata Belli, Ciani-Sophia Hoeder, Fabienne Sand, Hadnet Tesfai, Josephine Apraku und Noah Sow – von ihrer Nominierung beim 25 Frauen Award zurückgetreten und haben zusätzlich unseren Blick für die Debatte rund um Colorism – also die Hierarchisierung innerhalb Schwarzer Communities – geschärft.

Wir sind uns unserer Verantwortung als Medium, als wertebasiertes Unternehmen, als Freund*innen von BIPoC, von Menschen mit Be_hinderung, von Menschen aus der LGBTQI+-Bewegung und vielen anderen marginalisierten Gruppen bewusst und nehmen diese Verantwortung wahr und ernst.

Für den diesjährigen Award bedeutet das, dass wir die Nominierung und Abstimmung nicht weiter fortführen werden. Nicht, weil keine Frau eine Bühne erhalten soll, sondern weil wir die Lücken der Nominierung damit kennzeichnen wollen. Diese Entscheidung fällt uns schwer, denn der Award war sieben Jahre lang ein Anlass, Frauen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen – die zu zeigen, die so unglaublich viel bewegen. Für uns und Euch, unsere Community, immer eine Möglichkeit, tolle Persönlichkeiten zu entdecken und unsere Perspektiven zu erweitern. Ein Award, der jedes Jahr mit viel Demut und Liebe von uns umgesetzt wurde. 

Alle ursprünglichen Nominierten werden in diesem Jahr von uns eine Auszeichnung erhalten, sofern sie diese annehmen – denn ihre Arbeit für unsere Gesellschaft, ob in Bildung, Medien, Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft muss Anerkennung finden. 

Wir werden kritisch hinterfragen, in welcher Form dieser Preis weiter bestehen kann. Den Brief nehmen wir zum Anlass, neue Wege zu finden und zu gehen. Für noch mehr Sichtbarkeit und Repräsentation marginalisierter Gruppen.

Alle ursprünglich Nominierten werden wir, wenn gewünscht, im Magazin vorstellen und ihnen Raum geben, zu ihren Themen zu sprechen.

Wir mussten bereits im April entscheiden, dass das Event zum Award in diesem Jahr Corona-bedingt nicht wie gewohnt mit 800 Gästen stattfinden kann. Wir werden in den kommenden Wochen versuchen, im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten, ein kleines Event umzusetzen, bei dem wir mit Nominierten und Schwarzen Aktivistinnen zusammenkommen. Dabei möchten wir Raum geben für eine Keynote oder ein Panel zum Thema Rassismus und Colorism.

Dies soll live bei EDITION F gestreamt und im Nachgang frei veröffentlicht werden – um die Reichweite so groß wie möglich zu machen, werden wir auch mit weiteren Medien sprechen, ob sie den Livestream über ihre Kanäle teilen wollen. Die konkreten Gedanken hierzu brauchen noch ein wenig mehr Zeit und sollen im Dialog entstehen.

Zudem werden wir eine Strategie entwickeln, wie wir gerade für die Schwarzen Communitys – wie in dem öffentlichen Statement gefordert – eine Plattform mit unserem Magazin und den Sozialen Netzwerken bereitstellen können, um marginalisierten Stimmen Gehör zu verschaffen, um Menschen zu Wort kommen und miteinander diskutieren zu lassen und nicht zuletzt, um einen Raum für Sichtbarkeit und Repräsentation zu schaffen. Wir werden weiterhin in unserem Magazin Schwarzen Frauen eine Bühne geben, als Protagonistinnen und als Autorinnen.

Wir sagen Danke für den Mut. Alle Nominierten und viele Frauen mehr verdienen mehr Repräsentation und Sichtbarkeit. Wir wollen diesen Weg kontinuierlich mit EDITION F und Euch weiter beschreiten. Für Gespräche und Austausch stehen wir immer zur Verfügung.

Nora und Susann

  1. Super! Und jetzt noch bezüglich der Klassen. Die sind nämlich selten sichtbar und gerade in so einem startup Business Umfeld wie diesem ist die Herkunft aus Akademiker Haushalten eine Voraussetzung um teilnehmen zu können.

  2. Wir sind als Weisse nicht nur privilegiert, wie sind vor allem ignorant! Wir haben sehr viel zu lernen und gemeinsam werden wir es schaffen, die so tief verwurzelten Denk- und Handlungsmuster abzulegen und allen Frauen die Plattform zu bieten, die ihnen zusteht.
    Ich verneige mich vor der Kraft, dem Mut und der Menschlichkeit aller hier involvierten Frauen! Ihr habt alle gewonnen. Neue Wege braucht das Land! 👑

  3. Sorry, ich finde die Beweggründe der sieben Autorinnen für ihren Rücktritt ehrenswert und gut, dass dadurch Colorism thematisiert wird. Dennoch finde ich den Boykott des Preises nicht den richtigen Weg.

    Wem bringt es irgendetwas, sich mit „Leerstelle“ aus einer Nominierung zurückzuziehen, bzw. von eurer Seite aus den ganzen Auswahlprozess „abzublasen“? Frauen haben sich meiner Meinung nach viel zu lang auf „stummen Protest“ beschränkt. Was hätte dagegen gesprochen, statt der „Leerstellen“ und eurer Aussetzung der weiteren Abstimmung z.B. engagierte Frauen mit dunklerer Hautfarbe nachzunominieren?

    Ich kann manchmal wirklich nur den Kopf schütteln, wie die Diskussion um die Benachteiligung gewisser Personen/Menschengruppen feministisch wertvolle Projekte ausbremst.

    1. Liebes Team Edition F

      ich wurde dieses Jahr auch für de 25 Frauen Award nominiert und habe ebenfalls die Nominierung nicht angenommen. Hiermit möchte ich meine Entscheidung öffentlich machen.

      Meine Begründung die Nominierung nicht anzunehmen, liegt, wie Sie wissen, in meinem Anspruch außerhalb der Gender-Binarität zu denken und agieren.

      Ich möchte in Solidarität mit all denen stehen, die sich weder männlich noch weiblich positionieren (können).

      Auch das könnte (müsste, sollte) bei der Neukonzepierung des Preises bedacht werden.

      Herzliche Grüße,

      Sharon Dodua Otoo

      1. Liebes EditionF-Team,
        als light skinned Schwarze finde ich die Debatte um Privilegien innerhalb der Schwarzen Community wichtig. Dazu gehört auch Colorism. (Aber das ist längst nicht alles. Unsere Privilegien werden auch durch Klassismus, Ableismus, Lookism und und und bestimmt.) Mir scheint, es ist wichtig, dass wir innerhalb der Schwarzen Community über diese Privilegien sprechen und darüber, was daraus für Konsequenzen für unsere politische Arbeit erwachsen. Dafür braucht es einen ruhigen Rahmen, in dem Schwarze Menschen sich wohl fühlen zu sprechen, ihre Bedürfnisse und Sorgen zu äußern, auch Dinge, die vielleicht noch nicht zu Ende gedacht sind. Mir scheint es hingegen nicht besonders sinnvoll zu sein, das in einem öffentlichen, auf so viele Zuhörende/Zuschauende wie möglich inkl. weißer u männl. Mehrheitsgesellschaft zielenden Event zu tun. Wohin soll das führen? Wem soll das dienen?
        Gruß, Manuela

  4. Die zurückgetretenen Nominierten haben einen klaren Forderungskatalog an den Award und damit auch an die Gesellschaft. Daran ist sicher einiges berechtigt. Aber drängt man sich da nicht etwas sehr weit in den Fordergrund? Die Gesellschaft hat tausend mehr Dinge auszutarieren als nur Colorism innerhalb schwarzer Communities. Egal wie zutreffend das Problem ist, es ist doch nur eines von sehr, sehr vielen – auch alle Diskriminierungsprobleme zusammen sind nur ein kleiner Teilaspekt einer Gesellschaft. Ich würde mich auch über mehr Sensibilität dazu freuen, was es bedeutet eine Gesellschaft von einer traditionellen Gesellschaft in eine neue global-diverse Gesellschaft umzubauen. Immerhin etwas, das es noch nie gab und von dem noch keiner weiß, ob und wie es funktioniert. Mit einer Anhäufung egozentrischer Blickverengungen auf die eigenen Communities wird das nicht klappen.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Anzeige