Foto: Joshua Earle

(Reise-)Freiheit? Das ist ein Privileg

Über eine Begegnung, die bewusst macht, wie wenig selbstverständlich es für Millionen von Menschen ist, sich frei für einen Ort entscheiden zu können.

 

Wer darf rein? Wer raus?

Am Flughafen dreht mein Koffer auf dem Gepäckband seine Runden, ich lasse den Zoll ungeachtet hinter mir und nehme die nächste S-Bahn in Richtung Innenstadt. Was für mich selbstverständlich ist, ist für zahlreiche Flüchtlinge eine kaum zu überwindende Hürde.

In meinem Leben abseits meines Bloggerdaseins arbeite ich in einer beschaulichen Gemeinde inmitten des württembergischen Allgäus als Wirtschafts- und Tourismusbeauftragte. Ich helfe der Stadt zum Beispiel dabei, eine touristische Strategie aufzubauen, erledige viel Pressearbeit für den Bürgermeister und stehe in Kontakt mit den ortsansässigen Unternehmern und Einzelhändlern. Ein sehr bodenständiger, solider Job, der mir für mein Bloggerdasein des Öfteren die nötige Erdung gibt.

Ausharren in unpersönlichen Containertürmen

Seit einigen Monaten leben fünfzig junge Männer aus Syrien, Gambia und dem Kosovo in unserer beschaulichen Gemeinde. Es sind Männer, die in ihrer Heimat keine Perspektive mehr haben, vor einem Unrechtsregime fliehen mussten oder zum Wohl ihrer Familien die strapaziöse Flucht nach Deutschland auf sich genommen haben. Nun sitzen sie tagein, tagaus in ihren unpersönlichen Containertürmen, junge Männer, einst voller Hoffnung, die tagtäglich auf Neuigkeiten hinsichtlich ihrer Asylverfahren warten, und die die Tage zählen, die sie schon von ihren Familien getrennt sind.

Krieg und vernichtete Träume

Dem Kosovaren kommen die Tränen, als er vom Bürgermeister bei einem Ortstermin auf seine Familie in der Heimat angesprochen wird. Mon, so heißt der junge Mann, ist stolzer Vater, seine drei Kinder und seine Frau vermisse er sehr, erzählt er in fast fehlerfreiem Deutsch. Der gelernte Schweißer lebte bereits einige Jahre als Jugendlicher in Deutschland. Er ging zurück in den Kosovo, dann kam der Krieg und vernichtete seine Träume. Heute sei es sehr schwierig, erzählt Mon, im Kosovo einen Beruf beziehungsweise eine Ausbildung zu finden. So etwas wie eine langfristige Perspektive habe er für sich und seine Familie nicht mehr gesehen. So entschied er sich für die Flucht nach Deutschland.

Andere kamen mit dem Boot über das Mittelmeer, ließen sich von Schlepperbanden nach Europa schleusen. Seit September 2014 sind die meisten der jungen Männer in Deutschland. Von Mannheim ging es über Karlsruhe, schließlich zu uns ins beschauliche Allgäu. Mon ist wegen seiner Deutschkenntnisse mittlerweile der Sprecher der kosovarischen Gruppe.

Es bewegt mich sehr, wie ein gestandener Mann wie Mon plötzlich so vor vielen fremden Augen von seinen Gefühlen überwältigt wird. Wie oft liest man abfällige Berichte über die sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“. Helfen solle man lieber den Menschen in Syrien, da herrsche ja wirklich Krieg….

Warten auf die Abschiebung

Am Vormittag kommt endlich das erlösende Schreiben mit der Erlaubnis, sich ab sofort frei in Baden-Württemberg bewegen zu dürfen. Zuvor waren unsere Ortsgrenzen auch zugleich die Begrenzung des persönlichen Bewegungsraums der jungen Männer aus dem Kosovo. Unsere Gäste aus Syrien und Gambia dürfen sich vermutlich bald größtenteils über eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland freuen, die Kosovaren hingegen müssen jeden Tag damit rechnen, dass ihrem Antrag nicht stattgegeben wird, sie bald aus Deutschland ausreisen müssen – zurück in ihre Heimat, die nur noch wenig mit einer richtigen Heimat gemein hat.

Wie selbstverständlich reihe ich mich in die Schlange der EU-Bürger ein. Ein kurzer Blick auf mein Passfoto, ein freundliches Nicken vom Polizeibeamten und ich darf die Sicherheitsschleuse passieren. Ich lasse den Zoll ungeachtet hinter mir und nehme die nächste S-Bahn in Richtung Innenstadt.

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